Polens Kirche kämpft um ihre Macht

Kardinal Glemp und sein Beraterkreis setzen auf nationalistische, populistische und teils antisemitische Parolen / Die Kirche hat nach der innenpolitischen Öffnung in Polen an Einfluß verloren und wird nicht mehr als Vermittlerin zur Staatsmacht gebraucht  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Kardinal Glemp versucht mit seinem Beraterkreis mit aller Kraft, nach der politischen Öffnung in Polen einem drohenden Machtverlust entgegenzuwirken. In ihrer jüngsten Ausgabe veröffentlichte die in Paris erscheinende polnische Exilzeitschrift 'Kultura‘ Äußerungen des Primas und seines Intimus Maciej Giertych zu einem Strategiepapier, das der Beraterstab des Kardinals zur künftigen Rolle der Kirche in Polen entwickelt hatte. Titel des Entwurfs: „Meinungsfreiheit in Staat und Gesellschaft“. Glaubens- und Gewissensfreiheit werden in diesem Zusammenhang als Produkte marxistischer Ideologie hingestellt, die nur das Ziel verfolgten, den Einfluß der Religion zu unterminieren. Toleranz sei nur dort möglich, wo sich der Staat von der katholischen Ethik leiten ließe.

Schon Glemps Auslassungen zum polnisch-jüdischen Verhältnis im Streit um das Karmeliterinnen-Kloster in Auschwitz schürten antisemitische Ressentiments. Mit einer populistisch und nationalistisch angelegten Strategie versucht er, verlorenes Terrain wieder zurückzugewinnen.

Am Sonntag hatte sich Glemp in Tschenstochau zum Streit um das Kloster mit den Worten an die Pilger gewandt: „Eine Gruppe von sieben Juden aus New York beging kürzlich einen Überfall auf das Kloster Auschwitz. Zwar kam es nicht zur Ermordung der Nonnen und Zerstörung des Klosters, weil sie aufgehalten wurden, aber nennt die Eindringlinge nicht auch noch Helden.“ Mit keinem Wort ging der Primas darauf ein, daß die katholische Kirche sich bereits 1986 im sogenannten Abkommen von Genf verpflichtet hatte, das umstrittene Kloser bis zum 22.Juli dieses Jahres zu verlegen, und die sieben Juden gegen die Nichteinhaltung dieses Abkommens protestiert hatten. Statt dessen gebrauchte Glemp in seiner Predigt Anspielungen und Wendungen eindeutig antisemistischer Provenienz. Von polnischem Groll gegen die Juden im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg war da ebenso die Rede wie von „Juden, die Kommunismus verbreiten“.

„Liebe Juden, sprecht mit uns nicht von der Warte eines Volkes, das sich über alle anderen erhebt, und stellt uns keine unerfüllbaren Bedingungen“, forderte Glemp unter dem Beifall der Menge. Antisemitismus gebe es dann nicht, warnte er, wenn es auch keinen Antipolonismus seitens der Juden gebe.

Es war nicht das erste Mal, daß sich der Primas im Ton vergriffen hat - zwei Wochen zuvor hatte er Polens Wirtschaftsprobleme auf den Mangel an Kriegsreparationen zurückgeführt -, doch es war das erste Mal, daß Glemp öffentlich und heftig widersprochen wurde. „Die von Primas Glemp gebrauchten Formulierungen drohen - selbst wenn dies nicht beabsichtigt war - die Gefühle vieler Nachkommen der Opfer des Holocaustes tief zu verletzen“, distanzierte sich die 'Gazeta Wyborcza‘ (Wahlkampfzeitung) von Solidarnosc von Glemp. Und auch unter anderen katholischen Intellektuellen regt sich Protest.

