Giftgas in Angola: Propaganda oder tödliche Wirklichkeit?

Erhebliche Zweifel an taz-Bericht über Giftgaseinsatz durch kubanische Truppen in Angola / Die Reisen des Kronzeugen des angeblichen Einsatzes tödlicher Bomben, Professor Heyndrickx, wurden durch die Unita finanziert / USA und Kuba dementieren gemeinsam / Wer hat Interesse am Giftgasvorwurf?  ■  Von Wieland Giebel

Berlin (taz) - Ist die taz einem gut eingefädelten Propaganda-Coup der Unita auf den Leim gegangen? Hat es in Angola überhaupt Giftgaseinsätze gegeben? Wie seriös sind die Quellen, auf die sich die taz in ihrem Tagesthema vom 25. August beruft?

Nach unserer Berichterstattung über einen massiven Einsatz von sowjetischem Giftgas durch kubanische Truppen in Angola haben sich erhebliche Zweifel an der Recherche ergeben. Denn die Untersuchung von Professor Audin Heyndrickx von der toxikologischen Abteilung der belgischen Universität Gent wurde, wie die taz erst später erfuhr, nicht unabhängig finanziert: Geldgeber war bei drei von vier Reisen die CIA -finanzierte Unita. Sie kämpfte mit südafrikanischer Unterstützung von Namibia aus gegen die Regierung Angolas.

Durch weitere Recherchen haben wir eine Geheimdienst-Story angekratzt, bei der alle Bösen dieser Welt mitspielen: die Russen, die Kubaner, die Südafrikaner, das amerikanische State Department und natürlich der CIA. Immer verworrener wurde die Geschichte, die Beweislage immer fraglicher, bis sich doch noch ein unabhängiger Zeuge fand, der zumindest einen Teil der Vorwürfe bestätigen kann. Der Fernsehjournalist Andreas Holst war selbst in Angola und hat als Einziger selbst eine Giftgasbombe am Ort des Einschlags gesehen.

Unstimmigkeiten im Heyndrickx-Bericht

Daß die Unita die Reisen des belgischen Professors finanzierte, nimmt den Vorwürfen des Giftgaseinsatzes nicht ihre Brisanz. Auch die Menschen in den Unita besetzten Gebieten haben das Recht, nicht von Giftgas verätzt oder getötet zu werden. Viele Details der in der taz publizierten Reporte sind aber nicht stimmig. Nicht aufrechterhalten werden kann, daß auf zwei Dritteln des angolanischen Territoriums chemische Kampfstoffe gegen große Teile der Bevölkerung eingesetzt wurden, um ganze Gebiete menschenleer zu machen und Umwelt und Wasser zu vergiften.

Die in den Berichten angegebenen Orte liegen fast alle in der südöstlichen Provinz Cuando Cubango, in der die Unita operiert. Es ist auch nicht nachweisbar, daß es bei Menschenversuchen darum ging, hochmodifizierte Stoffe zu testen, die möglichst von den gängigen Identifizierungssystemen nicht erfaßt werden können, wie in den Reporten behauptet wird. In den Berichten von Professor Heyndrickx geht es ganz offensichtlich um - nicht ausreichend dokumentierte - Einzelfälle. Ob die „Reports of Angola“ selbst beweisträchtig sind, ob wirklich an den behaupteten Orten chemische Waffen eingesetzt wurden und von wem, können wir zumindest im Moment nicht klären.

Bezüglich der Berichte haben sich mehr Zweifel als Bestätigungen angehäuft. Die in der taz aufgeführten Beispiele, eine Frau sei durch Verhütungsmittel vergiftet worden, fünf Personen wären vorsätzlich durch Lebensmittel vergiftet worden oder es habe gar 14 Todesfälle durch Dosennahrung gegeben, welche die Kubaner an die örtliche Bevölkerung verteilten - all das sind Aussagen des Geheimdienstes der Unita und nicht, wie die Darstellung nahelegt, Augenzeugenberichte von Profesor Heyndrickx. Auch wenn es bei uns heißt, „am Schluß dieser acht traurigen 'Reports on Angola‘ befindet sich die Auflistung aller erfaßten chemischen Gasangriffe der kubanischen Truppen und ihrer sowjetischen Berater in Angola“ wäre es für unsere LeserInnen von Interesse gewesen, die Quelle zu kennen - der Geheimdienst der Unita.

