Audiovisuelles Gliederzucken

■ RTL plus verleiht ersten Video-Löwen

Die kleinmaschigen Gitterkäfige, die durch die verschiedenen Etagen des Alten Pumpwerks in Berlin-Moabit führen, sind eng und rostig. Ziellos strömt das elegante Publikum duch die Drahttunnel. In der Mitte der Fabrikhalle krümmen sich Jim Whitings künstliche Kreaturen: Metallglieder an zerfetzten Rümpfen zucken wie im Todeskampf. In regelmäßigen Abständen stoßen die computergesteuerten Ventile Preßluft aus. Aus der gegenüberliegenden Wand ragt ein Duschkopf.

„Interessant.“ Das Publikum ist begeistert. Kategorie Kunst steht auf dem Schild vor den Video-Monitoren. Susanne Kronzucker, die blondgelockte Moderatorin von RTL plus, stürmt auf die Treppe, die in den höchsten Käfig des Raumes führt. An dem Wettbewerb des Deutschen Video-Instituts beteiligten sich 31 professionelle Videoproduzenten, 35 Schulgruppen, 95 Künstler und fast 500 Amateure aus 16 Ländern. Drei Video-Löwen gehen an jede Kategorie.

Den Amateur-Preisträger Albano Vierra de Abreu fragt die Moderatorin in gekonntem Portugiesisch, wie er denn auf die Idee gekommen sei. Die Idee ist ebenso banal wie der Film: Fischfang an der Portugiesischen Küste. Schnitt. Dazu spielende Kinder am Strand. Die Jury aus renommierten Film und Videoexperten, der unter anderen die Filmjournalistin Margret Köhler und Klaus Linkel vom Münchner Video Magazin angehörten, fand, daß „die reizvolle Parallelmontage von Kinderspiel und Erwachsenenrealität diesem Werk seinen besonderen Reiz“ gebe. Unter den Juroren waren auch Wolf Herzogenrath von der Berliner Nationalgalerie und Ursula Perucchi vom Kunsthaus Zürich. Das Band des österreichischen Profis Ronald Eichhorn „Christkind is in the house“ zeigt eine Familie, die sich über ihre Weihnachtsgeschenke hermacht. Auch diese Konsumkritik, eindeutig ein Credo vieler Videomacher, ging im allgemeinen Gliederzucken unter. Hören konnte man sowieso nichts, da uns die Neuen Musiker keine Pause gönnen wollten.

Frau Kronzucker meint, der Zusammenhang zwischen dem postmodernen Holocaust-Ambiente und der Video-Schau sei doch klar: Audiovisuelle Kreativität eben. Die Wahllosigkeit, mit der hier Themen und technisches Know-how gezeigt und beurteilt wurden, verkauft die Moderatorin charmant als künstlerische Freiheit. Bevor der dicke Grundig-Chef in den Käfig steigt, muß Susanne Kronzucker wieder rauß. Nach einem strengen Blick auf die schlotternden Leiber unter ihm beginnt Herr van Tilburg seinen Diskurs über das „vieldiskutierte Thema Kunst und Kommerz“. Die Sponsoren Grundig, der Burda Verlag und der private Fernsehsender RTL plus hätten die größte Kompetenz und die engsten Bezüge zur Videokunst. Denn jede „Kunstform, ja sogar Freizeitbeschäftigung, brauche Ziele und Maßstäbe“. Mit einem kernigen „Denn Kunst kommt von Können“ verabschiedet er sich von den Lebenden und Toten. Ihm folgt die totale Endzeit-Performance, eine Mischung aus „Totenfloß“ und Delirium Tremens. Vor den Gittern kriechen verseuchte Menschen. Riesige Fledermäuse baumeln von der Decke, und ein silberner Astronaut schnüffelt mit seiner Gasmaske am Boden. Als ein Kammerjäger Gas in die Menge sprüht, fangen die Zuschauer an zu weinen.

Die Videos der Künstler und Schüler gehen in der anschließenden Massenflucht unter. Draußen verkauft McDonalds Hamburger und Fisch-Macs. Der spannende Rennfahrer -Thriller des Franzosen Herve Champeaux wird genauso teilnahmslos goutiert wie die christliche Sozialschnulze der Vidiogruppe des Mariengymnasiums aus Warendorf, „INRI“.

„Paß doch auf!“ Eine Metallhand verfehlte den verstümmelten Frauentorso und traf statt dessen einen Zuschauer. Die Löwen -Verleihung wurde zum Gesamtkunstwerk. Die neue Kunstform Video war dabei nebensächlich.

Bettina Bausmann