„MC“ wie Mafia Cubana

Eine Rekonstruktion der Drogendeals und Schmuggelgeschäfte, für die vier hohe kubanische Offiziere im Juli hingerichtet wurden / Quelle: die Gerichtsprotokolle, die die Parteizeitung 'Granma‘ veröffentlicht hat / Ein Angeklagter nannte die Abteilung „MC“ des Innenministeriums eine „autorisierte Mafia“  ■  Von Tom Garcia

Auch nach der Hinrichtung von vier hohen Offizieren im Juli gehen die Militärgerichtsprozesse wegen Amtsmißbrauch und Korruption in Kuba weiter. Als nächstes wird das Urteil gegen den abgesetzten Innenminister Jose Abrantes erwartet. Am MOntag hat der Staatsanwalt für ihn 20 Jahre Gefängnis, für sechs seiner Beamten Strafen zwischen acht und 15 Jahren gefordert.

Wo liegt er begraben, der erschossene Held? Auf dem Colon, sagen die Leute, dem Riesenfriedhof im einstmals vornehmen Viertel Vedado. Die Nekropole von Havanna umfaßt mehr als 800.000 Grabstätten, da wird es schwer, die des Generals zu entdecken, zumal die Behörden daran wenig Interesse haben dürften. „Hier liegt Arnaldo Ochoa, zum Tode verurteilt wegen Korruption und Beteiligung am Drogenhandel, erschossen am 13.Juli 1989 im Morgengrauen“ - diese Grabinschrift wird dem Suchenden mit Sicherheit den Weg nicht weisen.

Dem Tod und damit dem Cementerio Colon war Ochoa sein Leben lang nahe. Blutjung nahm er am Kampf in der Sierra Maestra gegen den Diktator Batista teil. Nach dem Sieg der Revolution zog er die Hauptmannsuniform nicht aus, sondern begann eine Karriere als Berufsrevolutionär, was auf kubanisch heißt, als „internacionalista“ die Revolution rund um den Globus zu befördern. In den Sechzigern lautete die Losung des Che, „ein, zwei, viele Vietnams“ zu schaffen, und so verschwand Ochoa in Richtung Südamerika. Venezuela oder Bolivien? Nichts wird später, beim öffentlichen Verhör, über diesen Zeitabschnitt, der sich bis Mitte der siebziger Jahre hinzieht, im Detail bekannt werden. Damals wäre ihm - im Todesfall - bereits ein Ehrenplatz auf dem Colon sicher gewesen.

1977 übernimmt er dann das Kommando der kubanischen Truppen in Äthiopien. Er macht durch unkonventionelle Führung und trickreiche Militäroperationen von sich reden, und sein Name taucht in den Medien immer öfter auf, ungewöhnlich für einen Truppenkommandeur.

Bald schon rufen neue Aufgaben. die sandinistischen Freunde befinden sich in arger Verlegenheit, das Jahr 1983 ist - aus heutiger Sicht - vielleicht das einzig erfolgreiche der Contra. Ochoa übernimmt das Kommando des Beraterkontingents in Nicaragua. Dort hält er das erste Mal eine Menge Dollars in der Hand: Das sandinistische Heer benötigt dringend leichte Waffen. Die eigenen Kanäle über Panama und Costa Rica sind zu dieser Zeit bereits verstopft, und so übergibt man Ochoa 120.000 Dollar in bar mit der Bitte, M-79 Mörser und passende Granaten zu besorgen.

Diese Aufgabe überträgt er seinem Adjutanten und engen Vertrauten seit Äthiopien, dem Hauptmann Jorge Martinez Valdez. Der deponiert das Geld bei der „Banco Bilbao Vizcaya“ in Panama. Er benimmt sich jedoch beim Waffendeal wie ein Anfänger und zahlt einem Kontaktmann 45.000 Dollar, die er nie wiedersehen wird. (Diesen Fehlbetrag wird er später damit ausgleichen, daß er aus Angola 2.000 Mörsergranaten abzweigt und nach Nicaragua schickt.) Doch mit der Zeit faßt er in dem Gewerbe Fuß und besorgt in Panama auch sensibles Gerät, wie amerikanische Infrarot -Nachtsichtgeräte.

