Patt im Niedersächsischen Landtag

Wahlfälscher Kurt Vajen tritt aus der CDU aus und behält sein Landtagsmandat / SPD will vorzeitige Neuwahlen beantragen / FDP hat Zeitpunkt für Neuwahlen jedoch längst verpaßt  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

„Der Abgeordnete Kurt Vajen ist mit sofortiger Wirkung aus der CDU-Fraktion ausgetreten“, verkündete Parlamentspräsident Edzard Blanke pflichtgemäß zu Beginn der gestrigen Sitzung des niedersächsischen Landtages, in der der Haushalt 1990 und die Krise der Regierung Albrecht auf der Tagesordnung standen.

„Für die Sitzung entschuldigen lassen“ hatte sich Kurt Vajen, der Beinahe-„Republikaner“, der die CDU/FDP-Koalition gestern endgültig um ihre Einstimmen-Mehrheit gebracht hat. Noch rechtzeitig zur gestern früh angesetzten CDU -Fraktionssitzung, die den überfälligen Auschluß des Wahlfälschers aus den Reihen der CDU-Landtagsabgeordneten vollziehen sollte, hatte der Landwirt selbst per Brief aus dem heimatlichen Brockel seinen Austritt aus der Fraktion erklärt.

Von der Rückgabe seines Landtagsmandats, den die CDU öffentlich verlangt, allerdings nie wirklich erwartet hatte, war in dem Schreiben aus der Westheide nicht die Rede. Im Gegenteil, in einem Interview mit seinem Hausblatt der 'Rotenburger Kreiszeitung‘ kündigte Vajen noch am gleichen Tag auch seinen Austritt aus der CDU an und erklärte, daß er sein Mandat selbstverständlich bis zum Ende der Legislaturperiode behalten werde.

So konnte der Grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin als erster Redner gestern im Landtag konstatieren, daß in Niedersachsen „die Ära Albrecht so endet, wie sie 1976 begann, mit dem Regieren ohne parlamentarische Mehrheit mit der mal klammheimlichen, mal offen geäußerten Hoffnung auf Überläufer“.

Nach Ansicht des Grünen Fraktionsvorsitzenden Trittin will die niedersächsische CDU nun nach der Trennung von Vajen „ihre Macht nur noch über die Runden schleppen“, sie für Bonn, also für die Bunderatsmehrheit, solange erhalten, „wie es irgendwie geht“. Aber auch die Konkurrenz von der SPD sitze „von sommerlicher Schlappheit geplagt da, brabbele von einem gemeinsamen Haushalt mit der Regierungskoalition, umschleiche die FDP und scheue sich, sich konsequent auf Neuwahlen zu orientieren“, sagte Trittin.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Gerhard Schröder hat in der Tat gestern in der Haushaltsdebatte sein Angebot an die Regierungskoalitions zu Gesprächen über eine gemeinsame Verabschiedung des Haushalts 1990 wiederholt. Allerdings blieb dieses Angebot an die Bedingung vorzeitiger Neuwahlen zum Jahreswechsel geknüpft, und den Haushaltsplan für 1990 wollte Schröder in wichtigen Punkten geändert wissen.

Dieses Angebot war von vornherein auf die FDP zugeschnitten. Vor zwei Wochen, so hat der SPD -Landesvorsitzende Johann Bruns jetzt erklärt, habe der FDP -Landesvorsitzende Heinrich Jürgens dieses Angebot gemeinsamer Haushalt gegen Neuwahlen in einem Telefonat bereits einmal akzeptiert, doch im FDP-Landesvorstand dafür keine Zustimmung bekommen.

„Frühestens und spätestens in der Oktobersitzung des Landtages“ will die SPD nun auch die vorzeigtige Auflösung des Landtages beantragen. „Die Situation ist Patt, Neuwahlen sind die Lösung“, begründete Gehard Schröder schon am Dienstag abend vor der Presse diese Ankündigung.

Doch eine Auflösung des Landtages bedarf einer Zwei-Drittel -Mehrheit, also auch der Zustimmung der FDP und eines guten Teils der CDU-Abgeordneten. In der Fraktionssitzung der CDU zum Fall Vajen am Dienstag haben ganze zwei CDU-Abgeordnete gegen Albrecht und für Neuwahlen Position bezogen.

Der Grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin prognostizierte gestern auch für Niedersachsen „einen sich über Monate hinziehenden Prozeß des offenkundigen Abwirtschaftens des Landesregierung“. Von diesem Prozeß werde auch die FDP erfaßt werden, was nach Meinung des Grünen Abgeordneten „den Spekulationen über eine neue sozialliberaleKoalition in Niedersachsen den Boden entzieht“.