Die Vertreibung der Contras aus dem Paradies

In den Contra-Lagern von Honduras bereiten die Comandantes ihren Absprung nach Miami vor, das Fußvolk aber blickt in eine unsichere Zukunft / Viele Contras sind sauer auf ihre Führer und fühlen sich von den Vereinigten Staaten ausgenützt  ■  Aus Honduras Ralf Leonhard

Frische Maisfelder stehen links und rechts der Straße, als ob es hier nie Krieg gegeben hätte. Nur gelegentlich erinnert eine Ruine am Wegrand daran, daß diese Gegend jahrelang Schauplatz heißer Gefechte war. Der honduranische Posten ist tief in die Erde eingegraben und hinter einem dicken Schutzwall von Sandsäcken verschanzt. Die letzten Kilometer vor der Ortschaft Las Trojes verlaufen wenige hundert Meter von der nicaraguanischen Grenze entfernt. El Paraiso - das Paradies - heißt diese fruchtbare Provinz im Osten des Landes. Nach dem letzten honduranischen Posten, der den Geleitbrief des zuständigen Brigadekommandanten prüft, beginnt „Klein-Nicaragua“, ein rund 400 Quadratkilometer großes Territorium, das völlig von den Contras besetzt ist. Das soll nun ein Ende haben. Am 7. August haben sich die Präsidenten Mittelamerikas darauf geeinigt, die Lager noch in diesem Jahr aufzulösen und die Contras zu entwaffnen. Bereits am nächsten Mittwoch wird eine von der UNO und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zusammengestellte Delegation in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa eintreffen, um Modalitäten der Umsetzung dieses Beschlusses auszuloten.

Von den honduranischen Soldaten unterscheiden sich die Contras durch ihr schlampigeres Auftreten: Viele laufen mit offenem Hemd oder ganz ohne Uniformbluse herum.

Doch tragen sie die gleichen US- amerikanischen Tarnanzüge wie die Honduraner. Um Verwechslungen zu vermeiden, hat man den einen ein Stück Stoff mit dem Wort „Honduras“ auf die rechte Brusttasche angenäht. Während die honduranische Armee mit US-amerikanischen Gewehren des Typs M-16 ausgerüstet ist, sind die Contras unbewaffnet.

Nur die Posten haben belgische FAL-Sturmgewehre oder sowjetische AK-47 (Kalaschnikow). Alle anderen holen ihre Waffen nur zum Exerzieren aus der Hütte.

Lagerleben

Wer von einem Partisanenlager spartanische Nüchternheit und eine konspirative Aura erwartet, der wird im Contra -Hauptquartier in Yamales enttäuscht. Die zerfurchte Staubstraße ist von Buden gesäumt, in denen vor allem die bunten Synthetikkleider und der billige Plastikschmuck ins Auge stechen. Aber auch Keramikgeschirr, Deodorants und Rasierwasser verkaufen sich immer besser, wie ein Handelsvertreter erzählt, der alle paar Monate hier vorbeikommt und Aufträge entgegennimmt. Manche Händler sind Honduraner mit einem pragmatischen Sinn fürs Geschäft, andere Budenbesitzer sind Familienangehörige der Contras, die eine Lizenz erworben haben und ihre Steuer an die honduranischen Behörden abführen müssen. In jeder Kurve lockt ein Stand mit Erfrischungsgetränken, Zigaretten und Knabbergebäck. Entlang einer Strecke von mindesten fünf Kilomtern stehen links und rechts die Lager, organisiert nach Bataillons von rund 700 Mann. Insgesamt haben hier 12.000 Contra-Kämpfer eine zweite Heimat gefunden. Aus provisorischen Unterkünften, die aus ein paar in den Boden gerammten Ästen bestanden, überdacht von Plastikplanen, sind längst solide Holzhütten geworden, die teilweise mit Wellblech gedeckt sind. Manche haben sogar ein Vorhängeschloß vor der Tür. Die Contras haben sich's gemütlich gemacht in diesen letzten Monaten. Seit Waffenruhe herrscht und die honduranische Regierung die Existenz der Lager nicht mehr beharrlich bestreitet, ist aus Yamales ein richtiges, stattliches Dorf geworden. Manche Kämpfer wohnen sogar innerhalb des Lagers mit einer Frau zusammen, andere haben unter den Kameraden einen gefunden, mit dem sie die Eintönigkeit des Lagerlebens teilen können.

