Der schwere Gang Mazowieckis

Große Unterstützung für Polens Regierungschef Mazowiecki / Außenministerium ist Haupthindernis der Regierungsbildung / Mazowiecki kündigt Aufschub an / Uneinigkeit in der Partei  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Es war ein müder, fast niedergeschlagener Premier, der am Donnerstag während der Fernsehnachrichten zum Volke sprach. Tadeusz Mazowiecki sprach langsam, mit Pausen, einmal rieb er sich sogar die Augen. Die Verhandlungen über die Regierungsbildung hätten sich länger als erwartet hingezogen, der Termin Ende des Monats könne nicht eingehalten werden. Er wisse, welche Erwartungen man an ihn habe. Aber er brauche noch etwas Zeit. Dann bedankte er sich für die Unterstützung, die ihm zahlreiche Bürger bekundet hätten.

In der Tat: Wohl noch nie hat ein polnischer Regierungschef nach dem Krieg auf so breite Unterstütung rechnen können. Selbst jene, die die Verhandlungen am runden Tisch bekämpften und anschließend die Wahlen boykottierten, sind nun auf seiner Seite. Zahlreiche streikende Belegschaften haben inzwichen ihre Forderung zurückgezogen und die Arbeit wieder aufgenommen. Die meisten Abgeordneten der Kommunisten haben ebenso wie Vertreter der kleineren Parteien und der christlichen Gruppen für Mazowiecki gestimmt. Daß sich trotz der breiten Zustimmung für ihn die Koalitionsverhandlungen weiter hinziehen, liegt vor allem an zwei Problemen: der Besetzung des Informations- und des Außenministeriums . Das erste Problem schjeint jetzt gelöst. Die PVAP verzichtet auf die Kontrolle der medien. Dies wird ihr deshalb leichter flallen, weil die Medien dem Parlament künftig unterstellt werden, in dem auch die PVAP vertreten ist.

Völlig offen ist hingegen noch die Frage des Außenministeriums. Politbüromitglied Leszek Miller hat öffentlich in der 'Trybuna Ludu‘ den Anspruch der PVAP deutlich gemacht. Der Fraktionschef des Bürgerklubs, Bronislaw Geremek, stellte das sogleich infrage. Das Außenministerium habe zuletzt bei den Auseinandersetzungen mit der DDR über den freien Zugang zu Swinoujscie seine Inkompetenz unter Beweis gestellt.

Obwohl die PVAP, wenn sie das außenministerium verliert, noch die Bastion des Präsidenten mit dessen außenpolitischen Kompetenzen hätte, scheint besonders die Parteiführung die Frage des Ministeriums zu einer Soll-Bruchstelle der Verhandlungen machen zu wollen. Hintergrund dabei ist, daß aus den Reihen des Apparats vermehrt der Vorwurf kommt, die Partei trete zu nachgiebig, zu unentschlossen und defensiv auf.

Schwiergie Lage der PVAP

Die PVAP steht vor folgenden Problemen: Auf der einen seite steckt die Parteiführung, die sich im wesentlichen auf den Apparat stützt, noch in den alten Denkmustern und träumt von der wiedererlangung ihrer alten Positionen, andererseits wird sie im Sejm von Abgeordneten vertreten, die ihr Mandat nicht dem Apparat verdanke und von dessen Diktat weitgehend unabhängig sind. Anders als Stimmen außerhalb der fraktion gefordert haben, ist jener Abgeordnete, der gegen Jaruzelski stimmte, wegen seines Bruches der Fraktionsdisziplin nicht bestraft oder gar ausgeschlossen worden, sondern erhielt nur eine Rüge. Rakowskis Reaktion auf Walesas Vorschlag einer Koalition ohne Kommunisten war hart: Putschgelüste warf er dem Arbeiterführer vor, er wolle einen „Kampf um die Macht“. Die Sejmfraktion sah das anders: Bis auf vier Abgeordnete stimmten sie für Mazowiecki als Premier.

Von Walesas ursprünglicher Konzeption, die PVAP in die Opposition zu verbannen, ist allerdings auch nicht mehr viel übriggeblieben - Mazowiecki: „Angesichts unserer Wirtschaftsprobleme wäre das Abdrängen von PVAP und OPZZ in eine Position der Verneinung eine ernste Gefährdung jeglicher Reformen. Es würde die Möglichkeit eröffnen, die Regierung aus populistischen Positionen heraus anzugreifen.“ Inzwischen, so erklären führende Mitglieder des Bürgerklubs, müsse man die Partei in die Verantwortung für die Wirtschaft einbinden, um zu verhindern, daß deren Apparat Reformen blockiere. Wie real diese Gefahr ist, kann Mazowiecki bald im eigenen Haus feststellen: Da es im Amt des Premier keine Gewerkschaft geben darf - so will es einstweilen noch das polnische Gewerkschaftsgesetz - erfüllt dort die parteiorganisation die Rolle einer Personalvertretung. Polens neuer Premier erbt damit nicht nur eine Verwaltung, in der praktisch keiner ohne Parteibuch ist, sondern viele der dort Beschäftigten sind zugleich ZK-Mitarbeiter. Was also im Ministerrat geschieht, bleibt dem ZK-Sekretariat nicht verborgen, mehr noch: Es wird sozusagen sogar dort mitentschieden. Die Folgerung, die Mazowiecki daraus gezogen hat: Die Partei darf nicht in die Opposition abdriften, sie muß an der Verantwortung beteiligt werden.