Hertha-Fleischwurst und Scheiße vom Revier

■ Hertha - Schalke 2:2 / Schlachtgesänge und Haßtiraden der beiden Fanklubs / Hertha-Frösche randalieren abends am Bahnhof Zoo und in der Friedrichstraße / Fette Jungs und kurzgeschorene Mädels / Waggon-Demontage, Nazi-Gröhlen und Flaschenwerfen

Grüne und schwarze Bomberjacken, Fallschirmspringerstiefel, die Haare kurzgeschoren oder im HJ-Schnitt, Deutschland -Hosenträger und ganz gewöhnliche Jeans mit blau-weißen Troddeln. Sie sind gekommen zuhauf, um zu singen und zu brüllen, um Hertha BSC zu loben und zu preisen und mal ordentlich die Sau rauszulassen. Einige Langmähnen mit Motorradjacken und Heavy-Metal-T-Shirts sind darunter, einige fettleibige Familienväter, die blau-weiße Fahnen schwenken. Sie alle sind mit der U-Bahn ins Olympia-Stadion gekommen, haben unterwegs einige Paletten Dosenbier gekillt, um die Stimmbänder zu ölen und sich in Laune zu bringen, nun liegen sie sich in den Armen und singen „HA HO HE HERTHA BSC“. Trampeln mit den Füßen auf die Bänke, klatschen und brüllen, die Fankurve ist gerammelt voll, hier regieren die Hertha-Frösche.

Das Spiel ist noch nicht angepfiffen, da gibt es schon Ärger. Der Stadionsprecher nölt, daß sie sich hinsetzen sollen, aus Sicherheitsgründen. „SCHNAUZE SCHNAUZE!“ Dann rücken natürlich die Polizisten an und stellen sich muffig in die Aufgänge. „Haut die Bullen, haut die Bullen, ey kiek dir bloß die Milchgesichter an“, und selbstverständlich bleibt die brodelnde Masse stehen, klatschend und singend, steht wie ein Mann, die vorderste Front. Der Feind steht gegenüber, die Schalker Anhänger, ebenfalls in blau-weißen Farben, ebenfalls brüllend und klatschend. „RUHRPOTTSCHWEINE“, singen die Herthaner zu hunderten, worauf es höhnisch von drüben zurückgröhlt, „MAUERKINDER MAUERKINDER“.

Unsere Ehre heißt Treue

Das Spiel beginnt, das Leder rollt, die Schalker hoppeln in gelben Trainingsleibchen einher, „Ey ick kriegn Herzinfarkt, wenn ick det seh“, und nach zehn Minuten fällt das Tor für Schalke. Sekundenlang lähmt blankes Entsetzen die Hertha -Fans, die nun ganz still dastehen, auf ihren Jacken die Aufkleber „Unsere Ehre heißt Treue“ und auf den T-Shirts „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Dann raffen sie sich wieder auf, die Berliner Männer, und stemmen sich dem Schalker Torjubel entgegen. „Ihr seid Wessis“, gröhlen aberhundert Männerkehlen, „asoziale Wessis, ihr schlaft unter Brücken oder in der Bahnhofsdisko.“ Genau. Die Schalker Fans sind erst mal ruhig, das Spiel plätschert vor sich hin, die Berliner stärken sich mit „HIER REGIERT DER BSC, DER MEISTER VON DER SPREE“. Und wenden sich dann ihren Gegnern zu: „Westdeutsche Scheiße, westdeutsche Scheiße“, worauf die Schalker gegenhalten: „Wir sind frei und ihr nicht! MAUERKINDER MAUERKINDER“. Das lassen die nicht auf sich sitzen. „ARBEITSLOSE ARBEITSLOSE“, intonieren sie giftig. Der Ausgleich fällt. Unaussprechlicher Jubel bei den Berlinern, die sich nun kurz dem Geschehen auf dem Rasen widmen. Ein Hertha-Spieler kommt zu Fall, irgendwo im Mittelfeld, plumpst unversehends auf den Hintern, und der Pfiff des Schiedsrichters bleibt aus. „JUDENSAU JUDENSAU“, brüllen gröhlen gellen die Hertha-Fans, „SCHWARZE FOTZE“.

Die zweite Halbzeit wird eingeläutet mit „Haut den Schalkern die Schädeldecken ein“, worauf die Schalker Anhänger eine Sowjetfahne entrollen, glutrot mit Hammer und Sichel, und „GORBI GORBI“ singen.

