Keine Amnestie für VoBos

■ Senat schiebt Regelung für die letzten, harten Volkszählungsboykotteure vor sich her / StaLa kassierte bisher fast 100.000 Mark / AL rät: Nicht zahlen!

In der Koalitionsvereinbarung des rot-grünen Senat hatte sich alles so gut angehört: „Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten, die Durchführung von Strafverfolgungs- und Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit der Volkszählung zu beenden“, lautete die gemeinsame Klausel, in der die AL ihre Forderung nach einer Art Amnestie für die knapp 5.000 verbliebenen Berliner Volkszählungsboykotteure verpackt sah. Ein gutes halbes Jahr später gestaltet sich die Umsetzung dieser Koalitionsvereinbarung schwieriger als erwartet.

4.000 Bußgeldbescheide sind inzwischen rechtskräftig geworden. Um die 60 Boykotteure haben ihre Buße schon bezahlt und dem Berliner Landeshaushalt auf diese Weise runde 100.000 Mark „eingespielt“. 650 Bußgeldverfahren sind noch offen und derzeit stehen täglich bis zur vier hartnäckige VolkszählungsgegnerInnen vor dem Amtsgericht. Die meisten verlassen mit 1.500 Mark Buße den Gerichtssaal eine Summe, die das Statistische Landesamt festgelegt hat und mit der ausgerechnet das rot-grüne Berlin bundesweit Spitzenreiter ist. In Einzelfällen haben bisher zwar einige Richter das Bußgeld mit Rücksicht auf das niedrige Einkommen der Betroffenen gesenkt. Andere Richter jedoch befanden auch für Studenten eine Buße von 1.500 Mark als angemessen und baten selbst Sozialhilfeempfänger mit 500 Mark zur Kasse.

Auf Anordnung des Innensenats sollen diese Geldforderungen zwar bis zu einer endgültigen Klärung über die Abwicklung der Volkszählung nicht eingetrieben werden. Aber wie diese Klärung aussehen soll, ist weiterhin offen. Inzwischen hat sich bei der AL und SPD die Auffassung durchgesetzt, daß eine generelle „Vobo-Amnestie“ rechtlich nicht möglich ist.

Machbar jedoch, so schlägt jetzt ein von der AL in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten vor, wäre eine generelle Einstellung der noch anhängigen 650 Verfahren nach dem Opportunitätsprinzip. Anders als bei Strafverfahren kann bei Bußgeldverfahren eine Verfolgung unterbleiben, wenn das von der Behörde politisch gewollt wird oder absehbar ist, daß die Gelder ohnehin nicht eingetrieben werden können. Beim Innensenat sieht man jedoch in der Einstellung der noch laufenden Verfahren eine Ungleichbehandlung all derjenigen, die schon rechtskräftig zu einer Geldbuße verurteilt wurden. Realistisch scheint daher ein anderer Vorschlag, den die AL schon im Juli eingebracht hat. Doch der schmort seitdem folgenlos in den Senatsschubladen, während in Moabit die Prozeßlawine rollt: Die bisher rund 4.000 rechtskräftigen Bußgeldbescheide, so schlägt die AL vor, sollen daraufhin überprüft werden, ob sie überhaupt vollstreckt werden können. Häufig nämlich seien die Betroffenen unter ihrer Meldeadresse gar nicht mehr auffindbar oder verdienten unter 1.500 Mark, so daß eine Vollstreckung ohnehin unvertretbar sei. Ihnen könnte auf dem Wege des individuellen Gnadengesuchs die Zahlung erlassen werden. Für diejenigen, bei denen eine Vollstreckung überhaupt in Betracht kommt, sollte das Bußgeld maximal 200 Mark betragen. Die noch ausstehenden 650 Verfahren, so der AL-Vorschlag, sollten auf Antrag des Statistischen Landesamtes und der Amtsanwaltschaft vorerst ausgesetzt werden.

Im Senat sinniert man über diesen Vorschlag noch nach. In zwei bis drei Wochen, so Staatssekretär Borrmann gestern gegenüber der taz, soll der Willensbildungsprozeß abgeschlossen sein. Dann will der Innensenat eine eigene Vorlage in den Senat einbringen, die dem AL-Vorschlag zwar rechtlich nicht folge, „aber in dieselbe Richtung geht“. Bei der AL ist man währenddessen reichlich verärgert; Vobo -Rechtsanwalt Christian Ströbele: „Die schieben eine Entscheidung hinaus und täglich werden neue Fakten geschaffen.“ AL-Datenschutzexpertin Lena Schraut registriert, daß immer mehr Leute die Geldbuße zahlen, weil sie nicht an eine sinnvolle Senatsregelung glauben. Auf keinen Fall zahlen, heißt daher der Ratschlag der AL, denn noch - so Ströbele - „hoffen wir, daß der überwiegende Teil der Boykotteure mit Null rauskommt“.

Vera Gaserow