: Die Anderen: Algemeen Dagblad/Volkskrant
Algemeen Dagblad
Die in Rotterdam erscheinende Tageszeitung kommentiert die Fluchtbewegung aus der DDR:
Die Ostdeutschen geben mit ihrer Flucht ein vernichtendes Urteil ab über ihr Land, das sich in einer schweren politischen Krise befindet. Der wichtigste Grund (für die Flucht) ist, daß die Leitung des 'ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden‘ sich hartnäckig Reformen widersetzt. Die alte Garde an der Spitze scheint die Geschehnisse aus dem Griff zu verlieren. Noch immer bedient sie sich der scharfen Sprache des Klassenkampfes, obschon der kalte Krieg vorbei ist und Ost und West intensiver denn je zuvor zusammenarbeiten.
Bei dem Versuch, das aus Polen, Ungarn und der Sowjetunion herüberwehende Virus zu unterdrücken, bekommt die DDR die Unterstützung der Tschechoslowakei und Rumäniens. Ihr Widerstand kann nur auf eine Weise gedeutet werden: Lieber heute als morgen sähen sie die Hoffung erweckenden Reformen in den Bruderstaaten scheitern.
Volkskrant
Zum gleichen Thema schreibt die in Amsterdam erscheinende unabhängige Tageszeitung:
Das Argument, daß es für die ostdeutsche Parteileitung viel schwieriger ist als für die ungarische oder polnische, das scheiternde kommunistische System zu reformieren, enthält einen Kern von Wahrheit, ist aber keine Entschuldigung, um jede Reform schlankweg abzulehnen. Die DDR leite ihre Bestandsrechte vom Kommunismus ab, so lautet die Argumentation eines Partei-Ideologen in Ost-Berlin, und jede Reform im westlichen Sinn untergrabe daher die Existenz des zweiten deutschen Staates.
Diese Rechnung geht jedoch nicht auf. Bei allen Veränderungen in Osteuropa sind zwei Dinge unantastbar: Die militärischen Allianzen und die Nachkriegsgrenzen in Europa. Die Existenz der DDR steht nicht zur Debatte. Politische und wirtschaftliche Reformen brauchen dann auch in keiner Weise der Anfang vom Ende der DDR zu sein. Sie bilden vielmehr die wesentliche Voraussetzung für einen Ausgleich zwischen Volk und Staat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen