Polnische Botschaft „befreit“

■ Aktion des polnischen Sozialrats auf dem ehemaligen Botschaftsgelände / Nach der Rückgabe: Kulturzentrum oder Hotel?

Die Fahnen hat Witold Kaminski nur ungern hiergeschleppt, weil er eigentlich überhaupt keine Nationalflaggen mag. Diesmal mußte es sein, schließlich wollte der „Polnische Sozialrat“ das ehemalige Botschaftsgelände fünfzig Jahre nach Enteignung durch die Nationalsozialisten symbolisch „befreien“. Die Entscheidung der Bundesregierung, das Grundstück nun doch an Warschau zurückzugeben, hat Witold überrascht. Jetzt flattern die beiden Stücke am improvisierten Eingang, einem Loch im Zaun, das die riesigen Werbetafeln gerade noch freilassen. Links plädiert Manfred Krug „für Zuspruch“ - allerdings nicht für die Befreiung, sondern für Bier, rechts präsentiert sich das Plakat einer Bausparkasse unfreiwillig polnisch - in Rot/Weiß.

„Freier Zutritt für alle, kein Visum, kein Zwangsumtausch“. Krystof lädt per Megaphon auf polnisches Gebiet ein. Die ersten setzen vorsichtig ihren Fuß über die Zaunlatten auf das verstrüppte Grundstück. Bierdosen, weggeworfene Spritzen und Kondome zeugen von wenig diplomatischen Geschäften. Kaum vorstellbar, daß hier einmal ein deutsch-polnisches Kulturzentrum stehen soll. Eben das wünschen sich die MitarbeiterInnen vom Polnischen Sozialrat .“ Noch ein Mahnmal sei Platzverschwendung. Und überhaupt findet Witold Kaminski den Gedenkmarathon zum 1. September „ein wenig zum Kotzen“. „Die Geschichte wurde nie erarbeitet, sondern durch Gedenktage und Feierlichkeiten ersetzt“. Auch die alte Nachbarin aus der Genthiner Straße kann sich ein Kulturzentrum in ihrer Nähe vorstellen. Daß Polen das Grundstück zurückerhält, findet sie völlig in Ordnung. Ganz im Gegensatz zu einer Rentnerin, nach deren Ansicht die Polen schon viel zuviel von ihren Steuergeldern erhalten. Sollen doch die Polen das Gelände „den armen Deutschen“ zurückgeben.

Die würden, wenn sie könnten, gerne ein Hotel draufbauen. Schon vor eineinhalb Jahren wurde ein privater Wettbewerb ausgeschrieben, der Bebauungsplan steht. Geplant sei ein „Hotel der gehobenen Mittelklasse“, sagt Elisabeth Ziemer von der Schöneberger AL. Von dem verspricht man sich im Bezirksamt offenbar „soziale Kontrolle“ über Junkies und Prostituierte in der Umgebung. Daß sich die polnische Regierung auf einen Verkauf gegen westliche Devisen einläßt, können sich die Leute vom Sozialrat durchaus vorstellen.

Bislang hat keiner von einer offiziellen Reaktion der polnischen Behörden auf die Rückgabe gehört. Ob der Traum vom Kulturzentrum Wirklichkeit wird, steht in den Sternen. Angelockt von den Fahnen und der Megaphonstimme unterbrechen ein paar Jungen ihr Fußballspiel auf dem anliegenden Bolzplatz. Daß da irgend etwas mit dem Gelände passiert ist, wissen sie aus der „Abendschau“. Die Tatsache, daß dieses wildwuchernde Grundstück jetzt einem anderen Land gehört, flößt Respekt ein. Ob er denn auch in Zukunft über den Zaun klettern darf, um den Ball wiederzuholen, fragt einer. In Abwesenheit offizieller Repräsentanten der polnischen Regierung erhält er von Kryzstof die Erlaubnis, das Leder jederzeit und ohne Visum aus polnischem Gebüsch zu fischen.

anb