Cholera auf Flüchtlingsinsel

Bereits elf Vietnamesen erkrankt / Zahlreiche weitere zeigen erste Symptome der Epidemie / Sie sind unter unmenschlichen Bedingungen auf der Insel Tai Ah Chau vor Hong Kong zwangsinterniert  ■  Von Ralf Sotscheck

Die Cholera-Epidemie auf der Insel Tai Ah Chau vor der Küste Hongkongs, auf der 4.400 vietnamesische Flüchtlinge interniert sind, hat sich am Wochenende weiter ausgebreitet. Inzwischen sind elf „Boat people“ an Cholera erkrankt. Darüber hinaus zeigen 23 Menschen, darunter fünf Polizisten der Bewachungstruppe, erste Krankheitssymptome. Die Insel wurde in der vergangenen Woche unter Quarantäne gestellt.

Der Ausbruch der Cholera-Epidemie kommt keineswegs überraschend. Bereits im Juli warnte die Organisation „Save the Children“ davor, die vietnamesischen Flüchtlinge, die nach einem Hurrikan evakuiert werden mußten, nach Tai Ah Chau zurückzuschicken. Die Lebensbedingungen auf der 20 Kilometer östlich von Hongkong gelegenen Insel sind erbärmlich. Es gibt weder fließendes Wasser noch Unterkünfte oder sanitäre Einrichtungen. Die Boat people sind umgeben von Müll und Exkrementen. Die UN-Flüchtlingskommission erklärte schon vor Wochen, daß die „Bedingungen auf der Insel für Hunde ungeeignet“ seien. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser ist unzureichend.

Vor acht Tagen hatte sich die Verzweiflung der Boat people in einer 20stündigen Schlacht gegen die Polizei entladen. Etwa tausend vietnamesische Flüchtlinge hatten die Polizisten mit Steinen, Messern und Eisenstangen angegriffen. Erst als die Beamten CS-Gas einsetzten, bekamen sie die Situation unter Kontrolle. Tai Ah Chau soll in dieser Woche vorübergehend evakuiert werden, um die gröbsten Mißstände zu beseitigen. Die Internierten sollen in dieser Zeit auf einer anderen Insel untergebracht werden, die ebenfalls unter Quarantäne steht.

Die Errichtung neuer Lager auf dem Festland, die leichter versorgt werden könnten, ist am teilweise gewaltsamen Widerstand der Bevölkerung gescheitert. In der britischen Kolonie werden die Stimmen immer lauter, die eine „zwangsweise Rückführung der Wirtschaftsflüchtlinge“ fordern. Von den 55.000 Boat people in Hongkong sind nur 14.000 als politische Flüchtlinge anerkannt. Täglich treffen 150 weitere VietnamesInnen ein. In diesem Monat finden neue Verhandlungen zwischen Großbritannien und Vietnam über die „Repatriierung“ der Flüchtlinge statt. Der Abschluß des Abkommens ist bisher durch die Intervention der USA verhindert worden. Washington hat damit gedroht, der UN -Flüchtlingskommission die Gelder zu entziehen und Vietnam auch nach dem Rückzug seiner Truppen aus Kambodscha keine Wirtschaftshilfe zukommen zu lassen, falls die Boat people gegen ihren Willen nach Vietnam zurückgeschickt werden. Viele vietnamesische Flüchtlinge nehmen inzwischen die lange Seereise nach Japan auf sich, das als einziges Land der Region ihre Aufnahme noch nicht verweigert. Doch auch die japanische Regierung bereitet jetzt einschränkende Gesetze vor.

Die philippinische Regierung hat sich am Wochenende grundsätzlich bereiterklärt, ein Internierungslager für die 14.000 Boat people, die als politische Flüchtlinge anerkannt sind, einzurichten. Damit wäre der Druck auf die Regierung Hongkongs vorübergehend abgeschwächt. Am letzten Mittwoch kam es in London zum ersten Treffen zwischen Hongkongs Gouverneur Sir David Wilson und dem neuen britischen Außenminister John Major. Wilson drängte die britische Regierung auf eine schnelle Lösung des Flüchtlingsproblems. Er übertrug die Zahlen auf Großbritannien und sagte, es wäre dieselbe Situation, wenn „täglich 300.000 Albaner die Themse heraufgesegelt“ kämen. Die britische Regierung betonte dagegen, daß die Lebensbedingungen der Boat people und die Cholera-Epidemie einzig „Angelegenheit der Regierung Hongkongs“ seien.