Flughafen-AnwohnerInnen fühlen sich enteignet

■ 100seitige Klageschrift gegen die volle Nutzbarmachung der Startbahn / Dutzende Verfahrensfehler in der Planung

„Das gesamte Verfahren der Flughafenerweiterung ist nur als rechtswidrig zu bezeichnen.“ Zu diesem Ergebnis kommt die über 100seitige Klageschrift des Bremer Rechtsanwalts Axel Adamietz, der für einen direkten Flughafen-Anwohner in Stuhr

Kuhlen vor dem Oberverwal tungsgericht in Lüneburg die Aufhebung des ersten Planfeststellungsbeschlusses beantragt. Gleichzeitig soll das Gericht auch die „sofortige Vollziehbarkeit“ wieder aufheben, mit der der Bremer Senat trotz anhängiger Klage

bereits im vergangenen Jahr mit den Bauarbeiten zur Ochtum -Verlegung und vollen Nutzbarmachung der vorhandenen Startbahn begonnen hat.

Besonders kompliziert ist der juristische Sachverhalt schon deswegen, weil sich die Flughafenerweiterung auf zwei Bundesländer erstreckt. Zehn Seiten verwendet Adamietz deshalb allein auf die Frage, ob das OVG in Lüneburg überhaupt zuständig ist und bittet schließlich darum, die Frage vom Bundesverwaltungsgericht klären zu lassen.

Voraussetzung des Planungsverfahrens war ein „Staatsvertrag“, den Bremen 1986 mit Niedersachsen geschlossen hat. Bereits dessen Rechtmäßigkeit zweifelt Adamietz an. Ein Grund unter vielen ist dafür die Teilnahme der Abgeordneten Knorr am entsprechenden Bürgerschaftsbeschluß. Frau Knorr war nämlich gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied der Flughafen GmbH und somit befangen. Doch 1986 beteiligte sie sich nicht nur an der Abstimmung, sondern leitete die Sitzung der Bürgerschaft sogar als amtierende Präsidentin.

Auch die Unterschrift der Flughafen GmbH unter dem Antrag auf die Verlegung des Ochtum-Deichs zur Startbahnverlängerung hält Adamietz für ungültig. Denn als der Antrag unterschrieben wurde, war die GmbH ohne Geschäftsführer. Herbert Estel war gerade gefeuert worden, weil er Flughafenbeschäftigte an seinem Privathaus eingesetzt hatte.

Für noch schwerwiegender als diese Verfahrenspannen hält Anwalt Adamietz die mangelnde Ab

wägung der Folgen, die die Flughafenerweiterung für die direkt betroffenen Anlieger haben wird. „Ihr Grundstück wird in dem Lärmgefährdungsgebiet liegen, in dem ein dauernder Aufenthalt von Menschen, mithin das Wohnen, ausgeschlossen ist“, schreibt der Anwalt. Die Flughafenerweiterung käme damit praktisch einer „Enteigung“ gleich, für die aber keine der gesetzlich vorgeschriebenen Entschädigungen festgelegt wurde. Zudem wurde bei der Lärmbegutachtung eine Zahl von 13.000 Flugbewegungen zugrunde gelegt, die aus einer Prognose des Jahres 1983 stammten. Tatsächlich gab es aber bereits 1987 - ein Jahr vor

dem Planfeststellungsbeschluß - 33.000 Flugbewegungen. Doch das neue Lärmgutachten des Berliner Professors Mensen fand in der Erörterung der Flughafen-Pläne keine Berücksichtigung mehr.

So dicht wie die ersten Häuser von Stuhr-Kuhlen liegt keine andere Wohnbebauung an einem Verkehrsflughafen der Bundesrepublik. Nach heutiger Rechtslage könnte die Bremer Startbahn nicht mehr genehmigt werden. Und während die Sicherheit des Flugbetriebs mit der Verlegung des Ochtum -Deichs zunehmen soll, nimmt die Sicherheit der Anlieger noch weiter ab. Würde nun noch einmal wie 1984 eine Boeing

727 über das Ende der Landebahn hinausschießen, bliebe sie nicht mehr im Deich stecken, sondern landete genau im Haus des Klägers aus Stuhr-Kuhlen. Die Planung wurde gerade mit einer „Verbesserung der Sicherheit des Flughafens“ begründet - nach der Sicherheit der Anwohner war nicht gefragt worden.

Da spielt es schon kaum noch eine Rolle, daß auch die nach EG-Recht seit dem 3. Juli 1988 vorgeschriebene „Umweltverträglichkeitsprüfung“ nicht durchgeführt wurde, bevor am 30. September 1988 der Planfeststellungsbe schluß für die Flughafenerweiterung erging.

Dirk Asendorpf