„Von irgendwo nach nirgendwo“

■ Wohnungslose in Bremen - Ein Stimmungsbild in der Nichtseßhaftenhilfe / Alkoholverbot und Bildzeitung / Von Birgitt Rambalski

„Nichtseßhaftenhilfe“ steht auf dem schlichten Hinweisschild vor der Bürotür. Der Weg dorthin führt nicht durchs marmorne Entre'e am Haupteingang zur Martinistraße 28: Hierhin gelangt man nur über den schmalen Gang hinter dem Seiteneingang. Auf den vor ewigen Zeiten hoffnungsvoll lindgrün gestrichenen Wänden haben sich zahlreiche Menschen verewigt. „Wir sind noch lange nicht tot“, steht da zum Beispiel geschrieben. Und „wir lassen uns nicht BRDigen.“ Und den feuerrot emaillierten (nicht entflamm

baren?) Papierkorb hat einer sehnsüchtig verziert mit: „Ich bin wie ein Kühler vom Norden, hab Temperament wie vom Süden, ich komme vom Westen und will zum Osten.“ Gezeichnet hat er mit „Der Vagabund“. Daneben sitzt ein ebensolcher auf dem Holzbänkchen; wartet geduldig, daß die Behördentüre sich öffne. M. hat die letzte Nacht mal wieder im Park verbracht. Zum Glück hat es nicht geregnet, so daß der grüne Filzhut mit den romantisch-kitschigen Hirschhorn- und Silberknopf -Imitaten nicht naß

wurde.

Noch rund ein Dutzend anderer Männer warten an diesem x -beliebigen Bremer Morgen im kahlen Flur vor der Anlaufstelle für Nichtseßhafte auf ihre „Bedienung“. In den Gebäuden des Sozialamtes ist das Mitbringen von Alkohol streng verboten, signalisieren Schilder den Ankömmlingen. Bis dahin sind sie schon an einem idyllisch aquarellierten Landschaftstriptychon vorbeigegangen. Das Kunstwerk erreicht sie nicht.

Die meisten haben ihre Reisetaschen und Plastiktüten vor sich unter die Bank geschoben. Es ist kurz nach acht. Der Tag beginnt für diese speziellen Bremen-Touristen mit Warten: Erst vorne den Paß abgeben - dann warten, bis du aufgerufen wirst. Eine Bild-Zeitung macht die Runde. Ungeduldig schauen sie auf die verschlossene Bürotür, die offensichtlich schon einmal eingetreten wurde.

„Dauert das immer so lange?“ B., mit deutlich Berliner Sprachfärbung, sieht auf die Uhr. Glattrasiert, das graumelierte Haar korrekt gescheitelt, im modisch knappen Jeansanzug mit digitaler Armbanduhr sitzt mit B. alles andere als ein Klischeebild vom obdachlosen Nomaden im Warteflur. Doch auch er hat seinen Paß am Eingang abgegeben und wartet darauf, ins Büro gerufen zu werden, wo die hilfreichen Scheine zum Lebensunterhalt verteilt werden.

Mittlerweile kommt K. aus dem Zimmer, stolz mit vier weißen Papierschnipseln wedelnd: „14 Mark hat's gegeben“, verkündet er lautstark. Kollege F. raunzt von der Seite dazwischen: „Weißte wieviel 's in Lüneburch jibt?...Jar nüscht jibt's da! da sag'n se dir nur: Jeh erst mal rin in Knast, denn krichste och was.“ Ein anderer erzählt von Verden, wo es nur 12 DM gebe, ein weite

rer erinnert daran, daß es bis zur Erhöhung vor wenigen Wochen nur 13,20 Mark gegeben hat.

Einige waren schon öfter in der Martinistraße. Sie kennen sich aus und kennen die Sätze. „Hier kriegt man genau, was einem zusteht. Die haben ihre Vorschriften,“ klärt S. den offensichtlich neuen B. auf. Für ihn muß erst noch eine Karte angelegt werden, deshalb dauert es ein bißchen länger mit seiner Abfertigung. Die andern warten, bis auch er die Scheine hat. Dann zieht das Vierergrüppchen, das in einer „Pension“ zusammen übernachtet hat, gemeinsam wieder los. Über den Flur tönt unterdessen ein anderer Klient. Daß es unverschämt lange dauert, mosert er. Daß man „denen da drinnen“ den Schreibtisch zerspalten sollte. „Schreiben sollen die - und nicht reden. Davon kann ich mir nix kaufen“, sagt er. Und daß er nicht weiß wohin, weil er als Seemann gearbeitet und noch Geld zu kriegen hat. Jetzt

sitzt er auf der Straße, weil er die Bleibe nicht zahlen kann. Und der Kapitän ist nicht zu erreichen, hat auf seinen Brief einfach nicht reagiert. Dem schüchternen jungen Mann mit der Milchtüte in der Hand, der ihm geduldig zuzuhören scheint, erzählt er lautstark seine frühere Geschichte: Daß in Kassel alles viel besser war. Daß er dort in einem Motel unterkam, für wenig Geld. Und daß er dort „eine Anschaffen schickte“: „Das ist eh das beste“, brüstet er sich. „Nur muß sie bis zehn Uhr mit dem Bumsen fertig sein, weil du dann die Zimmer räumen mußt.“

Kurzzeitig wird das Palaver zwischen dem tätowierten Prahler und dem milchtrinkenden Jüngling unterbrochen: Zwei Mädels im kurzen Rock torkeln auf Stöckelschuhen, die Augen glasig verdrehend, über den Flur. Noch fertig von der vergangenen Nacht suchen sie Zimmer 14. Dahin wurden sie vom Sachbearbeiter aus dem ersten Stock geschickt. Die Tür ist jedoch verschlossen. „Scheiße. Leck mich doch am Arsch“, fluchen die beiden und stolpern kurzerhand wieder weg und pfeifen für heute auf den Beamten W.

Fünfmal ist unterdessen der Sachbearbeiter hinter der Tür „Nichtseßhaftenhilfe“ mit Unterlagen in der Hand zum Kopieren oder sonstwohin verschwunden. Mürrisch, genervt, mit zerknautschtem Gesicht. Den Blick immer streng zu Boden gerichtet. Jedesmal schließt er die Tür hinter sich ab. Jedesmal bohren die Wartenden ihm eisige Blicke in den Rücken. 50 Minuten sind inzwischen vergangen, an diesem x -beliebigen Mittwoch-Morgen im Bremer Sozialamt. Und als „Herr Rosenthal“ aufgerufen wird, der eigentlich „Rosenberg“ heißt, da greifen sich seine wartenden Begleiter kopfschüttelnd an die Stirn.