Hatte man früher unter dem Druck der Staatsmacht peinlichst jeden Anschein von Dissens zwischen Opposition und Kirchenführung vermieden, so sind viel katholische Intellektuelle nun nicht mehr länger bereit zuzusehen, wie einzelne Mitglieder der Hierarchie den in den letzten Jahren so mühsam aufgebauten polnisch-jüdischen Dialog zerstören. Hinter Glemps jüngsten Ausfällen steckt mehr. Mit der Ankündigung des Krakauer Kardinals Macharski, die Verlegung des Klosters zurückzustellen, scheinen sich jene Kreise in der katholischen Kirche durchzusetzen, die von Anfang an gegen den polnisch-jüdischen Dialog opponiert haben. „Haltet aus“, hatte Primasberater Maciej Giertych schon vor zwei Monaten den Karmeliterinnen in der ersten Ausgabe der nationalistischen, antisemitischen Monatszeitschrift 'Slowo‘ empfohlen. Inzwischen scheint Glemp unter Giertychs Einfluß geraten zu sein.

Die Stellungnahmen von Glemp und Giertych, die die 'Kultura‘ zitiert, sprechen eine deutliche Sprache. Glemp stellt da fest, der Begriff „Glaubens- und Gewissensfreiheit sei ein Slogan sozialistischer Staaten, der nur zur Bekämpfung der Religion diene“. Grund für diese Ansicht: Solche Freiheiten erlaubten Atheismus. Doch: „Unglaube und Atheismus sind ein anormaler Zustand des Menschen und noch mehr der Gesellschaft, weil durchdrungen von Falschheit.“

Die Enthüllungen der 'Kultura‘ werfen indirekt auch ein bedeutsames Licht auf die derzeitige Lage der Kirchenführung. Nach der Verhängung des Kriegszustandes konnte sie als Vertreterin des Volkes auftreten, unabhängige Institutionen gab es nicht. Von Anfang an allerdings war der achtjährige Burgfriede zwischen Kirche und Opposition belastet gewesen durch das distanzierte Verhältnis der Kirchenführung zur Solidarität. Denn anders als viele Priester vor Ort, die Oppositionellen Unterschlupf und politische Freiräume in der Kirche boten, liebäugelte die Führung eher mit der Staatsmacht und zog sich Kritik aus Rom zu. Einzelne Priester, die sich zu sehr auf die Seite der kriminalisierten Gewerkschaften schlugen, wurden vom Primas persönlich zurückgepfiffen. Während ein Treffen mit Walesa zum Pflichtprogramm der Papstbesuche gehörte, tat Glemp alles, um eine Aufwertung des Arbeiterführers zu vermeiden. „Jetzt zahlt er den Preis dafür“, meint ein katholischer Intellektueller. Wie sehr der Einfluß der Kirche zurückgegangen ist, hat der Wahlkampf gezeigt: Trotz Unterstützung des Primas versank die christdemokratische Partei in der Bedeutungslosigkeit. Einst war die Kirche als Vermittler zwischen Opposition und Regierung unentbehrlich. Doch wenn die Opposition nun zur Regierung wird, kann die Kirche nur noch für sich selbst sprechen. Auch als Vermittlerin zu Rom ist sie nicht mehr gefragt. Der Vatikan hat wieder diplomatische Beziehungen zu Polens Regierung, die noch dazu von dem aufgeklärten Katholiken Mazowiecki repräsentiert wird.

Die Kirche hat Terrain verloren, das einige mit populistischen und nationalistischen Auftritten zurückgewinnen wollen. Für die gesamte Kirche allerdings, so ein katholischer Journalist, wäre es eine Tragödie, würde die Kirche mit einer solchen Verhärtung reagieren. Unter Polens katholischer Intelligenz jedenfalls gärt es nun gewaltig. Nachdem auch jüdische Organisationen im Ausland heftig protestieren, steht das jüdisch-polnische Verhältnis auf dem Spiel. Daß die Hoffnung, mit Populismus verlorenen Einfluß zurückgewinnen zu können, illusorisch ist, haben bereits die offiziellen Gewerkschaften erfahren müssen. Der Kirche steht diese Erfahrung noch bevor.