Zwischen Kindern, Küche und Computer

■ Der Trend für Frauen geht zur (Tele)Heimarbeit / Viele sind gezwungen, als „Selbständige“ zu Mini-Löhnen und ohne soziale Absicherung zu arbeiten / Häufig müssen von der Firma zuerst die Produktionsmittel gekauft werden, bevor es einen Arbeitsvertrag gibt

Bei dem Wort Heimarbeit denkt manche an lange zurückliegende Zeiten, als Frauen und oft auch ihre Kinder in ärmlichen Wohnverhältnissen, zum Beispiel durch das Basteln von Christbaumschmuck oder das Flechten von Körben, einen kläglichen Lohn erzielten. Das scheint lange vorbei - doch in jüngster Zeit ist Heimarbeit - nun mit dem zukunftsweisenden Beinamen Teleheimarbeit - wieder ins Zentrum öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussion geraten. Teleheimarbeit, das bedeutet, daß computergestützte Tätigkeiten aus Büro und Verwaltung in Privatwohnungen ausgelagert werden können. während die einen die Wiederherstellung frühkapitalistischer Ausbeutung an den neuen Teleheimarbeitsplätzen befürchten, sehen andere in ihnen eine Chance besonders für Frauen, Beruf und Familienarbeit miteinander verbinden zu können.

„Keine andere Wahl“ hatte vor fünf Jahren die heute 34jährige Inge M., als sie sich mit 200 (!) anderen Frauen um eine Heimarbeitstätigkeit bewarb. „Meine Kinder waren klein, und ich hatte nicht das Geld für einen Kinderhort“, erzählt die Mutter von zwei Söhnen, „da erschien mir Heimarbeit ideal zu sein“. Inge M. hat sich auf eigene Kosten einen Computer angeschafft und gibt Daten am Bildschirm ein. „Das erfordert sehr viel Konzentration, und das Hauptproblem ist für mich, daß ich ständig zwischen Telefon, Kindern, Küche und Arbeitsplatz hin- und herlaufe und nur spät abends an einem Stück arbeiten kann.“ Über 90 Prozent Frauen

Rund 200.000 Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter sind in der Bundesrepublik offiziell bei den Gewerbeaufsichtsämtern gemeldet, die meisten davon in Bayern und Baden-Württemberg. Über 90 Prozent von ihnen sind Frauen. Frauen, die in ihren Wohnungen Schrauben verpacken, Kugelschreiber montieren, Schnitte entwerfen, Kleider nähen oder Daten in ihren Computer eingeben. Vor allem der letztgenannte Bereich - die sogenannte Teleheimarbeit - dürfte in Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnen.

Von rund 3.000 Unternehmen, die das Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung im Auftrag des Rationalisierungskuratoriums der Deutschen Wirtschaft befragte, gaben knapp 38 Prozent an, daß sie bereits sogenannte elektronische Fernarbeit vergeben oder dies planen, wobei Daten- und Texterfassung am häufigsten ausgelagert werden. Die offiziell gemeldeten Heimarbeiterinnen genießen dabei einen gewissen Schutz durch das Heimarbeitsgesetz, das ihnen einen Mindestlohn und einige soziale und arbeitsrechtliche Absicherungen garantiert.

Doch daneben gibt es bundesweit rund 200.000 Menschen - so die offiziellen Schätzungen - die Heimarbeit machen, ohne von ihren Auftragsfirmen bei den Gewerbeaufsichtsämtern angemeldet zu sein. Das wirkliche Ausmaß der Heimarbeit ist bis heute weitgehend unerforscht, und es wird nicht gerne darüber gesprochen - weder von den Unternehmern noch von den Heimarbeiterinnen selbst. Das stellten Monika Goldmann und Gudrun Richter von der Sozialforschungsstelle Dortmund fest, als sie im Auftrag der nordrheinwestfälischen Landesregierung versuchten, die Arbeitsbedingungen von Teleheimarbeiterinnen zu beleuchten. Von den Frauen, die sie nach langer Suche fanden, waren fast alle gezwungen, sich als Selbständige zu versichern. Eine sozialrechtliche Absicherung der Frauen durch die Arbeitgeber erfolgt in der Regel nicht. Die Heimarbeiterinnen erhalten meist Werkverträge, in denen die erwartete Schreibleistung pro Woche festgelegt ist, während der Arbeitgeber keinerlei Garantie für ein bestimmtes Auftragsvolumen gibt. Auch Inge M. wußte zu Beginn ihrer Tätigkeit nichts von der Existenz eines Heimarbeitsgesetzes. Als Selbständige hat sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, für Renten- und Krankenversicherung und für ihre Bürokosten muß sie selbst aufkommen. Stundenlohn vier Mark fünfzig