Blockadebrecher

Hier in Panama trifft er auf Kubaner, die einer Aufgabe nachgehen, die daheim zu den bestgehüteten Geheimnissen zählt. Hinter harmlosen Firmenbezeichnungen wie „Interconsult“, Cimex oder „EuroCaribe“ verbirgt sich der Versuch, die seit 1962 bestehende Wirtschaftsblockade der USA zu unterlaufen. Die geheimnisumwitterte Abteilung „MC“ im Innenministerium in Havanna hat die Aufgabe, Medizintechnik und Laborgeräte, Medikamente, Computertechnik und Unterhaltungselektronik zu beschaffen - „alles, was unserem Land von Nutzen sein konnte“, wie die Parteizeitung 'Granma‘ später nach der Entdeckung der Drogenaffäre schreiben wird. Schätzungen besagen, daß zum Imperium des Departamento „MC“ mehrere hundert Tarnfirmen gehören.

Die Kubaner sind seit der Machtübernahme durch General Torrijos 1968 in Panama. Einer der späteren Hauptangeklagten, der Major Amando Padron, hielt sich von 1970 mit kürzeren Unterbrechungen bis Mitte der achtziger Jahre dort auf. Bei einem Monatsverdienst von 750 Dollar bauen sie eine gut funktionierende Infrastruktur für ihre Geschäfte auf. In ihren Diensten stehen Kenner der Szene, zum Beispiel Moscoso, ein ehemaliger Zollbeamter des internationalen Flughafens, der neben nützlichen Tips auch über einschlägige Kontakte verfügt.

Über Moscoso laufen auch Kontakte zum Kokain-Kartell von Medellin. Die kolumbianische Mafia beherrscht die Produktion von Kokain und - gemeinsam mit den Exilkubanern in Miami lange Zeit auch den Vertrieb in den USA. Moscoso macht den Chefs von „MC“ den Vorschlag, die Devisenkasse der Abteilung mit kleineren Drogengeschäften aufzubessern. In Havanna findet 1986 ein Gespräch mit dem Chef der geheimen Abteilung, dem Oberst Antonio („Tony“) de la Guardia, statt. Der, ein alter Fuchs mit langjährigen Erfahrungen bei der Polizei, den Grenztruppen und Spezialeinheiten, krönte seine Laufbahn mit der Übernahme der Abteilung „MC“. Hier hat er das Kommando über 30 hochmotivierte und effizient arbeitende Offiziere, die teils im Land arbeiten, teils in Panama, Mexiko oder der Karibik stationiert sind.

Bei den späteren Verhören wird sich herausstellen, daß nicht so sehr ihre volkswirtschaftlichen Kenntnisse, sondern ihre Erfahrungen im Sicherheitsapparat entscheidend für ihre Versetzung zum Departamento waren. Der eine kam vom Zoll und hatte bei einer spektakulären Aktion eine Flugzeugentführung vereitelt, eine andere kam direkt vom Geheimdienst, der dritte diente zuvor in der Spionageabwehr, und allen gemeinsam waren die „internationalistischen Missionen“. (Details am Rande: Zwillingsbruder Patricio de la Guardia war gemeinsam mit anderen Kubanern am 11.September 1973 in Santiago de Chile in einem Sondereinsatz, ein anderer Bruder fiel in Venezuela.)

Diejenigen, die in Kuba arbeiten, sind verantwortlich für den Luft- oder Schiffstransport, haben Beziehungen. Ihr Ausweis verschafft ihren Zugang zu jeder Information, ohne daß sie Auskunft über ihre Absichten geben müssen. Das Minint (die in Kuba übliche Kurzbezeichnung für das Innenministerium, dem auch der Geheimdienst angeschlossen ist) stellt die Macht im Lande mit den weitreichenden Vollmachten dar.

„MC“ besitzt eigene Flugzeuge, eigene Jachten, Schnellboote und Handelsschiffe, einen exklusiven Wagenpark, organisiert problemlos die Ein- und Ausreise und verfügt über nicht kontrollierbare Gelder. Die Mitarbeiter der Abteilung kennen keine Sorgen. Sie fahren mehrere Autos, tauschen Dollars zum streng verbotenen Schwarzmarktkurs 1:6 und kaufen sich damit Häuser in vornehmen Gegenden. Einer von ihnen, der Angeklagte Eduardo Diaz, bezeichnet das Unternehmen als eine Art „autorisierte Mafia“.