Diese Idylle soll bald ein Ende haben. Seit die Demobilisierung der Contras beschlossene Sache ist, herrscht bei den Contras Unruhe und Verunsicherung. „Die Sandinisten haben schon viel unterschrieben und nie Wort gehalten. Wenn wir nach Nicaragua zurückgehen, dann nur mit der Waffe in der Hand“, lautet die stereotype Antwort, die man von den Comandantes bis zum letzten Teenager in Uniform bekommt.

Doch haben die Sprüche von der großen Invasion eher propagandistischen Wert. Seit dem Präsidentengipfel wächst der Strom derer, die sich repatriieren lassen, immer mehr an. Durch eine kleine Furt und über eine steile, holprige Straße, die nur in einem Jeep mit Vierradantrieb zu bewältigen ist, gelangt man zum „Strategischen Kommando“, dem Sitz des Contra-Generalstabs.

Strategisches Kommando

Ein Posten, mit einem nagelneuen FAL-Sturmgewehr bewaffnet, ruft über sein Feldtelefon hinauf, ob unser Besuch genehm ist. Wir müssen warten. Währenddessen erhebt sich oben ein Hubschrauber, den Kollegen aus den USA als CIA-Helikopter identifizieren. Wenig später empfängt uns Comandante Ruben, der „G-5“ - der Verantwortliche für Zivilangelegenheiten des Generalstabs. Das Hauptquartier der Contras besteht aus einer Anzahl stabiler Bretterhütten hinter einem gut bewachten Stacheldrahtzaun. Ein Dieselmotor versorgt die Computeranlage, den Fotokopierer und anderes für eine Rebellenarmee unentbehrliche Gerät mit Strom. An den Wänden des Büros von Comandante Ruben hängen markige Parolen und unvergeßliche Worte der Oberkommandierenden. An einer Pinnwand ein Rundschreiben des Generalstabs an alle Einheiten: Darin wird allen, die die Menschenrechte verletzen sollten, mit Entzug der Lebensmittelrationen gedroht, die von der US-Entwicklungshilfeagentur AID verteilt werden. Daneben die Kopie eines Briefes von ein paar Abgeordneten des US-Kongresses, die den Contra-Chefs zur Verbesserung der Menschenrechtslage gratulieren. Ruben fühlt sich von den USA hintergangen: „Die Vereinigten Staaten haben eine ungute Rolle gespielt“, beklagt er sich, „sie benützen uns als Druckmittel. Sie haben uns nicht geholfen, damit wir den Krieg gewinnen, sondern haben uns in den Tod geschickt.“ Über 6.000 Tote habe sie der Kampf gegen den Kommunismus gekostet. Für 1.400 Schwerverletzte hat eine Gruppe von Comandantes vor kurzem in Washington den Status von US-Kriegsversehrten beantragt. „Schließlich haben wir die Interessen der USA verteidigt“, begründete dies einer der Contra-Chefs.

