US-Gewerkschaften vor neuem Anfang?

In den achtziger Jahren ist die amerikanische Gewerkschaftsbewegung in die Ecke gedrängt worden / Nur noch 17 Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftliche organisiert / Dennoch gibt es massive Streikbewegungen im Bergbau und im Flugverkehr  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

„Die Herausforderung ist offensichtlich“, schrieb der Vorsitzende der US-amerikanischen Bauarbeitergewerkschaft seinen Mitgliedern zum „Labor Day“: „Wir müssen in einigen Regionen völlig von vorne anfangen. Wir stehen vor einem neuen Anfang.“ Nicht nur der radikale gewerkschaftsfeindliche Kurs der Reagan-Administration hat die Kräfte der US-Gewerkschaften ausgezehrt, sondern die weitgehende Umgestaltung der US-Ökonomie hat ihr in weiten Teilen den Boden unter den Füßen entzogen. Nur noch 17 Prozent der Beschäftigten gehören einer Gewerkschaft an, gegenüber 25 Prozent bei Reagans Amtsantritt und 35 Prozent am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Produktionsindustrie, lange eine Domäne der Gewerkschaften, ist unter Ronald Reagan um ein Drittel zusammengeschrumpft, während der Dienstleistungsbereich sich als schwieriges Terrain für ihre Organisierungsbemühungen gezeigt hat. Das Kapital ist auf der Suche nach billigeren Arbeitskräften in Drittweltländer abgeflossen oder wurde für unproduktive Konzernfusionen verwendet. Dies macht sich auch in der Lohntüte bemerkbar: Der Durchschnittsstundenlohn für Männer zwischen 25 und 34 Jahren ist in den acht Reagan-Jahren von 9,70 Dollar auf 8,85 Dollar gesunken. Nur dem immer größeren Anteil von berufstätigen Frauen ist es zu verdanken, daß das durchschnittliche Familieneinkommen ganz leicht gestiegen ist.

In den letzten Monaten jedoch hat die Gewerkschaftsbewegung wieder Hoffnung gefaßt. Zwar haben die Reagan-Jahre das Arbeitsrecht so verschärft, daß Streiks meist zu einer stumpfen Waffe geworden sind und Gewerkschaftsboß Lane Kirkland kürzlich klagte, ihm ware „das Gesetz des Dschungels“ lieber als die gültigen Regeln. Doch einige aufsehenerregende Arbeitskämpfe haben den Gewerkschaften erstmals in diesem Jahrzehnt wieder das Interesse der Medien und Sympathien bei der breiten Bevölkerung eingebracht.

Mit Aufmerksamkeit wird der seit fünf Monaten laufende Streik von 2.000 Kohlearbeitern gegen die Pittston Coal Group in Südvirginia verfolgt. Die Gewerkschaft kämpft um einen Tarifvertrag, der den Pittston-Arbeitern die gleichen Arbeitsbedingungen wie den übrigen Kohlearbeitern der USA garantiert. Tausende von Gewerkschaftern kamen am Samstag nach St. Paul im Zentrum des Streikgebiets und feuerten Jesse Jackson und den Präsidenten der „United Mineworkers“, Richard Trumka, an. „Wenn Pittston unter Mißachtung der Arbeitsgesetze unsere Gewerkschaft hier in die Knie zwingt, so wird dies überall möglich sein“, drohte Trumka.

Die Zeit arbeitet gegenwärtig für die Gewerkschaft, denn die Kohlevorräte in den Exportlagern werden immer knapper. Auch Virginias Gouverneur Baliles, der bislang die Arbeitgeber durch massive Polizeieinsätze unterstützt hat, verliert langsam die Geduld. „Wenn ich Pittston-Aktionär wäre“, sagte er vor einigen Tagen, „würde ich das Management fragen, warum dieser Streik nicht beigelegt wird.“ Auch die Gewerkschaft wurde von ihm aufgefordert, eine Einigung zu suchen, um den ökonomischen Aderlaß für die gesamte Region zu beenden. Seit Wochen finden nur indirekte Verhandlungen zwischen den beiden Konfliktparteien statt, die bisher keine Annäherung produziert haben.

Schlechter sieht es dagegen für die Piloten und Mechaniker von Eastern Airlines aus, die seit sechs Monaten gegen den Besitzer der Fluggesellschaft, Ed Lorenzo, streiken. Die Gewerkschaft der Mechaniker, UAW, wirft Lorenzo katastrophales Mißmanagement und das Ausbluten des Unternehmens zugunsten seiner zweiten Fluglinie Continental Airlines vor. Bei Continental hat Lorenzo schon 1983 die Gewerkschaft zerschlagen, nun könnte ihm das auch bei Eastern gelingen, falls sich nicht ein Käufer für die Fluglinie findet. Während am Anfang des Streiks der Eastern -Betrieb fast völlig lahmgelegt war, findet nun wieder ein Drittel der täglich über tausend vorgesehenen Eastern-Flüge statt.

Doch nicht überall wehrt die Gewerkschaft sich mit Erfolg. In einer für das Klima im Land symptomatischen Abstimmung verweigerten vor einigen Wochen die Arbeiter des Nissan -Werkes in Tennessee trotz einer aufwendigen Gewerkschaftskampagne der Automobilarbeitergewerkschaft UAW das Vertretungsrecht. Eine Gewerkschaft kann in einem Betrieb nur dann agieren, wenn 75 Prozent der Beschäftigten dem zugestimmt haben, doch bei Nissan sprach sich nur ein Drittel für die UAW aus. Bisher ist die UAW noch in keiner einzigen US-Niederlassung eines japanischen Autoproduzenten vertreten.