Seine Exzellenz erzählt...

Während der Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen besuchte eine grüne Delegation das Land und sprach u.a. mit dem bundesdeutschen Botschafter  ■ D O K U M E N T A T I O N

Der Empfang in der bundesdeutschen Botschaft in Ankara war überaus korrekt. Da der von der Botschaft vorher in Aussicht gestellte Termin beim türkischen Justizministerium nun doch nicht zustande kam, übernahmen Seine Exzellenz, Herr Botschafter Eckard Eckhoff, und seine Mitarbeiter die Aufgabe, uns über die derzeitige Situation in der Türkei zu informieren.

„Die Leute im Justizministerium sind im Moment alle sehr beschäftigt - gerade wegen des sich zuspitzenden Hungerstreiks“, sagt Herr Eckhoff. „Es müssen ja sämtliche Verordnungen umgeschrieben werden, wissen Sie...“

Unsere sehr landeskundige Dolmetscherin wendet ein, daß im Moment wohl nicht einmal die alten Vorschriften eingehalten werden. „Ja, das ist es ja. Die Defizite auf dem Gebiet der Menschenrechte in der Türkei können nur durch einen sehr langwierigen Erziehungsprozeß innerhalb des türkischen Polizeiapparates beseitigt werden. Die Absichten der Regierung sind gut“, sagt Seine Exzellenz und betont, daß er „die Persönlichkeiten, die dahinterstehen“, gut kennt.

Da man sich „oben nicht durchsetzen kann“, wird unten munter weiter gefoltert im Beisein von Staatsanwalt und Ärzten, versteht sich. Die Angehörigen, die auf ausgebreiteten Decken vor dem Gefängnis in Aydin ausharren, erzählen: Einer wird herausgegriffen und muß die Nationalhymne singen. Da er sie nicht inbrünstig genug gesungen hat, wird er vor den Augen aller anderen verprügelt. Mit großen Holzknüppeln, an deren oberen Ende Nägel stecken. Hungerstreikende werden dazu gezwungen, Gefängniswärter auf dem Rücken bis in den vierten Stock zu tragen, und das viermal hintereinander. Frau K., die uns Grüße an ihre Tochter in der Bundesrepublik aufträgt, krempelt ihre Ärmel hoch, hebt ihr langes Kleid, zieht ihre Strümpfe herunter und zeigt uns die blutunterlaufenen Stellen an Armen und Beinen. Sie war als „Unterstützerin“ 24 Stunden in Polizeigewahrsam. Die Angehörigen sind aus allen Teilen der Türkei nach Aydin gereist, um in der Nähe ihrer hungerstreikenden Kinder und Verwandten zu sein. Die örtlichen Hotels stehen unter Druck, sie nicht aufzunehmen. Unterstützung gibt es aus dem Kurdenviertel, das in der Nähe des Gefängnisses liegt. Die kurdischen Kinder aus dem Ort bringen Wasser. Einige Leute wurden in den Häusern aufgenommen. Folge: Hausdurchsuchungen jede Nacht. Die meisten Angehörigen bleiben Tag und Nacht auf dem staubigen, mit Disteln besäten Feld vor dem Knast und warten. Der Tagessatz für die Ernährung eines Gefangenen in Aydin beträgt pro Tag 600 türkische Lire, umgerechnet rund 60 Pfennig. Eine der wichtigsten Forderungen des Hungerstreiks war deswegen die Essenszubringung durch Angehörige.

„Die Politiker sind guten Willens, aber es ist ihnen fast unmöglich, sich nach unten durchzusetzen. Auch unsere Botschaft bemüht sich auf allen Ebenen. Die Menschenrechte stehen in jedem Traktat. Besonders unser Bundespräsident ist, wie Sie wissen, sehr an den Menschenrechten interessiert.“

Deswegen hat er der türkischen Regierung auch - wohl gemerkt, nachdem der gewaltsame Tod der beiden hungerstreikenden Gefangenen bereits bekannt war - die volle Unterstützung bei der Ablehnung der schlechten Behandlung der türkischen Minderheit in Bulgarien zugesagt, ohne die zur gleichen Zeit stattfindenden Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Regierung auch nur zu erwähnen.

