Die Liberalen bestimmen die Wirtschaftspolitik

Zur Überraschung nicht nur der Journalisten, sondern wohl auch der eigenen Abgeordneten hat sich Mazowiecki mit seinem jetzt vorgestellten Kabinett für die wirtschaftsliberale Tendenz in Polens Opposition entschieden. Seine Entscheidung bedeutet eine ziemlich eindeutige Kampfansage an die schlesische Schwerindustrie-Lobby. Für die Direktoren unrentabler Hütten und Bergwerke, für die abgehalfterten Parteisekretäre, die es sich im oberschlesischen Subventionsloch warm eingerichtet haben, ist die Ernennung des Krakauers Tadeusz Syryjczyk zum Industrieminister ein schwerer Schlag. Syryjczyk ist Mitbegründer der liberalen Krakauer „Industriellen Gesellschaft“, die ein radikales Konzept der freien Marktwirtschaft vertritt, das auch vor Anleihen in Südkorea, Francos Spanien oder Pinochets Chile nicht zurückschreckt. In den Kreisen der industriellen Gesellschaft war schon vor zwei Jahren die Ansicht vertreten worden, die Demokratisierung müsse vor der Wirtschaftsreform zurücktreten, wichtig sei die Schaffung eines freien Marktes.

Zu dieser Richtung - wenn auch etwas gemäßigter - gehört auch Mazowieckis Kandidat für das Wohnungsbauministerium, der Warschauer Ex-'Polityka'-Redakteur und Gründer der „Wirtschaftlichen Gesellschaft“, Aleksander Paszynski. Auch Professor Trzeciakowski werden große Sympathien für die Liberalen nachgesagt, er soll Minister ohne Portefeuille, aber mit wirtschaftspolitischen Aufgaben werden. Ein Liberaler ist auch Aleksander Hall, der als Minister ohne Geschäftsbereich den Kontakt mit den politischen Parteien halten soll. Selbst Jacek Kuron, dem neuen Arbeits- und Sozialminister, werden in letzter Zeit liberale Sympathien nachgesagt. Ryszard Bugaj hingegen, der als Vertreter sozialdemokratischer Positionen gilt und der sich als Gewerkschaftsberater einen Namen gemacht hat, ist leer ausgegangen. Er hat sich immer wieder gegen harte Einschnitte und einen schnellen Übergang zur Marktwirtschaft ausgesprochen.

Nach Mazowieckis Kabinettsliste zu schließen, wird die künftige Regierung keine sonderlich gewerkschaftsfreundliche Politik machen. In der Landesexekutivkommission der Solidarität scheint man die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Dort wurde gleich eine Verständigungskommission mit der Regierung gebildet, ganz wie 1981 jene Kommission, die bei den innenpolitischen Krisen Feuerwehr spielen mußte. Angesichts des Szenarios, das den von Mazowiecki favorisierten Liberalen zur Zeit vorschwebt, könnte sie bald alle Hände voll zu tun bekommen.

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs hat ein solches Szenario vor kurzem dem polnischen Sejm vorgestellt. Was seitdem in Polen als „Sachs-Plan“ heftige Kontroversen auslöst, ist das monetaristische Modell eines kurzen und schmerzhaften Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft. Sachs will das erreichen, indem er alle Import- und Exportbarrieren aufhebt, den Zlotykurs frei konvertierbar macht und mit den Gewerkschaften einen Lohn und Preisstopp aushandelt. Zugleich werden alle Subventionen abgeschafft, ausgenommen der Wohnungsbau. Damit wäre zwar die Auflösung unrentabler Betriebe auf ziemlich unbürokratische Weise zu machen, doch zugleich wäre erneut mit horrenden Preissteigerungen zu rechnen. Daß der Import, wie Sachs hofft, Polens Monopolisten preisdrückende Konkurrenz verschafft, bezweifeln viele polnische Experten. Denn der Plan enthält mindestens eine Unbekannte: jene 865 Millionen Dollar aus dem sogenannten Brady-Plan, mit deren Hilfe das vier Milliarden große Budgetdefizit vom Geldmarkt gesaugt werden soll, die Polens Inflation in so schwindelnde Höhe treibt. Doch die polnische Devisennachfrage so horrend, daß die 865 Millionen aus dem Brady-Topf kaum ausreichen dürften, um den Kursverfall des Zloty ernsthaft zu stoppen.

Dennoch haben die Sozialdemokraten und gewerkschaftliche Wirtschaftsexperten dem Plan der Liberalen wenig entgegenzusetzen. Ryszard Bugaj hat zwar vor wenigen Tagen eine Art „Anti-Sachs-Programm“ vorgestellt, doch erschöpft sich das im Versuch, Inflationsbekämpfung und Einkommenssicherung unter einen Hut zu bringen. Wenn es um das wesentliche Dilemma der Debatte geht, schweigt sich Bugaj aus. Denn ohne Einführung freier Wechselkurse und Deblockierung des Kapitalverkehrs werden sich die Bedingungen für jene ausländischen Investoren, die Lech Walesa derzeit so eifrig nach Polen zu locken bemüht ist, nicht wirklich verbessern. Und ohne diese Maßnahme wird auch die Rentabilität polnischer Großbetriebe nicht wirklich meßbar. Ob die Entmonopolisierung aber auf administrativem Weg, noch dazu mit einem Minister, der gegen die Schwerindustrie-Lobby in Schlesien und ohne eine PVAP -Hausmacht antreten muß, durchsetzbar ist, bleibt mehr als fraglich. Ohne sie droht Polen aber auch bei einem langsamen Übergang in die Marktwirtschaft eine mehrstellige Inflationsrate.

Sicher jedenfalls ist eines: Die sozialen Folgen des Sachs -Programms kann keine Gewerkschaft auf sich nehmen. Tut es die Regierung Mazowiecki, hat sie die Gewerkschaften gegen sich. Das ist der Teufelskreis, aus dem der Premier jetzt einen Ausweg finden muß.