Doch gibt es auch integere Quellen, die von giftgasverletzten Angolanern berichten. Der französische Toxikologe Dr. Bernard Benedetti von „medecin du monde“ begleitete Heyndrickx bei einer seiner Angolareisen und untersuchte vor Ort eine Reihe von Patienten, die schwere Vergiftungen aufwiesen.

Dementis aus Angola

Dagegen stritt erwartungsgemäß der Botschafter der Republik Angola in Bonn, Herminio Escorcio, jegliche Verwendung toxischer Gase in seinem Land ab. Escorcio meint, die Materialien, auf denen die Dokumente der toxikologischen Abteilungen der belgischen Universität Gent beruhen, seien manipuliert. Chemische Kampfstoffe könnten in den Süden Angolas gebracht worden sein, um eine antisowjetische Propagandalüge darauf aufzubauen. „Wer behauptet, die Sowjets würden bei uns Giftgas einsetzten, könnte auch behaupten, die Russen fressen unsere Kinder.“ Weniger polemisch, aber in der Sache ebenso klar, äußerte sich ein langjähriger Kenner des Landes, Hermann Pössinger. Er arbeitete sieben Jahre in Angola, unter anderem für Misereor und war zuletzt in diesem Sommer für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Land. Pössinger hält den Einsatz von Giftgas für unwahrscheinlich. Innerhalb des Landes standen seiner Aussage nach die Truppen der MPLA denen der von Südafrika unterstützten Unita gegenüber. Professor Heyndrickx macht aber ausschließlich die Kubaner verantwortlich. Kubanische Truppen wurden laut Pössinger im wesentlichen an der Grenze gegen Südafrika eingesetzt, nicht aber gegen die Unita. Seit dem Beginn dieses Jahres seien die Kampfhandlungen zwischen Südafrika und den Kubanern nahezu eingestellt. Deswegen hält Pössinger vor allem den Einsatz von Giftgasbomben in diesem Jahr für unwahrscheinlich. Pössinger: „Natürlich sind die Kubaner keine reinen Knaben, aber vom Einsatz von Giftgas habe ich nie etwas gehört.“

Ähnlich äußerten sich hohe deutsche diplomatische Kreise. Da die kubanischen Truppen ständig von der Weltpresse beobachtet wurden und ihnen bewußt war, daß mit ihnen nicht sehr zaghaft umgegangen würde, hätten sie kaum zu solchen Mittel gegriffen. In diplomatischen Kreisen habe es gelegentlich Gerüchte über Giftgas gegeben, die sich aber nie verdichtet hätten. Jede Äußerung über Angola müsse immer im Spannungsfeld gegenseitiger Ost-West-Diffamierungen gesehen werden. Das stimmt sicher und macht Recherchen nicht einfacher. Allerdings: der deutsche Botschafter im Irak will auch nie etwas über Giftgas gehört haben.

Aber auch unser unser Afrika-Korresspondent Knut Pedersen kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: Die Unita habe lange versucht, das amerikanische State Department vom Giftgaseinsatz durch die Kubaner zu überzeugen, um weiter an Geld zu kommen. Das State Department wollte aber von der Geschichte nichts wissen. Gary Crocker, C-Waffen-Experte im Washingtoner State Department, hat „erhebliche Bedenken bei der ganzen Sache“. Das berichtet auch der 'Spiegel‘ in seiner aktuellen Ausgabe. Crockers scheinbare Blindheit wundert weniger, wenn man weiß, daß die USA in Angola nicht nur den Kommunismus bekämpfen, indem sie die Unita im Süden des Landes unterstützen oder zumindest unterstützt haben, sondern im Norden nach Öl bohren. Chevron und Texaco steigerten die Produktion von 130.000 Barrel täglich im Jahr 1980 auf 400.000 Barrel 1987. Neunzig Prozent seiner Devisen verdient Angola dadurch, und kann mit den amerikanischen Petrodollars die kubanischen Truppen subventionieren. Der 'Spiegel‘ verunsicherte uns weiter durch eine Stellungnahme der Leiterin des angesehenen finnischen C-Waffen-Projekts, Marjatta Rautio, die „keinerlei Verbindung zwischen den Ergebnissen (von Heyndrickx‘ Untersuchungen) und dem Schluß“ sieht, in Angola seien C-Waffen eingesetzt worden. Damit liegt sie vielleicht gar nicht einmal so falsch. Denn Heyndrickx hat selbst nie Giftgasangriffe erlebt oder Bomben beziehungsweise deren Teile selbst gefunden. Sie wurden ihm immer von der Unita gebracht. Wenn er die darin vom ihm analysierten Spuren von Calziumcyanid als sowjetische Wunderwaffe darstellt, die so unglaublich wirkt, daß die Nato ihre bisherigen Gasmasken endlagern kann, scheint er auch nicht auf dem neuesten Stand chemischen Wissens zu sein. Eigentlich verwunderlich, denn er wuchs in der Nähe von Ypern auf, wo deutsche Truppen im Ersten Weltkrieg Giftgas gegen die Franzosen einsetzten. Seine starkes Engagement gegen Giftgas und seine glaubhafte persönliche Betroffenheit rüht von diesen Eindrücken.

