Die sagen zu mir: „Na, du Nazischwein!“

Ein NPD-Mitglied in der Klasse - Streitgespräch zwischen vier SchülerInnen eines Bremer Gymnasiums  ■ I N T E R V I E W

taz: Du bist in die NPD eingetreten - hast du eigentlich im Geschichtsunterricht nicht aufgepaßt?

Martin: Natürlich hab‘ ich aufgepaßt, und vielleicht bin ich gerade deswegen in die NPD gegangen. Im Geschichtsunterricht sind wir noch nicht mal bis 1939 gekommen. Außerdem haben wir mit Nazis und dem Dritten Reich überhaupt nichts zu tun.

Klaus: Ich bin nicht in der NPD. Aber die Art, wie in der Schule Vergangenheitsbewältigung praktiziert wird, ist so, daß mir das Deutsche Reich in der zehnten Klasse ziemlich auf die Nerven gegangen ist. Wir haben das nicht nur in Geschichte, sondern in Gemeinschaftskunde, in Deutsch, vielleicht sogar in Mathe praktiziert - und das alles indoktrinationsmäßig: von wegen „das schlimme deutsche Reich“. Es gab keinen Platz, um selber nachzudenken.

Wie bist du denn tatsächlich zur NPD gekommen?

Martin: Anfänglich war es sicher die reinste Provokation. Im November letzten Jahres, da lief politisch irgendwas, was mir total gegen den strich ging...

Weißt du noch was?

Martin: Nee.

Na, so sehr hat es dich wohl doch nicht beeindruckt...

Martin: Na, das war sowas Extremes, aber ich vergeß‘ solche Sachen auch. Ich hab‘ dann bei der NPD angerufen, und die suchen richtig nach jungen Leuten. Über die NPD heißt es ja „die Ewiggestrigen“. Also, ich kann zum Beispiel gar kein „Ewiggestriger“ sein, dafür bin ich viel zu jung. Und ich kann auch kein Nazi sein.

Es könnte nachteilig

für meine Zukunft sein Daniela: Hast du eigentlich keine Skepsis gehabt, in eine Partei einzutreten, die mit solchen Vorurteilen behaftet ist?

Martin: Ganz klar. Und vielleicht stellt sich irgendwann heraus, daß es ein Fehler gewesen ist. Daß es für meine Zukunft Nachteile bringen kann, das ist mir jetzt schon klar. Aber wenn man es nicht ausprobiert, dann wird man es nie erfahren. Aber um das mal ganz klar zu stellen: Ich bin in der NPD, aber kein Neonazi.

Wirst du an der Schule denn beschimpft?

Martin: Von den Leuten, die eindeutig mehr nach links tendieren, bestimmt. Die sagen auch mal: „Na, du Nazischwein“ oder sowas - im letzten Jahr regelmäßig. Damit muß man leben. Traurig ist es aber, wenn man Freunde an der Schule gehabt hat, und die sich einfach nicht damit befassen oder vielleicht auch Angst haben, überzeugt zu werden.

Ein Einzelkämpfer bin ich ja nicht. In der Schule wird sowieso wenig über Politik gesprochen. Und ich hab‘ keine Lust, noch mehr Freunde zu verlieren, als es eh schon geschehen ist.

Ich finde es einfach abartig,

was er macht Behandelt ihr Martin an eurer Schule also falsch?

Torsten: Wir haben zum Beispiel zusammen Geschichte. Da haben wir neulich über die Wiedervereinigung diskutiert, ganz normal sachlich, ohne daß jemand provoziert wird. Ich bin dafür, tolerant zu sein und sich in die andere Person hineinzuversetzen. Aber ich bin da eine Ausnahme.

Daniela: Ich kenne das von mir. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob ich Martin grüßen soll, wenn ich ihn auf der Straße treffe. Mir paßt das nicht, was er sagt, und ich denke, daß es falsch ist. Ich kann einsehen, daß man den Leuten tolerant gegenüber bleiben soll, aber ich weiß nicht, ob ich das möchte. Ich finde das einfach abartig, was er macht.

