Vergewaltigung in den Wallanlagen

■ 15jährige Schülerin hatte Stadtstreicher vertraut / Täter war mehrfach vorbestraft

Wer sich für das öffentlich ausgebreitete Gewaltverhältnis zwischen Männern und Frauen interessiert, hat in den Bremer Gerichtssälen große Auswahl. Der Leitende Oberstaatsanwalt bietet in seinem Überblick über die „Highlights“ für diese Woche

gleich vier solcher Delikte an: Erstens das Erschlagen der Ehefrau, zweitens das Vergewaltigen der Ex-Freundin, drittens das vollendete Vergewaltigen einer 27-jährigen in der Wohnung des Täters und viertens das versuchte Vergewaltigen einer 15-jährigen in den Wallanlagen.

Diese 15-jährige heißt Corinna F. Der Prozeß, an dem die lebhafte Schülerin als „Geschädigte“ und „Zeugin“ teilnahm, war am Dienstag als erster angesetzt. Vor Gericht sprach Corinna F. mit lauter Stimme, aber hastig und nervös. Die anderen Zeugen bescheinigten ihr, daß sie vor der Tat einen „selbstsicheren, vernünftigen Eindruck“ gemacht hätte. Ihr Mut, ihre Unbefangenheit, ihre Un-Ängstlichkeit gegenüber Männern aus den Zeiten vor der Tat scheinen jetzt dahin. Einen Freund hat sie seit dem Abend in den Wallanlagen nicht wieder, Sexualität „ekelt“ sie an. Wenn jemand sie von hinten am Hals fast, hat sie „immer noch Angst“. Trinken tut die mittlerweile 16-jährige „seitdem“ oft und viel mehr als sie vertragen kann. Von diesen Veränderungen erzählt sie von sich aus dem Gericht nichts, erst auf Nachfragen der Sonder -Staatsanwältin be

richtet sie einsilbig darüber.

Corinna F. wohnt in einer niedersächsischen Kleinstadt. Ende März fuhr sie mit dem Zug über Bremen nach Emden, um eine Freundin zu besuchen. Als sie die Freundin nicht antraf, setzte sie sich wieder in den Zug und fuhr zurück. Doch dank des lückenhaften Fahrplans der Bundesbahn kam sie nur bis Bremen. In ihre heimatliche Kleinstadt ging der nächste Zug erst am nächsten Morgen um 6 Uhr. Sie entschied sich, im und vorm Bremer Hauptbahnhof die Stunden bis zur Abfahrt des Morgenzuges abzusitzen. Etwa gegen zwei Uhr nachts - sie war „schon reichlich gefrustet, war kalt da“ sprach sie der Stadtstreicher Hans H. an. Der sei zu Anfang „unheimlich freundlich und nett“ gewesen. Sie ging mit ihm einen Kaffee trinken und faßte Vertrauen. Nachdem ihr der unterhaltsame 38-jährige Mann bereitwillig seinen Personalausweis gezeigt hatte; konnte sie sich nicht mehr vorstellen, „daß da noch was passieren sollte“.

Der nette, lustige Stadtstreicher zeigte ihr den Roland und schließlich in den Wallanlagen seine Lieblingsbank. Unterwegs hatte eine Polizeistreife das ungleiche Paar kontrolliert. Nachdem das Mädchen glaubhaft versichert hatte, sie könne selbst auf sich aufpassen, hatten sich die Beamten wieder abgewendet.

Wenige Minuten später verwandelte sich Corinnas vertrauenswürdiger Begleiter mit Rauschebart in einen Gewalttäter:

„Du bleibst jetzt hier“ - „Jetzt bist Du dran.“ Der Mann würgte sie bis zur Atemnot und drohte ihr, sie in den Wallgraben zu schmeißen. Dann zwang er die angeekelte junge Frau, sein Glied in die Hand und in den Mund zu nehmen. Bevor er sie zum Vaginalverkehr zwingen konnte, gelang es ihr, in einem unbeobachteten Moment zu fliehen. Mehrere Polizeibeamte bestätigten ihre Aussage. Das Leugnen des Täters machte deshalb vor Gericht wenig Eindruck.

Hans H., der Täter, geht seit über zwanzig Jahren in den Gerichtssälen sowie den Jugend- und Erwachsenenknästen ein und aus. Corinna F. war nicht die einige Frau, gegen die er sexuelle Gewalt ausübte, eine Stunde lasen die drei RichterInnen gestern abwechseln Auszüge aus früheren Urteilen: eine 14-jährige mißhandelt und zur Prostitution gezwungen, eine Schwesternschülerin dreimal fast vergewaltigt, usw. Dem alkkoholkranken Mann droht deshalb eine Sicherungsverwahrung, die lebenslänglich dauern kann.

Am Freitag wird die Verhandlung fortgesetzt. Wer sich dagegen mehr für das Erschlagen einer Ehefrau oder das Vergewaltigen einer Ex-Freundin interessiert, kann - wie eingangs erwähnt - ebenfalls in Bremer Gerichtssälen auf seine ZuschauerInnen-Kosten kommen. An Männergewalt in den verschiedensten Varianten herrscht in dieser Stadt kein Mangel.

Barbara Debus