Mehrere Verwendungsmöglichkeiten für Nervengifte

Aber Calziumcyanid gibt es seit den 30er Jahren. Die von Heyndrickx geschilderten Symptome auf eine Cholinesterase Reaktion, so der westdeutsche Südafrika-Experte Dr. Wolf Geisler, seien zwar typisch für Nervengifte. Aber sie treten, so Geisler, auch bei Vergiftungen durch Pflanzenschutzmitteln auf. Im 1971 von 0. R. Klimmer beim Hundt-Verlag herausgegebenen Standardwerk „Pflanzenschutz und Schädlingsbekämpfungsmittel“ beispielsweise heißt es: „Allen organischen Phosphorverbindungen ist eine prinzipiell gleiche Wirkungsweise eigen. Sie hemmen mehr oder weniger stark reversibel oder irreversibel bestimmte körpereigene lebenswichtige Enzyme im Blut und im Gewebe, die Cholinesterase.“ Diese Verbindungen kommen auch in den häufigsten Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln vor, wie E 605. Calziumcyanid hat deutsche Tradition: als Zyclon-B wurde es in den Vernichtungslagern eingesetzt. Heute wird es von der „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ in Pflanzenschutzmitteln wie „Calcid“ zu 88,5 Prozent und in „Calzian“ zu 50 Prozent eingesetzt.

Die Person Heyndrickx ist umstritten. „Off the records“, also hinter vorgehaltener Hand ist Heyndrickx einmal ein „blinder Antikommunist“, dann ein „einzigartiger Selbstdarsteller“, schließlich ein „CSU-Verschnitt“. Sein Kollege Professor Vycudilik vom gerichtsmedizinischen Institut in Wien allerdings hält ihn für den Mann, der Licht ins Dunkel Angolas zu bringen versucht. Heyndrickx ließ in Wien 250 Milligramm Bombenreste analysieren, in denen Vycudilik neben einer Reihe anderer Elemente auch Blausäure fand. In der Bewertung ist der Gerichtsmediziner allerdings vorsichtig. Die Vorgeschichte des überprüften Stoffes kennt er nur von Professor Heyndrickx. Irgendwelche Bomben habe er nicht gesehen. „Es könnte sich ursprünglich um Calziumcyanid gehandelt haben.“

Wie Dr. Geisler erklärt der Wiener Gerichtsmediziner, daß Calziumcyanid zu den „allenthalben als Agrikultur -Chemikalie“ verwendeten Stoffen gehöre. Vycudilik hält seine Ergebnisse aufgrund der geringen Untersuchungsmenge für „sehr unsicher“. Er empfiehlt, die Bombe zu öffnen, die Heyndrickx nach eigenen Angaben komplett und ungezündet mitgenommen hat.

Inzwischen hat der „Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen“ (BUKO), von der taz aufgeschreckt, höflich bei der kubanischen und der sowjetischen Botschaft angefragt, wie es denn mit dem Giftgaseinsatz stehe. Eine Antwort steht noch aus. In der Redaktion der taz stand aber plötzlich der Dritte Sekretär der kubanischen Botschaft, um aufklärend tätig zu werden. Auch wenn wir uns über unsere überzogene Berichterstattung Sorgen machten, wir sollten das nicht so eng sehen, die Kubaner seien das gewöhnt. Über ihre Revolution wären von Anfang an Lügen verbreitet worden und momentan hätten sie mehr mit der Rauschgiftgeschichte zu tun. Einzelfälle, für die man nicht die Revolution verantwortlich machen könne.

