„Der Primas war schlecht beraten“

Kazimierz Woycicki, stellvertretender Chefredakteur der katholischen Monatszeitschrift 'Wiez‘, zum Streit um das Karmeliterinnenkloster  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Woycicki, wie ist denn Ihre Ansicht zu Kardinal Glemps Predigt?

Kazimierz Woycicki: Ich bin vollkommen einverstanden mit dem, was Krzystof Sliwinski in der 'Gazeta Wyborcza‘ geschrieben hat. Mir scheint, das drückt aus, was viele von uns jetzt denken. Zum Hintergrund: Es geht darum, ob das Karmeliterinnenkloster in Auschwitz verlegt werden soll. Die jüdische Argumentation, das Gelände sei eine jüdische Grabstätte und nach jüdischem Brauch dürfe dort keine Kirche sein, auch keine Synagoge, akzeptiere ich völlig. Es ist schon schade, daß das Kloster überhaupt dort entstanden ist, an einem Ort wie Auschwitz sollte man den Juden einfach alle Rechte zugestehen. Darüber hinaus gab es ja das Genfer Abkommen zwischen der katholischen Kirche und den jüdischen Organisationen, demzufolge das Kloster verlegt werden sollte.

Kardinal Macharski hat angekündigt, das Kloster werde nicht verlegt. Wie ist das zu verstehen?

Die Erklärung ist nicht so eindeutig. Sie geht eher in die Richtung: „Wir überlegen es uns noch einmal.“ Ich hoffe sehr, daß diese Überlegung dazu führt, das Abkommen einzuhalten. Inzwischen gab es ja einige Proteste von seiten der Juden. Auch wenn man mit der Form dieser Proteste nicht einverstanden ist, sollte man sie doch verstehen. Sie haben protestiert, als klar war, daß die katholische Seite das Abkommen nicht einhalten wird. Als Katholik ist es mir sehr unangenehm, daß diese Situation entstanden. Als Christen sollten wir einen Dialog mit Juden zustande bringen. Ereignisse wie diese führen nicht dazu. Da fühle ich mich als Katholik schuldig.

Ist Glemps Predigt in diesem Kontext nicht ein Hinweis darauf, daß es um mehr geht als nur um dieses Kloster?

Soweit würde ich nicht gehen. Ich hoffe, daß diese Predigt noch eine andere Interpretation zuläßt, so daß die Tür zum polnisch-jüdischen Dialog nicht ganz zugeschlagen ist.

Der jüdisch-polnische Intellektuelle Stanislaw Krajewski hat vor kurzem in einem Beitrag im 'Tygodnik Solidarnosc‘ geschrieben, die Bekenntnisse von Kirchenvertretern zum Genfer Abkommen vom Anfang dieses Jahres ließen den Schluß zu, die Anhänger des Dialogs hätten sich im Episkopat durchgesetzt. Nach den jüngsten Ereignissen kann man ja nun auch den umgekehrten Schluß ziehen, daß die Gegner des Dialogs Oberwasser haben.

Es gibt im polnischen Katholizismus genug aufgeklärte offene Leute, die nicht bereit sind, diese Lage zu akzeptieren. Die polnische Öffentlichkeit hatte nach 1945 keine Möglichkeit, die polnisch-jüdischen Beziehungen auszudiskutieren. Eine solche Diskussion ist der beste Weg, um Aberglaube und Xenophobie zu heilen. Es gibt in Polen immer noch nationalistische, egozentrische Überbleibsel aus der Zwischenkriegszeit.

Aber bilden die aufgeklärten katholischen Intellektuellen nicht auch eine Minderheit? Die Menge in Tschenstochau hat gerade bei den geschmacklosen Stellen von Glemps Rede laut geklatscht.

Er hat auf eine für mich unangenehme Weise in diesen Passagen etwas Positives über Polen und zugleich etwas Negatives über die Juden gesagt. Ich glaube, diese Leute haben geklatscht, weil er Polen gelobt hat, nicht weil er sich über die Juden abfällig ausdrückte. Ich würde dort nicht klatschen. Was die Frage anbetrifft, ob wir in der Minderheit sind: Nein, ich finde, gerade die Wahlen haben gezeigt, daß wir das nicht sind. Ich finde, der Primas war schlecht beraten, als er diese Rede hielt, aber das zeigt auch, daß wir eine offene Diskussion brauchen. Daß die bisher nicht möglich war, hat auch dazu geführt, daß unsere Haltung so oft von Komplexen und Vorurteilen geprägt ist. Jetzt werden wir wohl erfahren, wie heilsam eine freie Debatte ist. Vor zwei Jahren noch hätte ich dieses Interview nicht gegeben. Damals war die Kirche im Konflikt mit dem Staat, und wir mußten zu ihr halten. Jetzt ist das anders. Als Katholiken müssen wir zur Kirche loyal sein, aber wir können jetzt auch mit unseren Kirchenführern diskutieren.

Interview: Klaus Bachmann