MANAGER IM MATSCH

■ Überlebenstraining für Führungskräfte in den Vogesen

Manager aus höchsten Führungspositionen, die kollektiv durch den Morast laufen und das Überleben in der freien Natur lernen wollen, das gibt es.

Ein Reiseveranstalter, der organisierte Abenteuer-Reisen anbietet, bringt Manager während zweieinhalb Tagen in den Vogesen dazu: „Selbsterfahrungslehrgang“ wird diese Art des Umgangs des zivilisierten Menschen mit den Widrigkeiten in freier Wildbahn der wilden Berge bezeichnet.

Die meisten der teilnehmenden Führungskräfte sind älter als 40 Jahre und zum größten Teil nicht in der besten körperlichen Verfassung. Sie werden von ihren Unternehmen für diese Kurse angemeldet. Der Veranstalter „Tour Extrem“, 1987 von Peter Schließmann (25) gegründet, hat Festverträge mit der Firma Nixdorf und dem Genossenschaftsverband der Banken in Frankfurt. Die Nachfrage nehme zu.

Das Überlebenstraining beginnt so: Am ersten Abend führt der Trainer die gerade eingetroffene Gruppe nachts ins dichteste Unterholz. Der Boden ist schlammig und feucht. Eine kleine Lichterkette weist den Weg durch einen Sumpf. „Dies ist der sicherste Weg“, sagt Schließmann seinen Teilnehmern, bevor er in einen trockenen Bereich der Dunkelheit abtaucht, um die ihm anvertrauten Männer heimlich zu beobachten.

Die Gruppe fängt zunächst an zu diskutieren, bevor neun der zehn Manager Schließmanns Anweisungen folgen und durch den Matsch laufen. Nur der zehnte guckt sich um, wählt und läuft eigenmächtig ums Hindernis herum. Auf einem trockenen und problemlosen Weg.

Ziel und Sinn der Übung sei es, so der Trainer, der einst Bundeswehroffizier bei den Fallschirmjägern war und seine eigene Philosophie vom Umgang mit Menschen entwickelt hat, herauszufinden, „wer mitdenkt und wer Angst hat“.

Dies sei wichtig, denn am folgenden Tag wird eine Schlucht auf einem Seil überquert. Die Schlußfolgerung aus dem Test am Vorabend: „Wer durch den Sumpf gelaufen ist, dem kann man sagen, daß er die Hand fest um das Seil schließen soll - das wird er dann auch machen, egal wie lange. Bei denen, die mitdenken, muß man vorsichtiger sein, denn die werden ihren eigenen Kram machen. Man muß also wissen, wen man anschreien und mit wem man vernünftig reden muß.“ Neun von zehn Managern reagieren nur auf Anschreien?

Viele Teilnehmer seien im Anblick des Seiles und des drunter gähnenden Abgrundes „knatschig und fangen an zu nöhlen“. Damit auch alle über das Seil robben, das bei dieser Technik im Schritt einschneidet, muß es zuerst der Stärkste der Gruppe vesuchen, gefolgt von dem Schwächsten. „Falls der Schwächste hängenbleibt, geht nichts mehr“, sagt Schließmann. „Aber wenn er rüberkommt, dann kommen alle rüber.“

Während der Tage, die die Manager miteinander verbringen und ihr Überleben sichern müssen, darf nicht geraucht, kein Alkohol, kein Kaffee getrunken und kaum etwas gegessen werden. Belastungsgrenzen sollen überschritten werden.

„Die Männer sind meist extrem festgefahren und sehr weit oben in ihrem Beruf. Sie haben eine harte Schale, können diskutieren und beherrschen die Rhetorik. Sie sollen lernen, nicht nur aus dem Intellekt, sondern mehr aus dem Bauch heraus zu handeln. Ohne ihre Positionen sind sie Menschen wie alle anderen auch.“ Ach so. Und damit die gestreßten Kopfmenschen wieder zu ihren Wurzeln zurückfinden, stolpern sie über solche im Wald.

Das Interesse der Firmen, die ihre Mitarbeiter zu solchen Selbsterfahrungstrainings schicken: Die Körperlichkeit soll als Erfahrungswert mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. „Wenn die Beine nicht mehr laufen können, kann es der Kopf bald auch nicht mehr.“ Gesunder Körper, gesunder Geist.

Zudem werden Kurse dieser Art geboten, um innerbetriebliche Probleme zu lösen. Zum Beispiel: „Wenn sich die Mitarbeiter aus Marketing und Produktion nicht verstehen und nicht kooperativ“, also produktiv, „miteinander umgehen können.“

Wird eine Steilwand erklommen, müssen sich diejenigen, die sich nicht verstehen und zwischen denen es bisher immer zu Streitigkeiten kam, gegenseitig sichern. Sie müssen also kooperativ sein und sich vertrauen. Nach diesen Übungen werde „entweder das Verhältnis zwischen den beiden besser oder der Gegensatz größer. Dann muß eine klare Linie verfolgt werden, und der Betrieb muß Konsequenzen ziehen.“ Ob nun durch Versetzungen oder Kündigungen, sei dann Sache des Bosses.

Der Manager als Individuum soll mit dem Gefühl, „seine bisher gekannte Leistungsfähigkeit überschritten und mit einem 'ich habe gedacht, ich sterbe, das schaffe ich nicht'“ das Überlebenscamp verlassen.

Zum Abschluß der ereignisreichen Tage soll die Gruppe „so fertig sein, daß keiner aggressiv“ aus dem Training geht. Entweder „man pumpt sie völlig aus, oder man gibt ihnen Frauen“. Ein Mann spricht darüber, wie Männer zu handhaben sind.

Es wird das „Auspumpen“ gewählt und „zumeist ein Notfall mit dem dicksten oder dem unbeliebtesten Teilnehmer simuliert“. Der Trainer verbreitet Aufregung und Hektik, immerhin geht es um ein dahinsterbendes Menschenleben, auch wenn es unbeliebt ist. Die Teilnehmer müssen flugs eine Trage bauen und, ausgemergelt wie sie sind, noch einen oder zwei Kilometer mit nicht unbeträchtlichem Zusatzgewicht rennen.

„In der Unterkunft geht dann die Tür auf, und da steht dann riesiges Buffet.“ Daß der „Notfall“ nur gespielt ist, sagt Schließmann, würde keiner der Teilnehmer (der Simulant sicherlich) bemerken. „Sie sind so fertig, daß sie nichts mehr mitbekommen. Viele sind nach dem ersten Bier schon hinüber und dann ab in die Heia.“

Annsze Weber