Kontakt zum Kartell

von Medellin

Der Vorschlag, mit dem Kartell von Medellin in Geschäftsbeziehungen zu treten, muß Tony de la Guardia nicht überrascht haben. Seit langem weiß er, daß die Leute, mit denen er den High-Tech-Schmuggel betreibt, parallel mit Drogen dealen. Die Hemmschwelle ist daher rasch abgebaut, und Ende 1986 vereinbaren Abgesandte beider Organisationen bereits konkrete Projekte. Bald schaffen Tonys Flugzeuge die ersten kleineren Sendungen nach Varadero an Kubas Nordküste. Auf dem streng abgeschirmten militärischen Teil des Flughafens wird der Stoff, in Kisten mit dem Aufdruck „IBM“ oder „EPSON“ verstaut, ausgeladen und in einem sicheren Haus in Villa Tortuga zwischengelagert. Dort erhält es eine neue, fluoriszierende Verpackung, wird mit einem Boot (das bezeichnenderweise den Namen „Ali Baba“ trägt, auf hohe See geschafft und auf Schnellboote umgeladen.

Die Karriere des Arnaldo Ochoa macht unterdessen weitere Fortschritte. Zur Beförderung zum Divisionsgeneral kommt die Auszeichnung mit dem außerordentlich selten verliehenden Orden „Held der Republik“ für, wie es in der Begründung heißt, „Ehrlichkeit, Selbstlosigkeite und Reinheit“, und auf dem Parteitag 1986 folgt die Wahl ins Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Kurze Zeit später erhält er das Kommando über die seit zwölf Jahren in Angola gegen die Unita und südafrikanische Truppen kämpfenden 50.000 kubanischen Soldaten.

Zur gleichen Zeit etwa wird bekannt, daß Kuba beim Stand von etwa fünf Milliarden Dollar Schulden bei westlichen Kreditoren das Handtuch wirft und die Rückzahlung einstweilen unterbricht. Die Misere bekommt auch die Truppe in Angola zu spüren. Der Finanzchef Ochoas kommt ohne Geld aus Havanna zurück, und Ochoa rät: „Verkaufe doch ein bißchen Zucker.“ 100 Tonnen sind schnell auf dem angolanischen Schwarzmarkt abgesetzt. Bald kommen zum Zucker noch Fleisch, Rum, Kaffee, Edelhölzer, Lastwagen, Diesel und Flugbenzin.

Im Hafen Point Noire in der Nachbarrepublik Kongo finden Ochoas Leute ideale Bedingungen für eine zollfreie Verschiffung. Dort läßt Ochoa durch seinen Adjutanten Elfenbein aufkaufen, von dem er später beim Verhör berichtet, „das konnte man so billig wie einen Fernseher kaufen“. Unterdessen arbeitet im Hauptquartier der kubanischen Truppen bereits eine „Spezialgruppe für Devisenangelegenheiten“, eine Art lokale Abteilung „MC“.

Die Geschäfte beginnen, den bisherigen organisatorischen Rahmen zu sprengen. Ochoas Partner bei den in Angola stationierten Truppen des Innenministeriums ist General Patricio de la Guardia, der Zwillingsbruder des „MC„-Chefs. Patricio war zuvor Generalstabschef im Innenministerium und damit einer der einflußreichsten Männer in Kubas Sicherheitshierarchie. Die beiden verbinden unkonventionelle Geschäfte: Als der angolanische Staatschef Dos Santos Ochoa bittet, fünf Transportflugzeuge vom Typ C-130 „Hercules“ und zwei Batterien weitreichender G-5-Geschütze aus US -Produktion zu besorgen, geht die Bestellung über Patricio an Tony. Der verbummelt aber das Geschäft, sodaß die Angolaner zwar fünf Millionen bezahlen, aber nie die Ware sehen und das Geld von Kuba zurückfordern.

Verhandlungen mit

Drogenzar Escobar

Bald wird eine regelrechte Handelsstraße zur Abteilung „MC“ aufgemacht, gelangen so Elfenbein und Diamanten zu Tony, der sie meistbietend auf den Markt bringt und den Erlös auf das Bankkonto in Panama einzahlt. Adjutant Martinez wird nach Havanna geschickt, um die Koordinierung der Geschäfte mit Tony zu besprechen. Im April 1988 kommt es zu einem Treffen, an dem auch drei Kolumbianer teilnehmen. Die stellen sich als Abgesandte des Drogenzars Pablo Escobar vor und unterbreiten den Vorschlag, auf Kuba ein Kokainlabor einzurichten und eine Falschgeldproduktion mit Dollarnoten aufzumachen. Man kommt überein, daß Ochoas Adjutant die Verbindung halten wird und übergibt ihm hierfür vorsorglich einen kolumbianischen Paß.

