Wenn Frauen töten und morden...

■ ...wollen sie ihre Peiniger für immer loswerden / Eine Studie belegt, daß Frauen aus ganz anderen Motiven töten als Männer / Gnaden- und verständnislos werden sie verurteilt / Und linke Männer haben damit überhaupt nichts zu tun? / Eine Collage von Ute Scheub

Eine Frau bringt ihren Mann um, weil er jahrelang kleine Mädchen sexuell mißbrauchte. Zuletzt hatte er ihr ein Foto gezeigt, auf dem er gerade eine Achtjährige penetriert. Ohne eine andere rechtliche Würdigung dieser grausigen Tatumstände in Erwägung zu ziehen, verurteilt ein Gericht die Frau als Mörderin zu lebenslanger Haft. Weil sie sich aus ihrer ausweglosen Ehesituation in ihren Beruf flüchtete, wird ihr ein monströser Ehrgeiz unterstellt. Sie habe ihren Mann umgebracht, so heißt es in der Begründung, nachdem er sich „endgültig als nicht formbar“ erwiesen habe.

„Männer bringen Frauen um, um ihre Geliebten für immer zu besitzen. Frauen bringen Männer um, um ihre Peiniger für immer loszuwerden“, formulierte einmal „Emma„-Chefin Alice Schwarzer sinngemäß. Auf Anregung von Alice Schwarzer und mit finanzieller Unterstützung des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“ begann Rechtsanwältin Dagmar Oberlies aus Saarbürcken, die „geschlechtsspezifischen Aspekte der Tötungskriminalität“ zu untersuchen. Ihre hochinteressante, bislang noch nicht veröffentlichte Studie, die auf der Auswertung von 93 Urteilen gegen weibliche Täter und 84 gegen männliche beruht, scheint Alice Schwarzers These noch einmal vehement zu bestätigen. Doch nicht nur im Familienalltag des deutschen Patriarchus communalis und im Männerladen Justiz geraten männliche und weibliche Lebenswahrnehmung aneinander, sondern auch in der hehren Sphäre der kriminologischen Wissenschaft. Die Vorstellung der Studie in der letzten Woche auf einem Colloquium in jenem von Jan Philipp Reemtsma gegründeten Hamburger Institut geriet zum Lehrbeispiel für männliche Hilflosigkeit und Distanzierung.

Frauen werden diskriminiert, es gibt eine rechtliche Ungleichheit und Unvergleichlichkeit der Geschlechter, ja, selbstverständlich. Was sollen Männer mit linkem, gesellschaftskritischem Anspruch hier anders tun als nicken? Rund 15 Personen - Anwältinnen, Kriminologen, Soziozoginnen, Statistiker - sitzen rund um den Institutstisch in höflich -distanzierter Atmosphäre. Da die Rechtsanwältin Dagmar Oberlies und die Soziologin Gerlinde Smaus in souveräner Form die Diskussion beherrschen, müssen Männer auch etwas zu tun bekommen. Der eine, ein Statistiker, malt komplizierte Modelle seiner Strafmaß-Berechnungen an die Wandtafel. Der andere hat vom Institut den Auftrag bekommen, einen „methodischen Kommentar zum Datensatz“ der Studie zu schreiben, da man die Dame und ihre Untersuchung ja schließlich nicht allein lassen kann. Kostproben aus seinem Referat: „Der Umgang mit instanziell produzierten Daten, wie Akten, amtlichen Statistiken, Gerichtsurteilen oder Gutachten im Rahmen empirischer sozialwissenschaftlicher Forschung erfordert ein hinreichendes theoretisches Verständnis ihrer Produktion und Bedeutung.“

„Ohne ein theoretisch begründetes Verständnis der Algorithmen, die aus Ereignissen bürokratisch handhabbare Sachverhalte machen, bleibt jede Arbeit mit solchen Daten problematisch.“

„Texte haben, wie Sätze, eine grammatikalische Struktur.“

„Die Kohärenzregeln der narrativen Teile des Urteils setzen sich zusammen aus den Regeln einer allgemeinen Geschichtengrammatik und den spezifischen Regeln der juristischen bzw. strafrechtlichen Wertung.“

Vier Millionen Frauen werden jährlich in der Bundesrepublik mißhandelt, schätzt das gewiß unverdächtige bayerische Sozialministerium. Weitaus die meisten Täter werden dafür niemals belangt.

