Bürgerkrieg in Kapstadts Townships

■ 23 Menschen von „Anti-Aufruhr-Einheiten“ erschossen Ein Polizist protestiert öffentlich: „Ich schäme mich.“

In Kapstadt, dem Herzen des oppositionellen Widerstands der vergangenen vier Wochen, ist es am Abend der Wahl zu einem blutigen Einsatz der „Anti-Aufruhr-Einheiten“ der Polizei gekommen, in deren Verlauf mindestens 23 Menschen erschossen und über 100 verletzt wurden. Diese Zahlen nannten Erzbischof Desmond Tutu und der Präsident des Weltbundes reformierter Kirchen, Allan Boesak, gestern Mittag auf einer Pressekonferenz.

Bei den Getöteten handelt es sich um Einwohner farbiger Townships. Augenzeugen berichteten, daß in den Townships von denjenigen, die nach den Rassengesetzen als „Farbige“ gelten und ebenfalls vorgestern zur Wahl aufgerufen waren, Hunderte von Barrikaden in der Nähe der Wahllokale in den Stadtteilen Manenberg und Mitchell's Plain errichtet und angezündet wurden, um zum Boykott der Wahlen aufzurufen.

Die Polizei habe daraufhin Tränengas gegen Anwohner, die neugierig vor ihren Häusern standen, oder Jugendliche, die auf der Straße Fußball spielten, eingesetzt. Als einige der Demonstranten mit Steinen warfen, schoß die Polizei mit Schrotflinten. Gepanzerte Wagen fuhren durch die Straßen, eskortiert von Polizisten, die wahllos in die Seitenstraßen schossen. Eine ältere Frau starb an einem Herzinfarkt, als eine Kugel durch ihr Küchenfenster flog. Mehrere Kinder wurden verletzt, mindestens ein Jugendlicher starb durch Kopfschuß. Die Polizei gab den Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und Schrotflinten zu, man habe „den Mob aufösen“ wollen.

Die Townships wurden später von der Polizei abgeriegelt, und es kam zum Einsatz von Militär. Soldaten durchsuchten systematisch die Häuser. Ob es zu Verhaftungen kam, war bis Redaktionsschluß unklar.

Auch im Verlauf des gestrigen Tages war die Lage in Kapstadt gespannt. Es soll zur Errichtung weiterer Barrikaden gekommen sein. Jedenfalls berichteten Augenzeugen, daß über einigen Stadtteilen noch immer dunkle Brandwolken schwelten. Eine geplante Veranstaltung an der Universität von Kapstadt, die von der Polizei verboten worden war, fand dennoch statt und ging ohne Übergriffe der Polizei zu Ende.

Mehrere Oppositionsgruppen versuchen immer noch, die genaue Zahl der Todesopfer und der Verletzten festzustellen, die im Laufe der Nacht zum Donnerstag in verschiedene Hospitäler eingeliefert wurden.

Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse entschloß sich gestern ein Mitglied der Polizeiwache von Mitchell's Plain zu einem ungewöhnlichen Schritt: Leutnant Gregory Rockman, nach den Rassengesetzen ein „Farbiger“, trat vor die Presse und nannte das Vorgehen der „Anti-Aufruhr-Einheiten“ „brutal“ und „unprofessionell“. Sie führten sich wirklich „als Unterdrücker“ auf. Er erzählte, daß er versucht habe, eine Einheit am Verprügeln von Passanten, darunter einer schwangeren Frau, zu hindern. Ihm sei daraufhin von einem Major gedroht worden, man werde ihn nach den Ausnahmerechtsbedingungen festnehmen, wenn er die Aktionen behindere. „Die haben einfach auf Leute losgeprügelt. Denen war egal, ob sie Unschuldige trafen. Wenn Leute wegrannten, verfolgte man sie. Mir kam es so vor, als ob die ihren Spaß daran hatten.“ Der 30jährige Rockman: „Ich schäme mich, ein Polizist zu sein. Irgendwann ist Schluß, muß Schluß mit solchen Aktionen sein. Irgendjemand muß den Mund aufmachen.“

Die Laufbahn Rockmans scheint damit besiegelt. Auch wenn im Polizeidirektorium die Rede ist, daß man die Vorwürfe Rockmans prüfen werde. Gleichzeitig gab ein Polizeisprecher bekannt, daß man „keine Kenntnis von irgendwelchen Geschehnissen in Mitchell's Plain zu der Zeit notiert hat, die mit irgendeiner übermäßigen Polizeigewalt in Verbindung gebracht werden können.“

Andrea Seibel (Johannesburg)