Sibir-Kids: Zu 99% deutsch

■ Was Stickmustermuseum werden sollte, ist Scherfs letztes Übergangslager

Eine alte große Villa in St. Magnus, dort, wo Bremen am grünsten ist, von der Atmosphäre eines vergessenen Lungensanatoriums: das ist Haus Blumenkamp, der Sozialbehörde letztes Wucherpfund.

Hier gibt es für Um- und Aussiedler noch (Stand 30.8., 13 Uhr, ändert sich von Stunde zu Stunde) etwa hundert Übergangswohnheimsplätze. (Der „Übergang“ dauert im Schitt heute schon knapp ein Jahr.)

Ein Raum ist belegt von dreißig eingelagerten Einfachst Klappbetten, anderswo sind sie schon jugendherbergsmäßig aufgebaut, in einer Baracke stapeln sich die Matratzen. Vier Jungen zwischen 15 und 18 Jahren wuchten das Schlafmobiliar herum: Waldemar, Alexander, Wilhelm und Witali werden sie etwas altertümlich gerufen und haben eine Reise von 6.000 km hinter sich. Kasanka heißt ihr Dorf in Sibirien, liegt in der Nähe von Omsk; dort waren sie, wie Wilhelm betont, zu 99% deutsch. Die Sibir-Kids sind hochzufrieden, weil sie für zehn Mark in der Stunde jobben können. Fußball und Versteckspielen schützen auf Dauer nicht vor Langeweile.

Langeweile empfindet auch Maria K. Aus Oberschlesien. Sie und ihr Mann bewohnen zur Zeit mit fünf anderen Familien aus Polen, der DDR und der Sowjetunion ein Stockwerk im einstmals als Stickmustermuseum geplanten Haus Blumenkamp. Außer den Möbeln für die Grundbedürfnisse Essen und Schlafen gibt es noch nichts im Haus, nicht einmal ein Radio. Einzige Abwechslung ist die Lauferei wegen der „sehr vielen Papiere“. Das Ehepaar ist „touristisch“ eingereist und hofft, daß die erwachsenen Kinder irgendwann nachkommen. Mit der jungen Russin, die auf dem Campingkocher Suppe kocht, kann Maria K. Nicht reden, weil die kein Deutsch kann. „Wir machen die Tür hinter uns zu und haben Ruhe.“

Von ihrer Zukunft haben die Befragten keine Vorstellung. Daß sich auf absehbare Zeit keine Wohnung finden lassen wird, hat sich allerdings rumgesprochen. Auch von den zu erwartenden größeren Mengen an DDR-Flüchtige ist man hier überhaupt nicht im Bilde. Aber Zahlen lassen sich in Bremen auch behördlicherseits nicht eruieren. „Die stehen auf einmal bei uns vor der Tür“, erklärt Scherfs Presesprecher Alfke. Wer bzw. Wie viel Umsiedler aus Friedland oder anderen Durchgangslagern nach Bremen geschickt werden, stellen die Bremer regelmäßig frühestens dann fest, wenn die Neubürger mit Pickes und Packes am Bahnhof eintreffen.

Sollten in den nächsten Tagen tatsächlich so viele DDR -Bürger ihren Sommerurlaub mit einer Übersiedlung beenden, paßt schon die „Bremer Quote“ nicht mehr ins Haus Blumenkamp. Dann könnte das Hemelinger Zeltlager wieder aktuell werden. Bus