Oscar Sobalvarro alias Comandante Ruben war Mitglied der sechsköpfigen Delegation von Feldkommandanten, die vor dem Präsidentengipfel die Staatschefs von Costa Rica, Honduras, Guatemala und El Salvador besuchten und abschließend von George Bush in Washington für 15 Minuten empfangen wurden. Auch mit Senatoren und Kongreßabgeordneten, die ihre Sache immer unterstützt haben, bekamen die Comandantes einen Termin. Sie hatten den Eindruck, daß die zivilen Chefs, die in luxuriösen Villen in Miami wohnen, ihre Angelegenheiten nicht zufriedenstellend vertreten. „Die Politiker haben uns nichts gebracht“, meint Modesto, der dem Bataillon Ismael Castillo Urbina vorsteht. Comandante Ruben ist der Meinung, daß es ein Fehler war, im März 1988 das Waffenstillstandsabkommen von Sapoa mit den Sandinisten zu unterzeichnen: „Damals hatten wir noch einen Teil der 100 Millionen Dollar Waffenhilfe.“ Die Comandantes Tono und Fernando, die damals für die Truppen unterschrieben, sind inzwischen aus dem Generalstab gesäubert worden. „Die leben in Miami von Gelegenheitsarbeiten“, erzählt Ruben. Seit dem Abkommen von Sapoa herrscht eine fragile Waffenruhe, die von Nicaraguas Regierung allmonatlich um 30 Tage verlängert und von den Contras akzeptiert wird. Alle Berichte über zunehmende Verletzungen der Waffenruhe weist Ruben zurück: „Das sind Überfälle, die die Sandinisten selbst inszenieren, damit uns die humanitäre Hilfe gestrichen wird.“ Doch die Beweise für stetige Übergriffe der Contra-Banden sind so stichhaltig, daß eine Gruppe von 83 Kongreßabgeordneten US -Außenminister Baker aufgefordert hat, eine Untersuchung darüber einzuleiten, ob tatsächlich nur „humanitäre Hilfe“ an die Rechtsrebellen ausgeschüttet wird. Schließlich hatte Präsident Bush es ja als seinen ersten außenpolitischen Erfolg gefeiert, daß sich beide Parteien des US-Kongresses im vergangenen April darauf geeinigt haben, über 60 Millionen Dollar an nicht-tödlicher Hilfe für die Contras bereitzustellen. Diese Mittel sollten für die Repatriierung verwendet werden, falls die Präsidenten einen konkreten Demobilisierungsplan unterzeichnen sollten. Die Situation ist jetzt eingetreten.

Comandantes seilen sich ab

Was die Truppen wirklich über die Repatriierung denken, ist kaum in Erfahrung zu bringen, denn in Anwesenheit des Sicherheitsoffiziers, der uns von Ruben „zum Schutz“ mitgegeben wird und der keinen Schritt von unserer Seite weicht, wiederholen alle immer nur dieselbe Botschaft, als hätten sie sie auswendig gelernt: „Wir werden in Nicaragua kämpfen, bis Demokratie herrscht.“ Was Demokratie bedeutet, ist weit weniger eindeutig: „Wenn die Kommunisten weg sind“, meint einer scharfsinnig; „ein System wie hier in Honduras“, erklärt ein anderer. Über die Details des Demobilisierungsabkommens wissen nur die Chefs Bescheid. Die Truppen wurden davon unterrichtet, daß es dieses Dokument gibt und daß die längst zur Heimat gewordenen Lager in Honduras aufgelöst werden müssen. Doch während den Truppen Durchhalteparolen eingetrichtert werden, basteln die Kommandanten längst an ihrem Sprungbrett in die USA.

„Seit dem Abkommen der mittelamerikanischen Präsidenten von Anfang August haben wir eine anhaltende Zunahme an Asylanträgen verzeichnet“, berichtet Guillermo Chirinos, der Missionschef des „Comite Intergubernamental de Migracion“ in Tegucigalpa, „alle von Nicaraguanern.“ Die Organisation mit Sitz in Genf, die bei Ein- und Auswanderungsschritten behilflich ist, wurde von der US-Botschaft betraut, unter denjenigen, die in die USA auswandern wollen, eine Vorauswahl zu treffen. Ob es sich bei den Antragswerbern um Comandantes oder Fußvolk handelt, weiß Chirinos nicht: „Es ist auch gar nicht meine Aufgabe, das herauszufinden. Die Leute melden sich ja hier mit ihrem bürgerlichen Namen.“ Indirekt bestätigt er damit die Aussagen eines Contra -Kommandanten in der Hauptstadt, der seinen Namen geheimgehalten wissen will.

Schließlich ist kaum anzunehmen, daß die einfachen Campesinos, aus denen sich die Contra-Truppen mehrheitlich rekrutieren, von dieser Organisation wissen. Und wer die Lagerdisziplin kennt, der weiß, daß nur die Vorgesetzten ungehindert in die Stadt reisen können. „Eine Erlaubnis, das Lager zu verlassen, wird nur ausnahmsweise ausgestellt“, bestätigt Modesto, „etwa für einen Krankenbesuch bei Verwandten.“ Der jeweilige Bataillonskommandant muß ein Schreiben an den Generalstab richten, und der setzt einen Geleitbrief auf, der von den honduranischen Migrationsbehörden im nahegelegenen Capire nur routinemäßig gegengezeichnet wird.