„Direkte Endlagerung“ ante portas

Bundesumweltminister Töpfer löst sich vom absoluten Vorrang der atomaren Wiederaufarbeitung / Kernforschungsanlage Karlsruhe hält direkte Endlagerung für „vorteilhafter“ / Konsens in Bund-Länder-Kommission „Atomkernenergie“ dennoch nicht in Sicht  ■  Von Giebel/Rosenkranz

Berlin (taz) - Bundesumweltminister Töpfer scheint vom bisher unumstößlichen Dogma des Vorrangs der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennlelemente vor der direkten Endlagerung abzurücken. Heute will der Länderausschuß mit dem Kompromißnamen „Atomkernenergie“ in Bonn versuchen, dem sogenannten entsorgungspolitischen Konsens zwischen Bund und unionsregierten Ländern auf der einen und den SPD-geführten Ländern auf der anderen Seite näherzukommen. Die SPD-Länder hatten auf einer Sondersitzung dieses Ausschusses vor zwei Wochen angekündigt, die Wiederaufarbeitung nach der vollständigen Verlagerung ins Ausland nicht länger als Entsorgungsnachweis für die bundesdeutschen Atomkraftwerke anerkennen zu wollen. Neben den SPD sitzen Töpfer auch wirtschaftliche und technische Probleme im Nacken: die Wiederaufarbeitung ist teurer als die direkte Endlagerung, die AKW-Betreiber ziehen „frische“ Uranbrennelemente den wiederaufgearbeiteten Mischoxid -Elementen vor, schließlich drohen bei der Wiederaufarbeitung europaweit enorme Überkapazitäten.

Im Verlauf der Sondersitzung hatte der Vertreter des Kernforschungszentrum Karlsruhe, Dr. Closs, überaschend eindeutig die Position der SPD für die direkte Endlagerung unterstützt. Laut Sitzungsprotokoll führte Closs aus, daß „technologisch, aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten die direkte Endlagerung im Verhältnis zur Wiederaufarbeitung zumindest gleichrangig, wenn nicht sogar als vorteilhafter anzusehen sei“.

Auch der Bundesreaktorminister beginnt offenbar die Realitäten anzuerkennen. Töpfer will die Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge, auf die sich Bund und Länder 1980 geeinigt hatten, in Richtung einer größeren Gleichgewichtigkeit von Wiederaufarbeitung und direkter Endlagerung weiterentwickeln, ohne jedoch das Atomgesetz zu verändern. Die SPD möchte dagegen über eine Revision des Atomgesetzes den Vorrang für die Wiederaufarbeitung gänzlich abschaffen und damit die sogenannte „Plutoniumwirtschaft“ kippen.

Nach den Entsorgungsrichtlinien von 1980 ist der Entsorgungsnachweis erbracht, wenn der Verbleib der abgebrannten Elemente für sechs Jahre im voraus nachgewiesen werden kann: entweder durch Zwischenlagerungen oder durch Wiederaufarbeitung. Ein Nachweis darüber, ob die wiederaufbereiteten Brennstäbe auch wirklich gebraucht und eingesetzt werden, sahen die „Grundsätze“ bisher nicht vor. Jetzt geht Töpfer weiter. In den Unterlagen für die Sondersitzung am 17. August fordert er zusätzlich den Nachweis „über die schadlose Verwertung durch den Wiedereinsatz der zurückgewonnenen Kernbrennstoffe“. Darüberhinaus will er die Atomwirtschaft insgesamt in die Pflicht nehmen. Neben dem bisher geforderten Einzelnachweis sei „eine übergreifende Sicht anzustreben und daher von den KKW-Betreibern eine umfassende Strategie über den Erwerb und die Verwendung von Kernbrennstoffen und die weitere Planung zu deren Verbleib einschließlich der Endlagerung von radioaktiven Abfällen“ nachzuweisen.

Bereits vor der ersten Teilerrichtungsgenehmigung eines Reaktors soll künftig der Nachweis über die „schadlose Verwertung“ der wiederaufgearbeiteten Brennelemente inclusive der „Verarbeitung zu neuen Brennelementen und Rückführung in Kernkraftwerke“ vorliegen. Als praktisch gleichrangige Möglichkeit nennt Töpfer die direkte Endlagerung im Inland, sofern „die schadlose Verwertung (also Wiederaufarbeitung, Red.) im konkreten Fall wirtschaftlich nicht vertretbar ist“. So verlangt es das gültige Atomgesetz und so könnte die Atomwirtschaft künftig „im konkreten Fall“ selbst entscheiden, ob sie wiederaufarbeiten oder direkt endlagern will.