Momper Wichser

Schalke Wichser

Ein Aufschrei der Hertha-Frösche, die an einer empfindlichen Stelle getroffen sind. „Russen raus, Schalke Wichser Momper Wichser“, tönt es dann, „SCHALKE 04 DIE SCHEISSE VOM REVIER“. Unten auf dem Rasen kickern die kurzbehosten Männer tapfer weiter, ein undurchsichtiges Getümmel vor dem Schalker Tor, dann zappelt der Ball im Netz. Nun sind die Fans der Königsblauen trostlos und verzweifelt, aber nur für Sekunden. „SCHALKE KÄMPFEN“, tröten sie los und intonieren ihre Hymne „Schalke Schalke über alles, über alles in der Welt“. Ein Schalker Spieler wird gefoult, der Schiedsrichter pfeift wieder nicht, „du arschgeficktes Suppenhuhn“, brüllt das Schalker Häuflein. Von der Gegenseite tönt es, „HAU DRAUF, RIN IN DE BEENE, LASST DIE HUNDE LOS“, und schließlich hundertstimmig „SIEG HEIL SIEG HEIL“. Zwanzig Minuten vor Schluß fällt der Ausgleich, und die Schalker Fans sind wieder obenauf, „HERTHA FLEISCHWURST“, höhnen sie und stimmen den dumpfen Abgesang an, „GÜTERSLOH GÜTERSLOH“.

Die Hertha-Frösche kochen vor Wut, aber das Spiel ist aus, und die Schalker Fans werden von der Polizei wohlbehütet zu den Bussen gebracht und nach Hause geschickt.

Lampen ab, Tür auf

Also sammeln sich die Herthaner am Bahnhof Zoo, um noch etwas Dampf abzulassen. Sie haben noch viel auf dem Herzen. „Homosexuell“, ertönt ihr Ständchen vor dem Bahnhof, „Walter Momper ist homosexuell.“ Prompt greift die Polizei ein und treibt die Fans zur S-Bahn hoch.

Zehn Beamte pro Abteil begleiten die Fans bis zum Lehrter Bahnhof, dort steigen sie aus und die Fuhre brüllsingender Bomberjacken fährt über die Mauer hinweg, „AUF WIEDERSEHEN, AUF WIEDERSEHEN“. Rasch werden die Deckenlampen abmontiert und aus den Türen geworfen, „DEUTSCHLAND DEN DEUTSCHEN“, singen sie selig, achtzig Leute im Abteil, Skinheadmädchen kreischen, zahnlose Alt-Hippies und Jungnazis röhrend vereint, „WIR SIND WIEDER DA“.

Ein Ost-Rentner blinzelt verschreckt. Dann marschieren sie durch den Bahnhof Friedrichstraße, „Die Mauer muß weg, ROTFRONT VERRECKE“, während die Grenztrupps verschämt beiseite schauen, und skandieren schließlich „NSD, NSD, NSDAP“. Am Kiosk wird Alk geladen, die einfahrende S-Bahn nach Lichterfelde gestürmt, Bierdosen geköpft, Lampen heruntergerissen, eine Gepäckhalterung herausgestemmt. Kleine fette Jungs und kurzgeschorene Mädchen, Braunfrontkämpfer und Suffköpfe, alle glänzend aufgelegt.

„Vorwärts Kameraden, vorwärts Kameraden, zum Tag der Revolution“ und „WIR SIND DEUTSCH, WIR SIND DEUTSCH“. Dann ruckt der Zug und bleibt im Tunnel stehen, „Ey welche Judensau hat die Notbremse gezogen?“ Jemand versucht unter donnerndem Applaus ein Fenster einzutreten.

Polen aufmischen

Irgendwann geht es weiter, am Anhalter Bahnhof drängen sie raus, die Polizei wartet schon, geleitet sie nach draußen, friedlich, keine Spur von Knüppeln oder Tränengas. Die Horde entert den 29er Bus und trampelt wieder raus, „mal die Polen aufmischen, wat meinste“. Am Breitscheidplatz treffen sich alle wieder, stehen vor McDonald's herum, einige Hilfspolizisten mit Schlagstöcken solidarisch daneben, und die Hertha-Fans singen „WIR SIND WIEDER DA, AUSLÄNDER RAUS, Macht das Tor von Sachsenhausen auf, WIR SIND DEUTSCH WIR SIND DEUTSCH, Vorwärts Kameraden, vorwärts zum TAG DER REVOLUTION“.

Olga O'Groschen