Behörden schnüffeln hinter Ehepaar her

Dokumentation der Arbeitsgemeinschaft mit Ausländern verheirateter Frauen: Wie sie wegen des Verdachts einer „Scheinehe“ gedemütigt werden / Seit Jahren wird ein Ehepaar schikaniert, weil er einen zweiten Wohnsitz an seinem Arbeitsplatz hat  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Mancher Frau sei es immer schwerer gefallen, zwischen Wirklichkeit und Verfolgungswahn zu unterscheiden, berichtet Rosi Wolf-Almanasreh während einer Pressekonferenz in Frankfurt. Die Bundesgeschäftsführerin der „Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen“ (IAF) legte ihre 20seitige Dokumentation Scheinehen vor. Danach müssen bundesdeutsche Frauen, die einen Ausländer geheiratet haben, mit allerlei Überraschungen rechnen: unangemeldete Hausbesuche, Schnüffeleien bei Nachbarn und am Arbeitsplatz, Vorladungen zu Verhören, Observation und Hausdurchsuchungen.

Das Problem mit den „Scheinehen“ habe, sagt Wolf -Almanasreh, Anfang der achtziger Jahre begonnen. Boulevardblätter spielten es hoch, Ausländerbehörden in allen Bundesländern begannen teils eigenhändig, teils mit Hilfe von Ordnungsämtern und Polizei eine umfangreiche Schnüffelpraxis. Sie wollten beweisen, daß ausländische Männer bundesdeutsche Frauen heiraten, um sich eine Aufenthaltserlaubnis zu erschleichen. Eine Hamburger Behörde kam zum Beispiel zu dem schriftlichen Schluß, der Mann habe sich den Aufenthalt durch „das Zeugen von drei Kindern erzwungen“.

Bundesdeutsche Männer mit ausländischen Ehefrauen blieben von solchen Verdächtigungen meist verschont. In der Studie heißt es: „Wir fühlen uns gedemütigt. Uns wird nämlich anders als dem inländischen Mann - unterstellt, daß wir unser Leben nicht selbst in die Hand nehmen können, zu gutgläubig sind und auf 'die schönen Augen eines Ausländers‘ hereinfallen.“ Die ständigen Überprüfungen bis zur - oft nur einjährigen - Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Ehemanns belasten die Familien und führen oft zu psychischen Störungen. Wolf-Almanasreh: „Der Ehemann hat nach der Heirat gesetzlich Anspruch auf drei Jahre Aufenthalt. Wer sich drangsaliert fühlt, sollte sich sofort beraten lassen.“ Viele aber, so weiß sie, trauen sich nicht, finden sich mit den Schikanen ab.

Sieben Jahre lang bis heute muß ein Ehepaar aus dem Kreis Mainz-Bingen im Rheingau die Bespitzelungen über sich ergehen lassen. Der Mann ist Inder und seit 1978 als Flüchtling in der Bundesrepublik. 1983 heiratete er. Er lebte mit seiner Ehefrau in deren Häuschen in Oberdiebach. Als Sikh, der einen Turban trägt, fand er am Ort keine dauerhafte Arbeit. Schließlich bekam er eine Stelle in Frankfurt, wo er jedoch im Schichtdienst arbeiten mußte. Deshalb mietete er dort eine zweite Wohnung und fuhr nur am Wochenende nach Hause. Die Ausländerbehörde in Mainz zeigte das Ehepaar wegen des Franfkurter Wohnsitzes nach drei Ehejahren, 1986, bei der Staatsanwaltschaft an. Die IAF erhebt dabei schwere Vorwürfe vor allem gegen den Sachbearbeiter Diehl, der besonderen Ehrgeiz entwickelt habe, das Ehepaar Singh als Betrüger zu entlarven. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen im Sommer 1986 ein. Die Ausländerbehörde legte Beschwerde ein und erwirkte einen richterlichen Durchsuchungsbefehl. Die Durchsuchung fand wegen Abwesenheit des Ehepaars nicht statt, die Staatsanwaltschaft war es leid und stellte wiederum ein. Nicht so die Ausländerbehörde. Sie hielt den Verdacht auf eine „Scheinehe“ aufrecht und befristete die Aufenthaltserlaubnis wiederum. Drei Jahre lang intervenierte eine inzwischen eingeschaltete Rechtsanwältin immer wieder.

