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MARCIA PALLY

 ■  Short Stories from America: Freiheit für den Fötus!

In den letzten Monaten ging's mir ganz schön schlecht, wegen der Entscheidung des obersten Gerichtshofs gegen die Minderheiten-Quotierung und gegen das Recht der Frauen auf Geburtenkontrolle. Mit einigen unserer wichtigsten Freiheiten ging's den Bach runter, so kam es mir jedenfalls vor: Man denke nur an die Aufregung um die Frage, ob das Verbrennen der Flagge eine legale Form des politischen Protests sei und ob öffentliche Gelder für Kunst ausgegeben werden dürfen, die Teile der Öffentlichkeit nicht schön finden (egal, was der Rest der Öffentlichkeit findet, ganz zu schweigen von so merkwürdigen Ideen wie der, daß Kunst zum Provozieren da ist, nicht zum Gefallen oder Schmeicheln). Wenn ich dann noch lese, daß man den 'Playboy‘ neuerdings in der Sowjetunion kaufen kann, aber in vielen amerikanischen Einzelhandelsketten nach wie vor nicht, kommt es mir so vor, als hätten wir jeden Halt verloren. Aber seit kurzem geht es mir besser. In den letzten Wochen flackerte hier und da im Lande der Schein von Gleichheit, Toleranz und schlichtem Fair play wieder auf.

Kaum einen Monat nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bezüglich des Antiabtreibungsgesetzes von Missouri, daß das Leben mit der Zeugung beginnt, erhob Staatsanwalt Michael Box Anklage gegen Missouri wegen der illegalen Inhaftierung eines ungeborenen Kindes. Mr.Box argumentierte, daß Missouri, wenn es dem Ungeborenen „alle Rechte, Privilegien und Sicherheiten zuspreche wie jeder anderen Person auch“, den Fötus einer gewissen Loretta Farrar zu Unrecht in die Chillicothe-Besserungsanstalt eingesperrt habe. Kein Verbrechen, kein Gefängnis, sagt Mr.Box. Ich höre schon die Demo-Parolen: Freiheit für den Fötus! Ähnlich stelle ich mir die Proteste gegen die US Army vor, die letztes Jahr Schwangerschaftsuniformen in ihr Arsenal aufnahmen: Das setzt den klaren Fall von illegaler Rekrutierung minderjähriger Kinder voraus, und, beim Einsatz weiblicher Kampftruppen, die leichtsinnige Gefährdung jungen Lebens.

Trotz des Schlags des Obersten Gerichtshofs gegen die Antidiskriminierungsgesetze geht es seit diesem Monat nicht nur mit der Gleichberechtigung für die Ungeborenen, sondern auch für die Frauen wieder bergauf. Mit 140:1 Stimmen hat der Staat New York ein Gesetz verabschiedet, nach dem alle neuen Gebäude mit ebensovielen Frauentoiletten wie Männer -WCs ausgestattet sein müssen. Die Gleichheit vor dem Pinkelpott ist damit erstmals in der Geschichte garantiert. (Eine 20.000-Dollar-Studie der Cornell University, derzufolge Frauen für jeden Toilettenbesuch im Schnitt 34 Sekunden länger brauchen als Männer, legt zwar nahe, daß uns wahre Gerechtigkeit erst dann widerfahren würde, wenn die Zahl der Toiletten sich nach der zum Besuch notwendigen Zeit richtete, aber das neue Gesetz ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Das meinen jedenfalls landesweit die Vorsitzenden der Frauenorganisationen. Ich möchte nicht wissen, wieviele Toiletten nötig wären, um die Ungerechtigkeit mit den 63 Cent wettzumachen, die die Frauen bis heute verdienen, im Vergleich zu einem Dollar für den Mann.)

Ebenso günstig für die Frauen sieht es im Fall der „Topfree Ten“ aus. In Rochester, New York, picknickten Frauen oben ohne, mit dem Argument, daß, wenn Männer ihre Hemden ausziehen dürften, ihnen diese Freiheit nicht verwehrt werden dürfe. Die Polizei verhaftete einige der Frauen, aber das Gericht entschied korrekt, daß alle Nippel vor dem Gesetz gleich seien.

Die vielleicht bedeutendste Entscheidung für Gleichberechtigung hat der New York Athletic Club getroffen. 121 Jahre lang nahm er keine Frauen auf, zwei Jahre lang dauerte der Rechtsstreit um die Beibehaltung des reinen Männerstatus: Nun teilt er mit, daß Frauen ihre heiligen Hallen benutzen dürfen, die Pools und Bars, die Speisesäle, Apartments und riesigen Turnhallen. Traurig zu hören, daß der vielbesuchte Elks Club nach wie vor seine Türen für Frauen verschlossen hält. Aber es gibt Hinweise, daß wenigstens die Farbigen (wie sie sie nennen) demnächst vielleicht reindürfen.

Ein wahrer Segen für die Schwarzen war allerdings der außergerichtliche Vergleich nach einem Gerichtsverfahren gegen den Ku-Klux-Klan-Führer Roger Handley in Alabama, der 1979 zusammen mit neun anderen Klan-Mitgliedern eine Bürgerrechtsdemonstration aufgemischt hatte. Zusätzlich zum Bußgeld in Höhe von 11.500 Dollar bekam Mr.Handley die Auflage, er müsse einen Race-Relations-Kurs besuchen, damit er die „Einheit der menschlichen Gemeinschaft akzeptieren“ lernt. Die Schwarzen im Süden sind sicher, daß die ein, zwei Sitzungen aus ihm einen anderen Menschen machen werden.

Das US Marine Corps versucht ebenfalls, seinen Leuten die Prinzipien des Guten - Gleichheit, Toleranz und all das, was ich oben erwähnte - mit Hilfe eines Reedukationsprogramms näherzubringen. General A.M.Gray, seines Zeichens Korps -Kommandant, hat jedem Sergeant befohlen, jährlich mindestens zwei, besser aber vier Bücher zu lesen, und jeder Colonel muß sich drei bis sechs Bücher einer Liste einverleiben, die nicht nur die Patton Papers und Die Jahre von MacArthur enthält, sondern auch Tolstois Krieg und Frieden, Solschenizyns August 1914 und Neil Sheehans The Bright Shining Lie. Ich bin überzeugt, daß zwei bis sechs Bücher im Jahr unsere Marine radikalisieren werden, und ich bin gespannt, von meinen deutschen Lesern zu hören (die ja von den US-Militärs mehr zu sehen bekommen als ich), welche Früchte das Literaturprogramm tragen wird.

Die New Yorker Journalistin Marcia Pally ist eine in Amerika bekannte Feministin und zugleich Cheffilmkritikerin von 'Penthouse‘. Sie schreibt u.a. in 'The Village Voice‘, 'The Nation‘, 'Taxi‘ und der 'New York Times‘. Und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den Großen Bruder wissen sollten.

Aus dem Amerikanischen von Christiane Peitz

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