„Man hat mir damals gesagt, ich muß mich als Gewerbetreibende versichern, und heute komme ich mit allen Ausgaben - Steuern, Versicherungen, Bürokosten - auf einen Stundenlohn von vier Mark fünfzig netto.“

Von den Heimarbeiterinnen, die die Dortmunder Sozialforscherinnen befragten, erzielten die meisten ein Bruttojahreseinkommen zwischen 16.000 und 18.000 Mark. Allerdings sind die Verdienstmöglichkeiten sehr unterschiedlich. Während reine Schreibarbeiten häufig sehr schlecht bezahlt werden, gibt es inzwischen auch hochqualifizierte Software-Spezialistinnen oder Fachübersetzerinnen, denen im Bereich der Heimarbeit relativ gute Verdienstmöglichkeiten offenstehen.

Die typischen Teleheimarbeiterinnen - so Gudrun Richter und Monika Goldmann - wechseln ständig zwischen Kindern, Küche und Computer, haben kaum Erholungsphasen und werden vom Ehemann bei der Hausarbeit wenig unterstützt. Die Mehrzehl der Frauen arbeitet auch am Wochenende sowie in den frühen Morgen- und späten Abendstunden, die Arbeitszeit schwankt je nach Auftragslage zwischen zehn und 60 Stunden wöchentlich. Viele Arbeiten auf Abruf und müssen ihren gesamten Tages und Wochenablauf an der Zeitplanung des Betriebes ausrichten. Ein Verbot nützt nichts

Mehr Aufklärung, Kontrolle und die Gleichstellung von Teleheimarbeitern mit normalen betrieblichen Arbeitnehmern fordern angesichts der wachsenden Bedeutung dieser Arbeistform vor allem die Gewerkschaften. Die IG Medien verlangt sogar ein völliges Verbot der Teleheimarbeit. Doch auch dort weiß man, daß der Trend zur Arbeit in den eigenen vier Wänden nicht zu stoppen ist, solange es für Frauen mit Kindern keine wirklichen Alternativen gibt. Monika Goldmann von der Sozialforschungsstelle Dortmund:

„Ich glaube nicht, daß man das durch ein Verbot in den Griff kriegt, das wird sich ausbreiten, immer weiter, und man muß auf gesetzlicher Ebene was machen. Das heißt natürlich nicht, daß nicht auch die Gewerkschaften versuchen müssen, auf lokaler Ebene an die Heimarbeiterinnen heranzukommen. Ich meine auch, daß die Gewerbeaufsicht verstärkt werden müßte und daß man sich nicht nur um die gemeldeten Heimarbeiterinnen kümmern muß, sondern es müßten auch Gewerbeanmeldungen dahingehend überprüft werden, ob es nicht de facto Heimarbeitsplätze sind.“

Für alle Heimarbeiterinnen ist es sinnvoll, sich beim Gewerbeaufsichtsamt danach zu erkundigen, ob die jeweilige Tätigkeit nicht unter den Schutz des Heimarbeitsgesetzes fällt und der Arbeitgeber demnach verpflichtet ist, die Arbeit anzumelden. Bei den Ämtern kann man sich auf Wunsch auch anonym beraten lassen. Darüber hinaus warnen derzeit die Ministerien und die Gewerbeaufsichtsämter dringend vor dubiosen Firmen, die Heimarbeit per Zeitungsannonce anbieten und verlangen, daß zunächst bestimmte finanzielle Vorleistungen erbracht werden. Häufig wird von der Bewerberin verlangt, daß sie sich zunächst einen Computer, eine Strickmaschine oder Verpackungsmaterial bei eben dieser Firma kauft, bevor sie mit der Heimarbeit beginnen kann. Mit dem Ergebnis, daß diese Firma häufig hinterher den Betreffenden nichts abnehmen und auch nichts bezahlen mit der Begründung, das erstellte Produkt „sei nicht gut genug.“

Ingrid Rieskamp (fp)