Im Januar 1989 veranlaßte Sachbearbeiter Diehl eine neue polizeiliche Überprüfung der Familie. Ergebnis laut Polizeiprotokoll: „Zwischen den Eheleuten besteht dem Vernehmen nach kein gutes Verhältnis.“ Wiederum gab es keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Eine Beschwerde des Ehepaars bei der Ausländerbeauftragten des Bundes, Funcke, und beim rheinland-pfälzischen Innenministerium blieb erfolglos.

Die Ausländerbehörde wurde wieder aktiv und verlangte vom Ehepaar Singh beglaubigte persönliche Erklärungen über ihre eheliche Gemeinschaft. Die Rechtsanwältin forderte Akteneinsicht und entdeckte neben anonymen Briefen einen, dessen Unterschrift ihrer Meinung nach nachträglich entfernt wurde. Er gibt unter anderem wieder, daß eine Nachbarin die „Scheinehe“ bestätigt habe. Nach den Recherchen der Anwältin hatte der Oberbürgermeister des Ortes höchstpersönlich diese Frau befragt. Sie aber habe ihm gesagt, sie kümmere sich nicht um die Angelegenheiten ihrer Nachbarn. Eine für das Ehepaar positive Stellungnahme des Ortspfarrers fehlte in den Akten. Das Ehepaar Singh wartet im siebten Jahr ihrer Ehe immer noch auf die neue Aufenthaltserlaubnis - die alte ist inzwischen abgelaufen.

Die Pressereferentin der Kreisverwaltung erklärte gestern gegenüber der taz, Sachbearbeiter Diehl sei in Urlaub. Die Behörde sei bereit, Herrn Singh wiederum zwei Jahre Aufenthalt zu genehmigen und dann seinen Fall erneut zu prüfen. Die positive Stellungnahme des Pfarrers sei inzwischen bei den Akten. Über den anonymisierten Brief des Oberbürgermeisters Grund wußte sie nichts. OB Grund selbst gab die Auskunft, er habe die Nachbarin nur gefragt, weil der Kreisverband ihn dazu aufgefordert hätte, er habe dann sein Schreiben ordnungsgemäß auf Dienstbogen abgesandt: „Das war meine Pflicht. Ich gehe doch nicht von mir aus los und befrage Leute.“ Aber dieses Anforderungsschreiben des Kreisverbands fehlt in den Akten.

Eine Frankfurterin, seit Dezember 1988, mit einem Türken verheiratet, berichtete von einer telefonischen Befragung, der sie überraschend ausgesetzt war. Sie habe sich dabei „so klein und gedemütigt gefühlt“, daß sie gar nicht habe reagieren können. Es habe sie völlig irritiert, daß der Beamte sie immer wieder mit ihrem deutschen Geburtsnamen ansprach und den Namen ihres Manns wegließ. Auch sie hat eine Zweitwohnung, benutzt wegen der Wohnungsnot außer dem gemeinsamen Einzimmer-Appartement noch ein Zimmer bei einer Freundin mit. Zum Abschluß des Gesprächs drohte der Beamte Kontrollbesuche in beiden Wohnungen an.

Rosi Wolf-Almanasreh stellte die Kriterien zusammen, in denen Behörden Betrugsabsichten zu erkennen meinen: Ein Asylsuchender zieht seinen Antrag nach der Heirat zurück; Studenten aus der Dritten Welt heiraten nach beendetem Studium die Freundin, mit der sie bisher zusammenlebten; ältere Frauen beantragen ein Touristenvisum für jüngere Männer und heiraten sie dann schnell. Den behördlichen Vorurteilen sind besonders Paare ausgesetzt, bei denen mehrere Faktoren zusammenkommen. Dazu gehören soziale Schwierigkeiten, Zugehörigkeit des Mannes zu einer nichtchristlichen Religion, manchmal das Wohnen in bestimmten Stadtteilen, eine nichtweiße Hautfarbe, eine Zweitwohnung. Die IAF berichtete auch von Verhören, denen manche Behörden beide Ehepartner aussetzen. Sie werden gemeinsam vorgeladen und in getrennten Räumen mit den gleichen Fragen konfrontiert.

Die Frage nach dem Geburtstag der Schwiegermutter bei einem deutsch-türkischen Paar zum Beispiel dokumentiert, daß die Beamten ihre unappetitlichen Hausaufgaben schlecht gemacht haben: In der Türkei wird der Geburtstag nicht gefeiert. Besonders peinlich: In diesem Fall war die Schwiegermutter schon lange vor der Eheschließung gestorben.