Das Reich des Terrors am Magdalena-Fluß

■ Im Norden Kolumbiens stecken militante Viehzüchter, Drogenmafia und Militärs unter einer Decke

Seit die Kokainmafia letzte Woche den Präsidentschaftskandidaten Galan ermordet hat, herrscht offener Krieg in Kolumbien. Die Regierung hat Tausende verhaften und die Besitztümer von Drogenbossen beschlagnahmen lassen. Diese Woche sollen die ersten von ihnen an die USA ausgeliefert werden. Die Mafia antwortet mit Zuckerbrot und Peitsche, mit Bomben und Verhandlungsangeboten (siehe linke Seite). Präsident Barco hat der Nation versprochen, mit Gesetzesbrechern keinen Dialog zu führen. Ob er allerdings die Symbiose aus Viehzüchtern, Drogenmafia und Militärs erfolgreich bekämpfen kann, steht in den Sternen.

„Dies ist ein gesundes Dorf.“ Immer wieder weisen die Einwohner von Puerto Boyaca stolz darauf hin, daß es in ihrer Hafenstadt am Rio Magdalena keine Diebe, keine Überfälle und keine Guerilla gebe. Die Gesprächspartner fühlen sich dennoch bedrängt, denn ihr Städtchen, das mit seinen 30.000 Einwohnern in der tropischen Hitze dahinlebt, ist in Verruf gekommen: Hier befindet sich nämlich, so meldet der kolumbianische Geheimdienst (DAS), die Kommandozentrale rechtsradikaler Todesschwadronen, herangezogen von Viehzüchtern und Drogenmafiosi mit Unterstützung nicht weniger Militärs.

„Drogenmafia? Davon weiß ich nichts.“ Faustino Lemus, ein freundlicher und einfacher Mann, lügt überzeugend, er ist Vizepräsident des „Bäuerlichen Verbands der Viehzüchter und Landwirte des Magdalena Medio“, abgekürzt: Acdegam. Für den Geheimdienst ist Acdegam ein „Instrument zum Verstecken der sozioökonomischen Infrastruktur der Kokainmafia“. Die zum Teil von ausländischen Söldnern wie dem israelischen Oberst Yair Klein ausgebildeten Killer des Acdegam seien zu einem stehenden Heer herangewachsen, das damit beschäftigt sei, die Laboratorien und Grundstücke der Drogenmafiosi zu verteidigen.

Die Acdegam-Führer sehen das alles anders und sprechen lieber von dem „heiligen Recht auf Selbstverteidigung“. In den siebziger Jahren war in Puerto Boyaca nämlich die größte Guerillabewegung Kolumbiens, die kommunistische FARC, tonangebend. Anfangs verlief die Zusammenarbeit zwischen Viehzüchtern und Guerilleros noch prächtig: Die FARC sorgte dafür, daß Viehräuber hart bestraft wurden, die Viehzüchter wiederum bezahlten der Guerilla kleinere Abgaben. Der Zentralstaat in Bogota war fünf Autostunden entfernt, irgend jemand mußte schließlich für Ordnung sorgen.

Die Dinge änderten sich jedoch, als die FARC immer höhere Abgaben forderte, systematisch Viezüchter entführte und auch kleinere Landwirte schikanierte. Wut und Widerstand breiteten sich in Puerto Boyaca aus. Anfang der achtziger Jahre begannen sich die Viehzüchter und Landwirte an die Armee zu wenden, die gerade in Puerto Boyaca das „Bataillon Berbula“ eingerichtet hatte. „Schulter an Schulter mit den Streitkräften fingen wir an, gegen die Kommunisten vorzugehen“, erzählt Faustino Lemus stolz.

Nicht mit

Karamellbonbons

Mit der tatkräftigen Hilfe der militärischen Kommandanten, die auch bereitwillig Waffen verkauften, wurden „Selbstverteidigungsverbände“ aus der Taufe gehoben. Doch, wie es Acdegam-Führer Luis Eduardo Alvarez ausdrückt, „die Guerilla wird nicht mit Karamellbonbons geschlagen“. Also immer mehr Morde, immer mehr Gemetzel - nicht nur an Guerilleros, sondern auch an Bauern, Gewerkschaftern und Politikern, die im Verdacht standen, die Guerilla zu unterstützen.

Leopoldo Guardin, der 26jährige Sohn von Pablo Emilio Guarin, des langjährigen Führers der „Selbstverteidigungsverbände“, der 1987 wahrscheinlich von der FARC ermordet wurde, erklärt die Ausbreitung des „Modells Puerto Boyaca“ so: „Wenn etwas sehr gut, aber wirklich sehr gut ge macht wird, dann breitet es sich aus.“

Mitte der achtziger Jahre begannen auch andere Dörfer und Städte in der Krisenregion Magdalena Medio und in ganz Kolumbien mit dieser Art von „Selbstverteidigung“. Notfalls reisten Killer aus Puerto Boyaca auch in andere Regionen, wie in das Bananengebiet Uraba, um dort Sympathisanten der Guerilla zu massakrieren. Die Kommandozentrale Acdegam dehnte ihren Einfluß zunehmend aus. Dabei basiert ihre Macht nicht nur auf bewaffnetem Terror, sondern auch auf einer sozial-karitativen Politik.