Sechs von zehn Ehefrauen, die wegen der Tötung ihres Mannes verurteilt wurden, sind nach der durch 174 Urteile abgestützten Untersuchung von Anwältin Oberlies von diesem zuvor mißhandelt worden - zum Teil über Jahre hinweg.

Umgekehrt gibt es keinen derartigen Fall. Das vorrangige Motiv von Ehemännern, ihre Frau umzubringen, ist nach den Ergebnissen der Studie Eifersucht - drei von zehn Männern fühlten sich dadurch getrieben. Und noch ein anderer Unterschied offenbart sich in dieser Statistik des Geschlechterkrieges: Während es keine Täterinnen gab, die gegenüber fremden oder flüchtig bekannten Männern sexuelle Gewalt mit anschließender Lebensbedrohung ausgeübt hätten, mißbrauchten umgekehrt zehn Prozent aller Täter fremde Frauen sexuell, bevor sie töteten oder zu töten versuchten.

Obwohl weitaus mehr Frauen männliche Gewalt in physischer und psychischer Form erleiden als umgekehrt, das weibliche Geschlecht also allemal Grund für Rachehandlungen hätte, sind nach der bundesdeutschen Kriminalstatistik zehnmal mehr Männer als Frauen an Gewaltdelikten beteiligt - wie denn überhaupt der Frauenanteil in allen Teilen dieser Statistik gering ist. „Frauen werden weniger kriminell und sie werden aus anderen Gründen und in anderer Art und Weise kriminell“, heißt es in der Studie. „Frauen sind nicht bessere Menschen, nur Menschen in anderen Schwierigkeiten.“ Während nur 3,6 Prozent aller bundesdeutschen Knastinsassen weiblich sind, ist es in der Psychiatrie bereits die Hälfte.

„Männer entwickeln eine kriminelle Devianz, Frauen eine somatische und psychische“, kann hier die Soziologin Gerlinde Smaus ergänzen, die das Strafrecht als Mittel zur Aufrechterhaltung von kapitalistischer und patriarchalischerr Herrschaft sieht. Damit könnten die männlichen Konflikte um Eigentum und Macht öffentlich ausgetragen werden, während die Privatsphäre um deren Frauen geschützt würde: „Die Renitenz von Männern wird öffentlich, die von Frauen privat unterdrückt.“

Zwei Fälle: Eine Frau wird durch ihren eifersüchtigen Freund jahrelang immer wieder bedroht und geschlagen. Eines Nachts beobachtet der Mann, wie sie in angetrunkenem Zustand einen Bekannten auf der Straße anfaßt und ruft sie daraufhin „laut und aggressiv“ in die Wohnung zurück, beschuldigt und schlägt sie. Die Frau fürchtet, daß er nun auch auf ihre Kinder losgeht, holt ein Messer und sticht auf ihn ein. „Sie wollte ihn damit zumindest verletzten. In ihrer Erregung und alkoholischen Beeinflussung war sie auch mit dem Tod ihres Freundes einverstanden“, heißt es im Urteil: zwei Jahre auf Bewährung wegen minder schweren Totschlags.

