: „Sie bereiten ein Massaker vor“
Evin Aydar, Korrespondentin des Nachrichtenmagazins '2000'e Dogru‘ in Siirt, berichtet über die Verbannung ihres Ehemanns Zübeyir ■ I N T E R V I E W
taz: Wie war Ihre Reaktion, nachdem Sie von der Verbannung Ihres Ehemannes gehört haben?
Evin Aydar: Ich habe nicht gedacht, daß er verbannt werden könnte. Ich hatte Angst, daß er ermordet würde. Aber die Verbannung hat mich regelrecht erstaunt.
Warum konnten die Behörden seine Existenz in Siirt nicht mehr dulden?
Das Anwaltsbüro meines Mannes diente als Anlaufstelle in Sachen Menschenrechtsverletzungen. Wir haben gemeinsam Fälle aufgeklärt, die von den Offiziellen verdunkelt wurden. Sie wollten mehrere bekannte Personen aus der Region verbannen, um das geplante Massaker an der Bevölkerung in die Wege zu leiten.
Welchen Repressalien waren Sie ausgesetzt?
Es fing im August vergangenen Jahres an. Bauern aus den Dörfern Hot und Trii wurden gezwungen, in die Dorfmiliz einzutreten. Sie wollten die Waffen zurückgeben. Mein Mann hat ihre Petition bei der Präfektur und dem zuständigen Militärkommandanten eingereicht. „Seine Tage sind gezählt“, sagte damals der Bataillonskommandeur Latif. Es wurde angedeutet, daß mein Mann ermordet werden wird. Im Winter haben wir in der Presse über den „Metgerfluß“, in welchen namenlose Leichen seitens des Militärs geworfen wurden, berichtet: wieder Drohungen: „Wir haben euch Plätze im Metgerfluß reserviert.“ Der Gendarmeriekommandant erklärte vor den Agas: „Ich werde Zübeyir mitten in der Stadt erschießen lassen.“ Wir haben diese Drohungen nicht ernst genommen. Zuletzt, am 18.Juni, wurde die Leiche des Bauern Osman Esendemir gefunden, der von Militär und Dorfmilizen ermordet wurde. Nachdem Zübeyir den Fall übernommen und ich in der Presse darüber berichtet hatte, nahmen die Attacken auf uns zu. Das Anwaltsbüro und unser Haus wurden seit drei Monaten überwacht.
Haben Sie mit anderen Personen, gegen die eine Verbannungsverfügung erging, sprechen können?
Die Ehefrau eines PKK-Mitgliedes in dem Dorf Seyfii nahe der stadt Eruh. Die Frau ist 39 Jahre alt und hat sechs Kinder. Sie kann kein Türkisch und nicht lesen und schreiben. Sie hat ihr ganzes Leben außer ihrem Dorf nichts gesehen. Und diese Frau wird „wegen Schädigung der öffentlichen Ordnung“ verbannt. Sie ist völlig verzweifelt und steht unter Schock
Ihr Mann ist mittlerweile in Ankara. Werden Sie in Siirt bleiben?
Ich bleibe in Siirt. Sie morden. Erst vergangenen Monat, am 12.August, haben Soldaten einen wehrlosen Hirten mit Kopfschuß ermordet. Es ist stets dasselbe. Und wir versuchen, hier die Menschen zu verteidigen. Sie dachten, ich gehe mit meinem verbannten Mann. Doch ich werde Siirt nicht verlassen. Sie müssen wohl auch gegen mich eine Verbannungsverfügung aussprechen.
Interview: Ömer Erzeren
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