Herr Eckhoff sieht die Türkei „wesentlich positiver als sie in den bundesdeutschen Medien dargestellt wird. Mit dem Ziel, der parlamentarischen Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen, hat das Militär in diesem Lande bereits dreimal interveniert, und es ist erstaunlich, wie weit man hier in dieser Hinsicht gekommen ist. Man darf da nicht resignieren...“

Unserem Wunsch, die Lager der Giftgasflüchtlinge aus dem Irak zu besuchen, konnte leider nicht entsprochen werden. Trotz intensivster Bemühungen von seiten der Botschaft. „Sie müssen die türkische Regierung verstehen“, sagt Herr Eckhoff. „Früher waren die Lager offen. Es wurde aber nur Negatives über sie berichtet. Deswegen werden jetzt nur noch ausgewählte Beobachter eingelassen. Das Genehmigungsverfahren dauert vier Wochen. Leider...“

In Diyarbakir trafen wir mit Vertretern der Flüchtlinge zusammen. Das dortige Lager besteht aus 75 dreistöckigen Steinhäusern, von denen vier mit türkischen Polizeikräften belegt sind. In den restlichen Häusern mit jeweils sechs Drei-Zimmer-Wohnungen sitzen über 13.000 Flüchtlinge, 30 bis 35 Personen pro Wohnung. „Jede Wohnung hat eine eigene Toilette“, sagt Herr Dik, der ebenfalls am Gespräch teilnimmt, „und Dank der enormen Disziplin innerhalb der kurdischen Familien sind diese Toiletten immer blitzsauber.“ Da freut sich der weiße Mann.

Die Lagervertreter berichten von dem „Ausgang“, den jede Person dort alle zehn bis zwölf Tage für fünf bis sechs Stunden bekommt. Wer zu spät zurück kommt, wird in die Polizeistation geschleppt und dort verprügelt. „Die Lager sind offen. Von KZ keine Rede“, sagt Herr Eckhoff wörtlich, ohne von uns auf „KZ“ angesprochen worden zu sein.

In dem Lager in Mardin sind die Zustände noch schlimmer. 15.000 Menschen in 2.500 Zelten, weit weg vom Ort entfernt, auf freier Fläche der Hitze ausgeliefert. 280 Toiletten. Alle zwei Wochen eine Lieferung Trockennahrung durch die Regierung.

„Die meisten Frauen sind schwanger, aber man sieht keine Babys“, sagt unser kurdischer Begleiter. Botschaftsmitarbeiter Oberfeld, der als besonderer Kenner der Kurdenfrage vom Botschafter dem Gespräch hinzugezogen wird, sieht das anders: „Die Säuglingssterblichkeit ist völlig normal. Von einer minimalen Anhebung in der Graphik mal abgesehen, die es anfangs gab.“

Ein Vertreter der EKD, der an unserer Delegation teilnimmt, will wissen, warum die Hilfsgüter aus Westeuropa in den Lagern nicht ankommen. „Das liegt nicht an der türkischen Regierung, sondern an der eigenwilligen Haltung des türkischen Zolls gegenüber ausländischer Hilfe. Die Regierung ist sehr daran interessiert, daß die Hilfsgüter ankommen. Sie kann sich aber dem Zoll gegenüber nicht durchsetzen“, sagt Herr Oberfeld, ohne die Miene zu verziehen.

„Unsere Meinungen liegen gar nicht so weit auseinander“, meint Seine Exzellenz und bestätigt, daß der Bundesregierung durchaus auch Druckmittel zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe die Einhaltung der europäischen Antifolterkonvention und der Menschenrechtskonvention eingefordert werden kann. „Das stärkste Druckmittel ist die EG-Mitgliedschaft, die von der türkischen Regierung ja so gewünscht wird. Die Bundesregierung hat ganz klar zu verstehen gegeben: So lange das so aussieht mit den Menschenrechten, kann davon nicht die Rede sein.“ Da fällt mir der Bericht Nato-Partner Türkei von Heinz Kramer (Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 1985) ein, den ich während des Fluges nach Ankara gelesen habe. Dort wird ganz offen von den „nicht -militärischen Argumenten“ gesprochen, die die Waffenlieferungen in die Türkei (zur Zeit rund 300 Millionen Mark pro Jahr) notwendig machen: „Ihr Hintergrund ist die im Dezember 1986 vertraglich vereinbarte Freizügigkeit der Arbeitskräfte zwischen der Türkei und der EG, die die Bundesrepublik um jeden Preis verhindern will. Die türkische Seite zeigt zwar Verständnis für die Haltung der Westeuropäer, insbesondere Bonns, angesichts einer nach wie vor sehr hohen Arbeitslosigkeit den weiteren Zustrom türkischer Arbeitnehmer zu unterbinden, will auf die Ausübung ihres Rechtes jedoch nicht ohne Gegenleistung verzichten. In diesem Zusammenhang sind die Überlegungen für eine erneute Militärsonderhilfe zu sehen, für die es sonst aus Bonner Sicht kaum eine hohe Dringlichkeit gegeben hätte“, heißt es dort.

Jutta Oesterle-Schwerin, (Grüne) Md