ORGANISCHE FISCHFILME UND MEHR

■ Pralinen 89 - Kurzfilmwoche im Interglotz

Bis Freitag laufen im Interglotz Super-8-Kurzfilme. Als Pralinen 89 gingen die ersten Abende am Donnerstag und Freitag, vorweg natürlich Pralinen, lustig an, sehenswert und schmackhaft.

Viel Organisches: Auf die Leinwand werden Mücken projiziert, sehen aus wie Kaulquappen, Bakterien oder Spermien. Dann jedoch „23 Barbiepuppen kippen um“ von Dagie Brundert und Gesine Tinzmann: Hollywood en miniature in einer Reihe aus Plastik in Gelb, Pink und Blau. Da stehen die Damen an der Wand, und plötzlich geht es los, vornüber krach, ein dumpfbrutales Geschepper auf der Leinwand und lautes Gelächter im Publikum; aus aggressiver Freude darüber, was den 90-60-90 Prototypen geschieht, wie sie langsam vornüber gleiten. Schließlich liegen alle edlen Opfer am Boden, auch die Bilder gehen drunter und drüber, erfassen die Gleichheit mehrschichtig und verschwimmen in Doppelprojektionen.

Drei Fischfilme von Kahnert/Brundert folgen: Mein Fisch, der hat drei Ecken... geht das Lied, das gezeichnete Tier küßt Dagie auf den Mund und schwimmt weiter. Eine Frauenstimme sagt: „Männer riechen nach Fisch“, die Angesprochene prüft schnuppernd ihre Hand und bekundet: „Stimmt!“ Schließlich spaziert in düsterer Regenstimmung eine junge Frau auf der Landstraße daher, kommt an einen Briefkasten, und in den Schlitz für „andere Richtung“ wird eine tote, glitschige Makrele geschoben.

„Situs wie jod“ heißt eine Reihe loser Szenen von Schmelzdahin. Zunächst lösen sich aus einem fast ganz weißen Schattengeschehen Spielfilmgesichter aus einem Luis-Trenker -Film von 1936 und werden dadurch erst recht zur optischen Besonderheit. Die durchaus bekannte Stimme des Herrn Bundeskanzler wiederholt sich im folgenden dreimal: „...spüre ich eben eine Arroganz des Spätgeborenen, die für mich schwer erträglich ist...“ (sic!) Man sieht Schuhe von jungen Leuten, ordentlich zu Paaren im Kreis, dann etwas näher beieinander, und schließlich kommt ein Besen, und das ganze Zeugs wird weggekehrt...

Dann wiederum eine hautnahe Organik: Zur Frage „Können Igel fliegen?“ filmten Schmelzdahin einen Igelkadaver, den die Maden gründlich unter ihre Obhut genommen haben. Beim Fleischer schließlich sagt der Angestellte hinter seinen halben Tieren, „Ach, nach Hamburg wollen Sie fahren?“, und das kommt wirklich entwaffnend.

Michael Brynntrup zeigt einen Trailer-Film zu seinem monumentalen Jesus-Film. „Erleben Sie die Wunder und Sensationen live!“ heißt es, und der Filmemacher als Hauptdarsteller wandelt übers Wasser, gut gefroren ist es, er schlendert und rutscht vergnüglich. Die Wahrheit vor unserer Zeitrechnung ist die schwangere Maria mit gigantischem Plastikbusen, die Verkündigung kommt in dem Moment auch etwas spät. Jesus kann Autounfalleichen wiederbeleben, und schließlich muß er auch selbst dran glauben, er trägt ein eisernes Kreuz, um die Freuden der Schmerzen bei der Kreuzigung zu erleben. Das Durchnageln der Hand ist detailliert zu sehen, heute hilft man sich da mit Plastik, und die Wunde der Auferstehung läßt sich auch gut abwischen. Jahrmarktartige Ausrufe zielen auf klassischen Kintopp, was der Film aber nie ist. Schlaksig und amateurhaft kommen die Leute daher, mit einer Reihe von gelungenen Witzen gegen das Pathos der Erzählung: ein Experimentalfilm als Filmkritik. Am Ende steht die Kirche im Bild „auf dem Kopf“.