250-kg-Bombe mit russischer Aufschrift

Von Kuba zurück zum State Department in Washington. Während wir erst zwei Tage auf eine Antwort Kubas warten, wartet der Fernsehjournalist Andreas Holst schon seit Juni auf eine Antwort des State Departments. Er war nach seinen Angaben im März und April dieses Jahres auf eigene Kosten im Süden Angolas, um den Giftgaseinsätzen nachzugehen. Über chemische Kriegsführung berichtete er vorher ausführlich vom iranisch -irakischen Kriegsschauplatz und aus Afghanistan. In Angola war zunächst von Giftgaseinsätzen nichts zu sehen. Anfang April aber informierte ihn der Unita-Geheimdienst-General Wambo von einem direkt zuvor erfolgten Bombeneinsatz. Am Ort des Geschehens, mitten in einem der umkämpften Gebiete, kam die Erkundungstruppe auf ein etwa ein Quadratkilometer großes Gelände, auf dem die Bäume abstarben, die Blätter braun gefärbt waren und weder das Zirpen von Grillen noch Vogelzwitschern zu hören waren. Ohne seinen orangefarbenen Schutzanzug, der dort zu auffällig gewesen wäre, entnahm Holst in einem Krater Reste von Bombensplittern, Staub und Pflanzenresten. Dabei erlitt er am Bein Verbrennungen, die erst nach drei Wochen abheilten und ihm bis heute zu schaffen machen. Neben dem Krater von etwa 1,20 Meter Tiefe und zwei Metern Durchmesser fanden sich, etwa 25 Meter entfernt, Reste einer Bombe, von der er Verkrustungen abkratze, um sie später analysieren zu lassen. Die Bruchstücke dieser 250-kg-Bombe, 1,80 Meter lang und 60 Zentimeter im Durchmesser, waren mit russischen Buchstaben beschriftet. Holst fotografierte die Szene. Mit Prüfröhrchen verschiedener Hersteller und mit Prüfstreifen testete der Journalist den Stoff. Übereinstimmendes Ergebnis: Cyanid. Anschließend wurde das Material im Labor von Professor Heyndrickx analysiert, wo das Ergebnis bestätigt wurde. Holst meint, chemische Waffen seien in Angola sporadisch als taktische Waffen eingesetzt worden. In seinem Fall sollte wahrscheinlich die Mannschaft einer Feldhaubitze getroffen werden, die die Unita erbeutet hatte. Die Bombe schlug aber im Niemandsland fehl.

Alle halten sich bedeckt

Mit seinen Proben flog Holst nach Washington und übergab sie jenem Gary Crocker, der dem 'Spiegel‘ „erhebliche Bedenken“ am Einsatz chemischer Kampfstoffe in Angola bescheinigte. Crocker versprach, sich innerhalb einer Woche mit einer kompletten Analyse zu melden, ließ aber nie wieder von sich hören. Nicht nur das, selbst auf mehrfaches Nachfragen reagierte das State Department nicht. Auch die US -Fernsehanstalten, für die Holst oft gearbeitet hatte, zeigten sich nicht interessiert. Merkwürdig allerdings, daß auch der Gegenspieler von Holst, der in Paris ansässige Journalist David Aronson sein Material nicht los wurde. Er behauptet, es habe keine kubanischen Giftgaseinsätze gegeben: alles „bullshit“.

Merkwürdig deswegen, weil Giftgas bisher bei den Medien weltweit auf ungeteiltes Interesse gestoßen ist. Nicht aber im Fall von Angola. Die Buren und ihre amerikanischen Freunde hätten allen Grund, die Giftgaseinsätze groß rauszubringen. Kaum im Sattel, sagte die Bush-Administration Savimbi weitere Hilfe zu. Mit sowjetischem Giftgas, von Kubanern eingesetzt, wären die Dollars leichter lockerzumachen. Andererseits müßten Angola, Kuba und die Sowjetunion bemüht sein, sich von dem Vorwurf chemischer Kriegsführung reinzuwaschen. Immerhin wird kaum abzustreiten sein, daß die Kubaner mit Giftgasdedektoren ausgerüstet waren. David Aronson könnte ihnen nützlich sein.

Heyndrickx selbst bleibt bei seiner Darstellung. Das Interview mit dem angolanischen Botschafter ist für ihn eine einzige Lüge und die Vorwürfe des 'Spiegel‘ kennt er, hält sie aber für ungerechtfertigt. Für ihn bleibt die Hauptfrage, was aus den Opfern werden soll.