Martinez berichtet seinem General von den Vorschlägen. Ochoa begreift wohl an dieser Stelle die sich bietenden Möglichkeiten und stellt sofort Berechnungen an: Wenn ein Kilo transportierten Kokains 1.000 Dollar einbrächte, könnte man mit 400 Schiffsreisen zu je zehn Tonnen - mit einem Mutterschiff bis vor die Küste Floridas gebracht und von dort mit den zigarrenähnlichen Schnellbooten an Land - auf einen Gewinn von vier Milliarden Dollar kommen.

Später beim Prozeß kommen allerlei patriotische Vorstellungen zur Sprache, die der General mit dem Gewinn zu finanzieren gedachte, vor allem in der Tourismusindustrie. Andererseits erscheint ihm die Vorstellung, auf Kuba ein Drogenlabor zu errichten, so abstrus, daß er seinem Adjutanten Order erteilt, von diesem Vorhaben schnellstens Abstand zu nehmen.

Martinez trifft sich im Oktober 1988 mit dem Drogenboß in Kolumbien. Er redet ihm die Idee der Kokainverarbeituang auf Kuba aus, indem er vage eine Möglichkeit „in Afrika“ in Aussicht stellt. Die Produktion von falschen Dollars hingegen habe wesentlich mehr Aussicht auf Erfolg. Bei der angolanischen Regierung könne man das entsprechende Papier beschaffen.

Boden-Luft-Raketen

für Kokainmafia

Doch Pablo Escobar will mehr: Er schlägt vor, zweieinhalb Tonnen Kokain in der Nähe von Cienfueges anzulanden, von dort zum Yachthafen Mariel nahe Havanna bringen zu lassen, wo es mit fünf Schnellbooten zu je einer halben Tonne nach Florida geschafft werden soll. Und Boden-Luft-Raketen bestellt er, zehn Stück soll Ochoas Mann besorgen.

Der Beginn der Dealereien im großen Stil ist alles andere als verheißungsvoll. Die Aktion scheitert, und Escobar droht, die Connection hochgehen zu lassen. Er weiß sehr wohl, mit wem er es zu tun hat. Später wird der Staatsanwalt Ochoas Adjutanten fragen, ob er die Verhandlungen in Uniform führte, was der bejaht. Daraufhin der Ankläger: „Wie kann ein Hauptmann der Streitkräfte sein Land verlassen, über Panama nach Kolumbien reisen, um sich auf der Residenz Escobars mit diesem Drogenhändler zu treffen? Konnte da jemand etwas anderes glauben, als daß der im Auftrag Raul Castros (der Verteidigungsminister, d.Red.) unterwegs war?“ Doch während einer vierstündigen Rede zum Abschluß des Prozesses gibt zumindest Bruder Fidel sein Ehrenwort, nichts von diesen Machenschaften gewußt zu haben.

In die am 24.April 1989 von Fidel eilig aufgestellte Ermittlungskommission, die die Vorwürfe der Verstrickung von kubanischen Regierungsbeamten in den Drogenhandel untersuchen soll, wird ausgerechnet Tony de la Guardia berufen, der gerade am Tag zuvor den letzten Deal abgewickelt hat.

Zunächst heißt das Ziel dann auch nur Ochoa, der am 12.Juni verhaftet wird. Raul Castro, sein Vorgesetzter, der enge Freund des Verhafteten und Pate von dessen Kindern, erklärt vor dem militärischen Ehrengericht, er habe ihn wegen seiner allzu laxen Auffassungen schon oft gerügt: „Obwohl Ochoa sicher der am häufigsten kritisierte hohe Offizier ist, waren seine Fehler nicht so schwer gewesen, daß man strengere Maßnahmen gegen ihn hätte ergreifen müssen.“

Bald stellt sich heraus, daß das Zentrum der Drogenaktivitäten die Abteilung „MC“ des Tony de la Guardia ist. Innenminister Jose Abrantes muß seinen Hut nehmen, weil er nicht aufgepaßt hat. Deswegen und wegen Korruption wird er vor Gericht gestellt, der Staatsanwalt hat für ihn 20 Jahre Knast gefordert. Der Vizepremier und Transportminister bekommt einen Extraprozeß und geht wegen Korruption für 20 Jahre hinter Gitter (seine Tochter war die Ehefrau von „MC„ -Chef de la Guardia). Ende Juli, die vier Hauptangeklagten sind längst erschossen, werden auch die Chefs der Einwanderungsbehörde und der Zollverwaltung verhaftet, der Chef der Grenztruppen und der Chef der kubanischen Feuerwehr degradiert und entlassen. Doch einer bleibt auf seinem Posten - Ochoas Vorgesetzter und Freund Raul. Nachname: Castro.