Sein zweiter Film „Die Botschaft“ aus der Reihe „Der Elefant aus Elfenbein“, acht Totentanzfilme, feiert die Sinnlichkeit des Morbiden auf abenteuerliche Weise. Eine üppige Schönheit mit symbolischem Gesicht veranstaltet in leeren klassizistischen Hallen ein pathetisches Federnstreuen. Aus einem Vogelbauer holt sie immer neue Schneeflocken und befreit gleichsam den Tod des Vogels. Schließlich sitzt sie im Fenster, neben ihr zu aller Kahlheit der Umgebung Skelettschädel, sie nimmt ihn in die Hand, es reißt sie hin, und seine noch steckenden Zähne werden mit ausführlichen Zungenküssen bedacht. Auch wenn die Szenen fotografisch nicht schlecht sind, gut solarisierte Passagen etc..., Frauen sind nicht mit jeder männlichen Erscheinungsform zufrieden, eine lange Mythos-Kette, das Mädchen und der Tod, es reicht.

Der Film „Krepl“ von Schmelzdahin kreist wieder um Tiere: ein eingesperrter Affe vor einer Großstadtszenerie, bei der Fahrt durch den afrikanischen Markt: ein Rattenzüchter, dessen Tiere surreale Ausmaße erreichen, 1x1 Meter, 2x2 Meter; das Sezieren einer Maus auf einer Pommes-Schale rückwärts gefilmt, es werden immer mehr Organe. Ein visuelles Grenzüberschreiten, das im Magen hängen bleibt.

„Pause“ von M. Brynntrupp zeigt, wieviel Spaß Pissen macht. Lauter gutgelaunte Männer geben sich die Klotür in die Hand, ein fröhliches Ereignis. Frauen pissen auch, aber weniger. „Der einarmige Bandit“ von Dagie Brundert ist eine schlaue Puppe, die jemanden erlegt und sich dessen Arme einsetzt, die Tat ist gewitzt und beeindruckend. „Cowboy, reite immer schneller“, ein Western von ihr, Cowboy zu Pferde versus Indianer, und da dies kleine Plastikfiguren sind, die vor einem bemalten Papphintergrund rumhoppeln, gelingt zu einem Westerntrack eine gigantische Spannung. Als „kleine Wunder“ zeigt sie gezeichnete Tiere, einen Süßwasserpolypen und einen Schwamm, die durch ein Sieb gedrückt bleiben, wer sie sind.

Aufgelöste Konkretheit schafft Schmelzdahin mit dem Film „XXX“. Durchgängig ist das Bild in zwei Farben zerfallen, blau-orange oder grün-rot, man staunt sich durch die Bilder durch, ein psychedelischer Assoziationstaumel. Ein Mädchen liegt auf dem Feld und schafft es erst nach drei Anläufen aufzustehen und die Wäsche aufzuhängen, ein krabbelnder Mann in der Großstadt, ein kurzes Lächeln zwischen zwei Menschen

-„Wirklichkeit“ als diffuse Katastrophe. Man trinkt sich voll Farben und Bilder.

Leider gibt es in Berlin keine, noch keine kulturelle Super -8-Filmförderung, das trifft diese Filmemacher deutlich, da sie dezidiert nichtkommerziell arbeiten. Von 5 Mark Eintritt kann selbst das Interglotz nicht leben, es ist die letzte Veranstaltung vor dem Schließen.

Dafür aber findet vom 27. September bis 1. Oktober „Interfilm“ statt, ein Festival mit internationalem Programm im Eiszeit-Kino, FSK und Arsenal!

Sophia Ferdinand

Bis Freitag, 8. September, zeigt das Interglotz täglich ab 21.30 Uhr Super-8-Filme. Heute „So war das SO36“ von Manfred Jelinski - direkt am Ort, das SO36 ist im Hinterhaus. Dienstag gibt es Filme von Die Praxis, Kille & Wehner und C.&J. Wicky. Mittwoch zeigt Andreas Jahnke „Vision Ricochet - Stay - Epilog“, Donnerstag: „Heartbreak Hotel“, „Das Pendel“ und ein Überraschungsfilm von Brigade Zeitgewinn, und am Freitag kommen die besten noch einmal mit Fete und Nähmaschinen-Performance.

Tip: Früh kommen, das Interglotz ist schnell voll!!