Rabin: Zermürbungstaktik macht sich bezahlt

Israelische Militärexperten sagen den baldigen Zusammenbruch des Palästinenser-Aufstands voraus / Neue Sondertruppe soll sich auf Kampf gegen Jugendliche konzentrieren / UNO verurteilt Deportationen von Palästinensern / Scharon will maskierte Aufrührer liquidieren  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Wieder einmal sagen die Experten im israelischen Verteidigungsministerium den bevorstehenden Zusamenbruch des palästinensischen Aufstands voraus. Diesmal berufen sich die Berater von Minister Rabin auf die angeblichen Erfolge der Geheimdienste bei ihrer Strategie zur Eliminierung der Führung des Aufstands sowie zahlreicher Aktivisten in Städten und Flüchtlingslagern des Gaza-Streifens und der Westbank. Mit Razzien, Massenverhaftungen und Erschießungen hätten die Sicherheitskräfte immer wieder die lokalen Kader der Intifada ausgehoben, bis angeblich nur noch ein „Häufchen unerfahrener und oft eigenmächtig agierender Hitzköpfe“ übriggeblieben sei.

Das Gerücht, daß der Geheimdienst offenbar über Listen mit den Namen der zu verhaftenden Intifada-Aktivisten verfügt, hat zu zahlreichen Anschlägen auf die von Israel beschützten Kollaborateure geführt. Nach Auffassung des israelischen Stabschefs, General Dan Schomron, handelt es sich in den meisten Fällen um „irrtümlich ermordete Araber“ - Leute, die fälschlicherweise für Agenten der Besatzungsbehörden gehalten würden. Auch aus den Flugblättern und Aufrufen der Intifada-Führung geht hervor, daß zuweilen voreilig hart und unbedacht gegen vermeintliche Spitzel vorgegangen wird. In einem Rundschreiben der Al Fatah vom 29.August heißt es: „Wir rufen alle Mitglieder der Einsatzkräfte auf, von Verhören einzelner Leute abzusehen. Derlei Aktionen müssen unbedingt den dazu autorisierten Stellen überlassen bleiben.“

Wie die Militärverwaltung der besetzten Gebiete behauptet, vertiefen sich die Differenzen zwischen den einzelnen politischen Organisationen, die in der Intifada-Führung vertreten sind, sowie zwischen der Führung und den islamischen Fundamentalisten (Hamas) immer mehr. Darüber hinaus sei die von der wirtschaftlichen Not und den schweren Repressalien durch die Besatzungsmacht geplagte Bevölkerung des Kampfes müde. Die Militärverwaltung stellt jetzt mit Genugtuung fest, daß sich Israels Zermürbungstaktik „bezahlt macht“. Sie zieht daraus den Schluß, daß durch härtere kollektive und individuelle Bestrafung sowie durch verstärkten wirtschaftlichen und administrativen Druck auf die palästinensische Bevölkerung der Zusammenbruch der Intifada bald oder über den Umweg einer Eskalation beschleunigt werden kann. Für den Fall spontaner Widerstandsaktionen habe man die Legitimation, „mit vollem Kriegseinsatz den Palästinenser-Terrorismus zu liquidieren“.

Verteidigungsminister Rabin ist der Meinung, der Kampf gegen die Intifada habe deswegen an Härte zugenommen, weil der Friedensprozeß an einem toten Punkt angelangt sei. Auch der Dialog zwischen der PLO und den USA komme nicht von der Stelle. Daraus zieht das Führungspaar Schamir-Rabin den Schluß, daß diese politische Konstellation das „Anziehen der Schrauben“ vor allem gegen den harten Kern der Intifada -Führung mit neuen Abschreckungsmethoden jetzt unbedingt notwendig macht. Wie ein Sprecher am Mittwoch bekanntgab, wollen die Streitkräfte eine Sondertruppe bilden, die gezielt gegen die Intifada eingesetzt werden soll. Die Sondertruppe soll die regulären Verbände ersetzen, die gegen den seit 20 Monaten anhaltenden Aufstand der Palästinenser in den besetzten Gebieten kämpfen, und sie soll sich speziell auf den Einsatz gegen Jugendliche konzentrieren.

Inzwischen hat der UNO-Sicherheitsrat die israelische Politik, mißliebige Palästinenser aus den besetzten Gebieten zu verbannen, einhellig mißbilligt. Israel wurde aufgefordert, mit den Deportationen aufzuhören und den bereits Ausgewiesenen die Rückkehr in ihre Heimat zu erlauben. Die Resolution wurde ohne Gegenstimme angenommen.

Diese Kritik an der israelischen Politik hindert den Hardliner Scharon nicht daran, eine noch schärfere Gangart gegen die Palästinenser zu propagieren. Im Armeerundfunk sagte der Industrieminister gestern, man müsse maskierte Aufrührer töten. Die vermummten jugendlichen Anführer seien auch für Morde verantwortlich. „Sie müssen liquidiert werden, und wenn das Gesetz das nicht zuläßt, müssen wir dafür sorgen, daß das Gesetz es erlauben wird.“ Doch auch so werden jeden Tag Palästinenser getötet. Seit Beginn der Intifada sind mindestens 554 Palästinenser von israelischen Soldaten oder Zivilisten getötet worden, auf israelischer Seite gab es 38 Tote. In der Frage der angeblich bevorstehenden Zerschlagung der Intifada gibt es in Kreisen der Militärs auch andere Auffassungen. Einige Experten halten die baldige Zerschlagung für „illusorisch“ und „ebenso irreführend wie ähnliche frühere Voraussagen der Spezialisten, mit denen sich Rabin umgibt“. Die dort vorherrschende Vorstellung, die Intifada lasse sich in einen Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen palästinensischen Gruppen verwandeln und einem Bruch zwischen der PLO und der Intifada-Führung könne von israelischer Seite „nachgeholfen“ werden, sei irrig. Nach Ansicht dieser von der offiziellen Linie abweichenden Experten kann die Intifada nur dann „abflauen“, wenn es zu einem politischen Durchbruch auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung kommt.