SPD-Abtrünniger hilft Albrecht

Durch den Fraktionsaustritt eines SPD-Nachrückers hat Albrecht wieder die Mehrheit in Niedersachsen  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Das Patt zwischen Regierungskoalition und Opposition im niedersächsischen Landtag währte nur einen Tag. Gestern vormittag trat der SPD-Landtagsabgeordnete Oswald Hoch in die Fußstapfen seines Ex-CDU-Kollegen Vajen und erklärte seinen Austritt aus der sozialdemokratischen Landtagsfraktion. Begründung: Wichtige Gesetzesvorhaben im Landtag dürften nicht an der Pattsituation scheitern.

Ministerpräsident Ernst Albrecht, der schon seinen Amtsantritt im Jahre 1976 den Stimmen von Überläufern verdankte, hatte schon zu Beginn der Vajen-Affäre angedeutet, daß es wiederum einen SPD-Überläufer geben könnte. Hoch war allerdings erst am Mittwoch als Nachrücker für einen zum Europaparlamentarier beförderten SPD -Landtagsabgeordneten in das hannoversche Leineschloß eingezogen. Mit seinem Austritt aus der SPD und ihrer Fraktion stellte er schon am Tag darauf die gewesenen Mehrheitsverhältnisse im niedersächsischen Landtag wieder her. Nunmehr verfügt die CDU/FDP-Regierungskoalition erneut über eine Ein-Stimmen-Mehrheit von jetzt 77 Sitzen; auf 76 Sitze bringen es SPD und Grüne, hinzu kommen zwei fraktionslose Abgeordnete, der Bei Fortsetzung auf Seite 2

nahe-Republikaner Kurt Vajen und der abtrünnige Genosse Oswald Hoch. Bereits in den Jahren 1971 bis 1986 war der Unternehmensberater Hoch Mitglied der SPD-Fraktion des niedersächsischen Landtages. Kurz nachdem der heute 53jährige bei der Landtagswahl 1986 aufgrund eines unsicheren Listenplatzes den Wiedereinzug in das Parlament knapp verfehlte, mußte er auch vom Vorsitz des SPD -Unterbezirks Gifhorn im Zuge scharfer Auseinan

dersetzungen mit seinen Genossen vor Ort zurücktreten. Dieser Konflikt mündete in einem fast zwei Jahre dauernden Parteiordnungsverfahren gegen Hoch, in dem der Vorwurf einer privat abgerechneten Parteispende und angebliche Kontakten Hochs zur CDU eine Rolle spielten. Erst in der dritten Parteiinstanz vor dem Bundesschiedsgericht der SPD wurde das Verfahren mit einer Rüge an Oswald Hoch beigelegt.

In seinem Parteiaustrittsschreiben an seinen lokalen Gegenspieler, den Vorsitzende der Gifhorner SPD -Ratsfraktion, schrieb Hoch denn auch, er verlasse die SPD nach 25jähriger Mitgliedschaft enttäuscht, aber ohne Groll, und fügte

hinzu: „Sicherlich komme ich mit meinem Schritt, mich von der SPD zu trennen, einem von Dir lange angestrebten Wunsche nach.“

Bereits vorgestern, dem Tag des Wiedereinzugs von Hoch in den Landtag, hatte es Gerüchte über einen umgehenden Auszug des Abgeordneten aus der SPD-Fraktion gegeben. Ernst Albrechts Staatskanzlei dementierte, diese Gerüchte gestreut zu haben. Der Abgeordnete Hoch legte noch gegenüber zahlreichen Journalisten und auch gegenüber dem SPD -Fraktionsvorsitzenden Gerhard Schröder und dem SPD -Landesvorsitzenden Johann Bruns Treuebekenntnisse zu Partei - und Fraktion ab. Bruns warf Hoch gestern vor, „sich durch falsche

Treueschwüre den Wiedereinzug in den Landtag erschlichen“ zu haben. Das Ganze sei ein wohl vorbereitetes und abgekartetes Spiel, sagte der SPD-Politiker. Man hätte den Wiedereinzug Hochs ins Parlament sehr wohl verhindern können, wenn dieser seine Übertrittsabsichten nicht solange verheimlicht hätte. Nach Ansicht von Gerhard Schröder sind trotz des Austritts von Hoch Neuwahlen in Niedersachsen aktueller denn je. Gerüchte, wonach der CDU-Landesvorsitzende Wilfried Hasselmann Oswald Hoch nach dessen Ausscheiden aus dem Landtag im Jahre 1986 bei seiner beruflichen Zukunft behilflich sein wollte, sind Gerhard Schröder „erst im nachhinein bekannt geworden“. Der SPD

Politiker betonte jedoch, daß diese Vorwürfe in einem rechtsstaatlichen Parteiverfahren entkräftet worden seien, und wehrte sich gegen jeden Versuch, diese dem abtrünnigen Landtagsabgeordneten im nachhinein doch noch anzulasten. Die niedersächsische FDP erklärte gestern, das Thema Neuwahlen in Niedersachsen sei „numehr vom Tisch“. Nach Auskunft eines Sprechers der Staatskanzlei hofft Albrecht, nunmehr eine Mehrheit für Landeshaushalt und Gesetze zu finden. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag sprach von „einem typischen niedersächsischen Machtskandal“, der Austritt des Ex-SPDlers sei Ausdruck „niederster Motive“.