Im zweiten Fall bringt ein Ehemann seine Frau um, nachdem er sie jahrelang so schwer mißbraucht hatte, daß er sogar ihre Knochen brach. Diese Gewalttätigkeit wird im Urteil dadurch erklärt, „daß sich Frau S. immer mehr dem Trunke ergab und bald den Haushalt, aber auch ihre Körperpflege immer mehr vernachlässigte... Der Angeklagte wußte sich nicht anders zu helfen, als seine von Dr.H. als sensibel gekennzeichnete Frau immer wieder zu verprügeln, wenn sie es wieder zu arg getrieben hatte.“

Eines Abends, nach einem Streit vor dem Fernseher, „verlor der Angeklagte die Beherrschung. Er versetzte ihr einen Schlag in das Gesicht, sodaß sie aus dem Sessel auf den Boden fiel und dort auf dem Rücken liegen blieb. In dieser Lage versetzte ihr der Angeklagte heftige Faustschläge in das Gesicht und gegen den Leib (...) und sprang schließlich mit beiden Beinen mehrfach auf ihr herum. In seiner entfesselten Wut ergriff er endlich eine Flasche (...) und stieß diese mehrmals mit aller Kraft derart gegen und in ihr Geschlechtsteil“, daß die Frau an dem ihr zugefügten Scheiden- und Darmdurchriß verblutete. Das Urteil: dreieinhalb Jahre wegen Körperverletzung mit Todesfolge. „Infolge seiner Trunkenheit und seines Affekts hatte er trotz der schweren Mißhandlungen mit einem tödlichen Ausgang nicht gerechnet.“

„Sie merkt also noch alles, wenn sie betrunken ist“, kommentiert Dagmar Oberlies die beiden Fälle, „er aber nicht mehr - diese unterschiedliche Bewertung kann mir niemand erklären.“ Nicht nur in diesem Fall, sondern sehr oft schlagen sich nach ihrer Meinung die Richter - in ihrer Studie waren 80 Prozent der Richtenden Männer - mehr oder weniger unbewußt - auf die Seite der Männer: „Während weibliche Täter wie Opfer als dominant oder herrschsüchtig beschrieben werden, werden männliche Mißhandlungsexzesse in sachlich distanzierter Form geschildert.“

Kaffee und Obst werden gereicht. Dagmar Oberlies bleibt immer ganz nahe an ihrem Stoff und der in ihm geronnenen Gewaltförmigkeit der Geschlechterbeziehungen, unterstützt von Soziologin Gerlinde Smaus. Die versammelte Männlichkeit hingegen hebt an zur Fluchtbewegung in die Stratosphäre wissenschaftlicher Formelsprache: „An den entscheidenden Stellen hast du eine Ja/Nein-Formulierung benutzt...“

„Man soll nicht einen Datensatz in Variablen auflösen, sondern Strukturmuster beschreiben...“

Der Referent des „methodischen Kommentars zum Datensatz“ erhebt sich und geht ebenfalls Modellemalen auf der Wandtafel: „Kriminelle Delikte sind die Produkte von kriminellen Instanzen, wenn man es ganz hart formuliert...“

Die Atmosphäre reichert sich an mit unerträglicher Spannung. Hände werden feucht. Sie sind schon fast zu bemitleiden, jene der Weiblichkeit diesmal hoffnungslos unterlegenen Männer, wie sie ringen, sich mühen, abzappeln, die Gewalttätigkeit des Themas, das keine Neutralität duldet, in die reinen Vakuumformen der Wissenschaftlichkeit zu transformieren.

Bis Dagmar Oberlies der Kragen platzt: „So schaffen sich Kriminologen ihre persönliche Distanz. Hier sind Frauen mißhandelt, geschlagen, getötet worden, und ich verlange hier ein bißchen Respekt vor diesem Thema.“ Unendliche Peinlichkeit im Raum. Und ein unendlich hilfloser Diskussionsleiter: „Wenn man das so transponiert, dann ist mit der Kategorie des Respekts die Kategorie des Schweigens verbunden.“

Die Studie von Dagmar Oberlies wird in der feministischen Rechtszeitschrift 'Streit‘ veröffentlicht werden.