Martin: Ich mach‘ doch gar keine Öffentlichkeitsarbeit in der Schule, ich bin nur NPD-Mitglied.

Daniela: Aber mir reicht es schon, daß du Mitglied bist. Da mußt du dich doch damit befaßt haben. Ich würde gerne mal verstehen, warum du so denkst.

Torsten: Ich kann auch nicht verstehen, warum Martin auf Nationalstolz steht, aber ich kann versuchen, ihn zu akzeptieren. Sonst flüchtet er sich nur noch mehr in seinen Nationalstolz.

Daniela: Aber bei mir ist die Abneigung stärker. Wenn ich mit Ausländern zusammen bin, dann tut es einfach weh zu wissen, daß es Leute wie Martin gibt.

Martin: Ich spiele schon seit acht Jahren mit einem Türken zusammen Fußball. Wir sind die dicksten Freunde, und er weiß, daß ich in der NPD bin. Der akzeptiert das, und mehr erwarte ich ja gar nicht von den Leuten.

Torsten: Ich sage mir immer, solange ich noch mit den Leuten diskutiere, kontrolliere ich sie auch gleichzeitig. Ich hab am Anfang nur „Nazis“ gesagt. Aber jetzt hab‘ ich begriffen, daß das nicht der richtige Umgang ist.

Geht es dabei um dich oder um ihn?

Torsten: Es geht um beide. Ich will auch was von Martin. Ich will wissen, was er denkt.

Martin: Ich habe häufig das Gefühl, daß Leute von Nazis sprechen, um es sich unheimlich einfach zu machen. Da wird man abgestempelt, und dann wird nicht mehr darüber gesprochen. Die Leute hören NPD, und aus, Ende.

Meine Eltern sind beide

ganz stramm SPD Gilt das auch für eure Lehrer?

Torsten: Die meisten Lehrer wissen gar nicht, daß Martin in der NPD ist. Im Geschichtsunterricht hatten wir das Thema Faschismus, und es gab eine Aussiedlerdiskussion. Da ging es dann total derbe auf Martin los, und auch ich hab‘ nur gedacht: Nazischwein. Der Lehrer hat dann einen Denkprozeß in mir erreicht. Er hat Martin ein bißchen in Schutz genommen und hat versucht klarzumachen, warum Martin so ist. Daß dahinter ein Gefühl steckt.

Martin: Aber in Gemeinschaftskunde haben wir uns richtig angeschrien, und ich bin aufgestanden, weil ich mir das von der Lehrerin nicht bieten lassen wollte. Da war jede Diskussion sinnlos. Seitdem bin ich nicht scharf darauf, daß die Lehrer wissen, daß ich in der NPD bin. Nicht, weil ich mich dafür schäme, sondern einfach, weil ich ein bißchen an meine Noten denke.

Daniela: Hast du deshalb nie daran gedacht, wieder auszutreten?

Martin: Doch, am Anfang schon. Meine Eltern sind beide stramm SPD. Sie haben meine Entscheidung akzeptiert, aber mich auch darauf hingewiesen, daß ich damit Probleme bekommen werde. Ich habe mir überlegt, ob ich vielleicht für die Bewerbungszeit kurz wieder austreten soll. Ich möchte später auch mal einen guten Beruf ausüben und Geld verdienen.

Daniela: Vielleicht beeindruckt mich das sogar etwas an ihm, daß er sich seine politische Überzeugung nicht ausreden läßt. Aber andererseits paßt mir die ganze Richtung nicht und ich verstehe auch nicht, wie du so sein kannst.

Martin: Wenn meine Eltern rechts gewesen wären, dann wäre ich heute vielleicht bei den Grünen oder so. Wir haben unheimlich viele Mitglieder, wo die Eltern in der SPD sind und sogar Führungspositionen haben.

Interview: Dirk Asendorpf