Halb zog es ihn, halb sank er hin...

■ Über den letzten Beweis, daß man dem menschlichen Körper mehr zumuten kann als er aushält

Klaus Lockener steht das Wasser gottlob nicht bis zum Hals, sondern nur bis zum Nabel. So tief ist nämlich der Wallgraben an der Brücke zwischen Staatsarchiv und Grünanlagen. In knielanger Stoffhose und Lederschnürschuhen watet der 21jährige Bremer durch das stille Wasser und wühlt im Schlamm nach uraltem Schrott. Seine Funde sortiert er am Ufer nach streng ökologischen Gesichtspunkten: Glas hierhin, Schrott dahin. „Wenn die von der Stadt hierhin kommen und saubermachen, schmeißen die doch alles egal weg“, erläutert er seine Entsorgungsmethode. Außergewöhnliches extra. Nach und nach entreißt er dem vermeintlich harmlosen Wasser ein Geheimnis nach dem anderen. Medikamentenschachteln, Fixerspritzen, Glasflaschen und

Blechdosen kommen ans Tageslicht und erheben stumme Anklage gegen die Rücksichtslosigkeit ihrer alten Besitzer, die sie so achtlos beiseite geworfen hatten.

„Für die Touristen, die nach Bremen kommen und für die Enten“ macht Lockener seine spektakuläre Säuberungsaktion, die sogar von den Kameras des ZDF begleitet wird und sich allgemeiner Zustimmung aus der Bremer Bevölkerung erfreut. Und auch bei der Polizei, die ja spezialisiert ist auf das Fischen im Trüben, findet findet die Aktion kollegialen Beifall. „Erkälten Sie sich nicht“, weist ein flanierender Freund und Helfer auf die Risiken der Berufskrankheiten hin.

„Ich mache den See auf eigene Faust sauber. Ich finde, wenn die Meere vergiftet sind, dann muß wenigstens der See sauber sein“, klärt der Trübseefischer die interessierte Öffentlichkeit auf. Mit seiner Mutter habe er vor zwei Jahren einen Spaziergang durch die Wallanlagen gemacht, und die hätte den Graben für viel zu dreckig befunden. Dergestalt in seiner

Heimatehre gekränkt, hat sich der brave Sohn dann zu der Säuberungsaktion entschlossen. „Ich mache das in diesem Jahr schon vier Wochen, da unten bei der Mühle. Jetzt bleib ich hier in dieser Gegend, und wenn ich in hundert Jahren mit dem Säubern fertig bin, fange ich wieder von vorne an.“

Seit fünf Jahren ist Lockener arbeitslos und merklich stolz auf seinen ungewöhnlichen Zeitvertreib. Während einer kurzen Zigarettenpause auf der Brücke zittert sein Körper, die Haut ist aufgeschwemmt, die nassen Sachen triefen. Die Selbstgedrehte will nicht richtig, weil die Hände ständig nachfeuchten. Die Ersatzklamotten liegen auf einem Haufen neben der Brücke.

Den interessierten Passanten zeigt Lockener gerne seinen schönsten Fund. Einen durch und durch verfaulten Koffer, der ganz konspirativ mit einem Stein beschwert und in Plastik eingewickelt war. Alter Schmuck und eine Medaille der „Magdeburger Jagdausstellung 1924“ kamen zum

Vorschein. Natürlich wird der ehrliche Fischer seinen Fang der Polizei übergeben.

mad