Acdegam richtet Kliniken und Schulen ein, organisiert Schulspeisungen und läßt Milch verteilen. „So tritt man der Geißel des Kommunismus entgegen“ - Gilberto Ramirez, mit seinem Schnurrbart und der dunklen Sonnenbrille ein Paramilitär wie aus dem Bilderbuch, blickt selbstzufrieden auf die kreischenden Schulkinder, die von Acdegam besorgtes Zuckerwasser und ein Ei geschenkt bekommen.

Soweit die Version der Führer Acdegams zur „Wiederherstellung der patriotischen Werte“, wie Leonardo Guarin es nennt. Ab Mitte der achtziger Jahre gab es in Puerto Boyaca keine Widersacher mehr: weder Kommunisten noch andere Oppositionelle noch Diebe, sie alle waren tot, Puerto Boyaca „gesund“. Ein Fakt, der von der Drogenmafia wohlwollend mit großen Landkäufen quittiert wurde.

Eine Hand

wäscht die andere

Auch die Kokainbarone hatten im Osten des Landes mit der FARC Ärger gehabt - die Guerilleros hatten sich auf die Seite der Kleinbauern, die die Kokapflanze anbauen, gestellt. Militante Viehzüchter und Drogenmafiosi des „Kartells von Medellin“ waren sich in ihrem fanatischen Antikommunismus also einig und arbeiteten fortan in Puerto Boyaca zusammen, die Kokainbarone wie Gonzalo Rodriguez Gacha füllten die Kassen Acdegams mit Dollars, die Selbstverteidigungsverbände beschützten dafür auch die Kokainlabors und Grundstücke der Mafia.

Die kolumbianische Armee zeigte sich über die tatkräftige Hilfe im Kampf gegen die Guerilla erfreut und half, wo es nur ging. Zudem war die „Selbstverteidigung“ und die Bewaffnung von Zivilpersonen in der Gesetzgebung verankert erst im April dieses Jahres ließ die Regierung des liberalen Präsidenten Virgilio Barco die betreffenden Paragraphen rückgängig machen. Vorher hatte sie bereits Oberst Luis Bohorquez, den militärischen Befehlshaber in Puerto Boyaca, entlassen.

Die Regierung handelte aus einem guten Grund: Spätestens im Januar 1989, als „Selbstverteidigungsverbände“ im Magdalena Medio zwölf Mitglieder einer richterlichen Unterstützungskommission ermordeten, war klar, daß die vom Staat lange gehegten Verbände sich zu einer „Subversion von rechts“ gemausert hatten. Drogenmafia, Viehzüchter und einige Militärs hatten sich hinter der Fassade Acdegams zu einem Bündnis zusammengetan, das mit Todesschwadronen und einer totalen Überwachung durch Computersystem und Funkverbindungen im südlichen Magdalena Medio ein Reich des Terrors errichtet hatte.

Seit Juli nun will das Bündnis auch noch eine eigene politische Partei gründen: die rechtsradikale „Bewegung zur nationalen Restauration“ (Morena). Es ging ihnen darum, erzählen die Anführer von Acdegam, im Parlament ihre Ansichten vertreten und den Kommunisten Paroli bieten zu können. Wähler genug hätte Morena. Schließlich kontrolliert Acdegam schon jetzt - zumindest behaupten das seine Anführer - 16 Gemeinden im Magdalena Medio unter dem Namen der Liberalen Partei.

Doch die Geheimpolizei warnte schon in der vergangenen Woche davor, daß es national und international keinen guten Eindruck machen würde, wenn das „gemeine Verbrechen“ über eigene politische Vertreter verfüge.

Wer leben

will, der schweigt

In dem „gesunden“ Puerto Boyaca ist es schwer, Menschen zu finden, die es wagen, über die Terrorherrschaft Acdegams zu berichten. Wegen solcher Zeugenaussagen sind schon viele zum Tode „verurteilt“ worden. Aber Pedro lebt schon lange in Puerto Boyaca, so lange, daß er zynisch geworden ist. Er berichtet aus den Dörfern im Magdalena Medio, wo heute noch der Krieg zwischen den Paramilitärs - er sagt nicht „Selbstverteidigungsverbände“ - und der Guerilla tobt. Die Bauern dort befinden sich dazwischen und können jederzeit von der einen oder anderen Seite als Spitzel hingerichtet werden.

Pedro, der Zyniker, fragt sich, von wem es sich denn besser ermorden ließe, und gibt auch gleich die Antwort: „Von der Gureilla natürlich. Sie tötet nur die, bei denen sie sich sicher ist, daß sie für Acdegam arbeiten, und dann auch nur mit einem Kopfschuß. Die Paramilitärs dagegen können jeden umbringen, und sie foltern einen zu Tode.“ Pedro lacht laut auf.

Zum Abschied erzählt er noch, daß zumindest in Puerto Boyaca Polizei und Militär mit den Paramiltärs und der Drogenmafia zusammenarbeiten. Hoffentlich hat ihn keiner von Acdegam gehört.

Ciro Krauthausen