Walesa fordert Taten statt Worte

Solidarnosc-Chef in der Bundesrepublik / Reise auf Einladung des DGB / Besuche bei Rau und Blüm  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

„Wir möchten keine Almosen, wir möchten euch ein Geschäft anbieten. Es ist ein großes Geschäft in Polen zu machen. Deshalb kommt nicht zu spät, wenn ihr zu spät seid, ist es eure Schuld.“

So äußerte sich gestern der Vorsitzende der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc nach seinem Gespräch mit NRW -Ministerpräsident Johannes Rau. Walesa hatte gleich zu Beginn seines viertägigen Besuches in der BRD gestern dazu aufgerufen, alle Kräfte zu mobilisieren, um das gemeinsame Haus Europa zu bauen. Eingerahmt vom DGB-Vorsitzenden Ernst Breit und weiteren Gewerkschaftsfunktionären sagte Walesa noch auf dem Flughafen in Düsseldorf, daß es zwar noch „Hindernisse“ auf dem Weg zu „einem Europa“ gebe, aber es nun darauf ankomme, die „Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit“ zu nutzen. Beim Überfliegen der Bundesrepublik hätte er einen „Betondschungel“ gesehen und viele „Hügel, Hindernisse und Mauern wahrgenommen“. Er glaube, daß man diese beseitigen könne.

Nach dem Gespräch mit Rau sagte der Solidarnosc-Chef: Es herrsche ein großes Einverständnis zwischen Deutschen und Polen in Worten und Theorie. Aber wenn es praktisch werde, heiße es immer: „Langsam, langsam“.

Rau hatte dem Gast aus Polen versichert, daß Walesa deutlich gemacht hätte, auf welche Art und Fortsetzung Seite 2

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Weise der Westen Polen konkret helfen könne. Walesa überreichte Rau eine Liste mit 16 möglichen Projekten aus der Region Danzig überreicht, wo die Deutschen konkret mit finanzieller Hilfe einsteigen könnten. Rau sicherte zu, schon in den nächsten Wochen, den Kontakt zwischen NRW -Unternehmern und polnischen Partnern herzustellen.

Beim Abendessen mit dem DGB-Bundesvorstand auf Gut Höhne bei Düsseldorf sagte Walesa gestern abend, daß die neue Regierung in Polen vor enorm schwierigen Aufgaben stehe, er aber glaube, daß sie es schaffen werde, weil „die Unterstützung durch die Bevölkerung so groß ist“. Walesa wörtlich weiter: „Zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg fühlen wir uns in Polen wirklich zu Hause.“ Für die schon geleistete Unterstützung dankte der Solidarnosc-Chef besonders den Leuten vom Kolping-Werk und weiteren kirchlichen Institutionen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund gehöre bereits seit Jahren „zu unseren treuen Freunden“.

DGB-Chef Breit wandte sich bei seinem Toast energisch dagegen, die polnische Westgrenze in Frage zu

stellen. Von der Bundesregierung verlangte Breit eine Klarstellung und schnelle wirtschaftliche Hilfe.

Der Gewerkschaftschef, der auf Einladung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) die Bundesrepublik besucht, absolviert bis zu seiner Abreise am Freitag abend ein Mammutprogramm mit knapp 30 offiziellen Terminen. Am Donnerstag wird er mit Bundeskanzler Kohl und Bundespräsident Weizsäcker Gespräche führen. Am Mittwoch tritt er als Gast auf einer Belegschaftsversammlung der Krupp-Stahl AG in Bochum auf.

Gestern traf er zunächst mit Ministerpräsident Johannes Rau und unmittelbar danach mit dem Bundesarbeitsminister und NRW -CDU-Vorsitzenden Norbert Blüm zusammen.

Um diese Besuchsabfolge hatte es noch am Montag ein erbärmliches politisches Gezerre gegeben. Zunächst war ein Treffen mit Blüm um 15.25 Uhr vorgesehen. Danach, um 16 Uhr, sollte Walesa mit Ministerpräsident Johannes Rau zusammentreffen. Im unmittelbaren Anschluß daran war, so hieß es noch in einer Regierungsmitteilung vom 30.8., ein Empfang in Raus Staatskanzlei vorgesehen. Weil aber der Regierungschef unbedingt als erster Landespolitiker Walesa in Düsseldorf die Hand schütteln wollte, schmiß

der DGB das Programm noch einmal um. Gegenüber Blüm wurde die Terminänderung mit technischen Problemen begründet. So mußte Walesa, um den besonders in Wahlkampfzeiten gepflegten deutschen Eitelkeiten und Statuseifersüchteleien zu genügen, zunächst in die Staatskanzlei fahren, danach in die etwa ein Kilometer entfernt liegende CDU-Zentrale pilgern, um dann wieder zurück zur Staatskanzlei zu hetzten. Ursprünglich hatte der DGB überhaupt kein Treffen von Walesa mit Blüm vorgesehen. Der war kaum von seiner Pilgerreise nach Polen zurückgekehrt, als in der Düsseldorfer Gewerkschaftszentrale ein Telefax-Brief aus Danzig eintrudelte, in dem Walesa um eine Begegnung mit Blüm in Düsseldorf bat. Die Nichtbeachtung von Blüm bei der Besuchsplanung kann tatsächlich nur als politischer Affront gewertet werden, denn Blüm und Walesa verbindet seit Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Schon Anfang der achtziger Jahre, als die Bundes-SPD - in Sorge um ihre guten Verbindungen zu der kommunistischen Staats- und Parteielite in Polen - die Kontakte zur Solidarnosc noch ängstlich mied, organisierte der Christdemokrat als Vorsitzender der CDA schon praktische Hilfe.