Schlaumeier vom Amt wollen an der Aids-Hilfe sparen

Aachener Hilfsstelle stemmt sich gegen „Fehlbetragsfinanzierung“ des Regierungspräsidiums von NRW / Die Landesregierung würde in Zukunft nur noch die Differenz zum Spendenaufkommen zuschießen / Obwohl sich die Infiziertenwelle abschwächt, steigt die Zahl akut Erkrankter und somit der Finanzbedarf  ■  Von Bernd Müllender

Der zuständige Beamte der Düsseldorfer Landesregierung hatte geschlafen: Er vergaß, seinen Kollegen beim Regierungspräsidenten schlichtweg mitzuteilen, man möge die etwa 20 Aids-Hilfe-Stellen des Landes wie in den Vorjahren durch eine feste Summe finanziell unterstützen. Der verantwortliche Beamte im Regierungspräsidium reagierte auf seine Weise: Wo einem nichts ausdrücklich vorgeschrieben ist, braucht man nicht zu handeln. Also: Nicht über den unveränderten politischen Willen der Landesregierung - die Unterstützung Aids-Kranker - nachdenken, sondern schnell den Geldhahn zuschließen, denn eine Chance zum Sparen ist stets zu nutzen, das mag er wohl gedacht haben.

Der Beamte verfügte eine „Fehlbetragsfinanzierung“. Das heißt, die Aids-Hilfen erhalten nur noch den Differenzbetrag zum Spendenaufkommen. Mit anderen Worten: Der Regierungspräsident bedient sich indirekt aus dem Spendentopf: Wer Aids-Kranken finanziell helfen will, erspart dem Regierungspräsidenten Ausgaben, spendet sozusagen der Staatskasse etwas.

Die Aachener Aids-Hilfe e.V., die wegen ihres hohen Spendenaufkommens (40.000 Mark flossen ihr 1988 zu) besonders betroffen gewesen wäre, protestierte energisch. Ergebnis: Telefonisch wurde Ende August angekündigt, die neue Verfügung werde wohl wieder rückgängig gemacht. Wahrscheinlich. Sicher ist damit allerdings noch nichts.

„Seit Aids kein Modethema mehr ist“, sagt der Aachener Diplompsychologe Stephan Dahmen, versuche sich eine öffentliche Stelle nach der anderen aus der sozialen und finanziellen Verantwortung zu schleichen, „und wenn einer anfängt, zieht er schnell den nächsten nach“. Da ist zum Beispiel der Kreis Aachen: Der lehnt neuerdings, weil das eigene Haushaltsdefizit steige, jede weitere Kostenbeteiligung kategorisch ab. Oder andere Regierungsstellen, zum Beispiel das Düsseldorfer Justizministerium: Gerichtliche Bußgelder sollen nicht mehr als Spenden auch sozialen Einrichtungen wie den Aids-Hilfen zugute kommen, sondern gleich in die Landeskasse fließen. Der politische Wille der Landesregierung zur Hilfe mag in der Theorie löblich sein, mit dieser Verfügung aber untergräbt ihn der Justizminister selbst.

Für die Aachener Aids-Hilfe führen diese Mindereinnahmen zu einem fünfstelligen Defizit. „Jedes Jahr“, so Dahmen, „müssen wir eine immense Energie in das Finanzierungs- und Verhandlungskarussel stecken“, Energie, die bei der Betreuung der Infizierten und Erkrankten fehlt.

Unbeachtet des nachlassenden Medieninteresses an Aids steigt dagegen die Zahl der Verzweifelten. Viele überwinden erst mit Jahren die riesige Schwellenangst, es braucht Zeit, bis Stellen wie die Aids-Hilfe überall bekannt ist, und schließlich werden immer mehr Infizierte mit der Zeit krank. Das ist spätestens der Moment, wo es ohne qualifizierte Hilfe für die Betroffenen, ihre Freunde und Angehörigen nicht mehr weitergeht: „Aus allen Ecken kommen sie“, sagt Gisela Reissen, hauptamtliche Sozialarbeiterin in Aachen.

Eine qualitativ verbesserte Arbeit ist in dieser Situation, wo die Stellen von Dahmen und Reissen akut gefährdet sind, erst recht nicht möglich. Seminare mit über 4.000 Teilnehmern im Jahre 1988, 1.500 Einzelberatungen und 30 intensive Betreuungen von Erkrankten - das ist die nackte Aachener Statistik. 40 Ehrenamtliche helfen, mit bis zu 70 Stunden die Woche. Und dennoch: „Wir planen Veranstaltungen und Projekte“, sagt Dahmen, „und dann müssen wir sagen: Tut uns leid, wir bekommen kein Geld, alles muß ausfallen.“

Die Folge ist mehr als ein einzelnes verpaßtes Wochenendseminar: Dahmen weiß von einem „gestörten Vertrauensverhältnis und lähmender Unsicherheit“ bei den Betroffenen. Zur mittelfristigen Klärung fordern die Aachener, wie andere auch, die Einrichtung von festfinanzierten Planstellen durch die Kommunen.

Die Stadt Aachen hat dagegen, trotz anstehender Kommunalwahlen, eine andere Idee: Fehlbetragsfinanzierung also nur das bezahlen, was an Spenden nicht zusammenkommt. Die Idee des Regierungspräsidenten läßt schön grüßen.