Polen vor dem radikalen Kurswechsel

■ Mit seinem Kabinett verärgert Mazowiecki seine Anhänger / Aus Warschau Klaus Bachmann

Das erste polnische Kabinett unter Solidarnosc-Führung steht. Nach zähen Verhandlungen mit den Kommunisten und der Bauernpartei gelang es dem Solidarnosc-Premier Mazowiecki, der PVAP das umkämpfte Außenministerium abzuringen und mit einem Solidarnosc-Mann zu besetzen. Doch die Bauernpartei blieb hart. Sie stellt wieder den Landwirtschaftsminister. Damit setzt sich der Premier über die Interessen der Land -Solidarität hinweg und riskiert, daß alles beim alten bleibt. Dafür wird es in der Wirtschaftspolitik einen scharfen neoliberalen Kurswechsel geben. Mazowiecki düpierte den sozialdemokratischen Flügel der bisherigen Opposition und gibt denjenigen freie Hand, die bei der Sanierung der Wirtschaft harte Schnitte favorisieren - auch auf Kosten der Solidarnosc-Klientel.

Als Premier Mazowiecki am Donnerstag abend mit halbstündiger Verspätung vor dem Sejm vorfuhr, um hinter verschlossenen Türen die Fraktionen des „Bürgerklubs“ über den Stand der Koalitionsverhandlungen zu informieren, hatte er bereits seine Kabinettsliste an Sejmmarschall Kozakiewicz weiterreicht. Trotzdem wurde die Nacht über noch weiterverhandelt, um das erste nichtkommunistisch geführte Kabinett der polnischen Nachkriegsgeschichte unter Dach und Fach zu bringen. Wenn die Kandidaten die gestern begonnene Anhörung vor den Sejmkommissionen überstanden haben, wird sich das Kabinett am Dienstag der Abstimmung im Parlament stellen.

Das Schwergewicht in der Regierung liegt, kaum überraschend, bei den Vertretern der Solidarität, die einschließlich zweier Minister ohne Geschäftsbereich und des Chefs des Amtes des Ministerrates zehn Minister stellt. Die Bauernpartei erhält vier, die Demokratische Partei zwei Kabinettsposten. Außerdem stellt jede der vier im Parlament vertretenen wichtigsten politischen Gruppierungen je einen stellvertretenden Ministerpräsidenten, die diesen Posten zudem mit einem Ministeramt verbinden. Das Amt des Vorsitzenden des Rundfunk- und Fernsehkomitees soll später besetzt werden. In ersten Kommentaren wurde hervorgehoben, daß die Zusammensetzung des Kabinetts die Richtung einer liberalen Marktwirtschaft bestätigt, wobei die Gewerkschaftskomponente in den Hintergrund tritt.

Verhandelt worden war bis zur letzten Minute. Am Morgen des Donnerstags hatte sich bereits abgezeichnet, daß die PVAP und Mazowiecki auf einen Kompromiß bei der strittigen Schlüsselfunktion des Außenministers einschwenken würden: Weder Professor Geremek, der wohl selbst gerne das Amt übernommen hätte, noch der bisherige Außenminister der PVAP, Tadeusz Olechowski, würden das Amt übernehmen, sondern ein „unabhängiger Kandidat“, der 63jährige katholische Deutschlandexperte Professor Krzysztof Skubiszewski. Nachdem sich bereits Mitglieder des Politbüros der PVAP öffentlich für Olechowski eingesetzt hatten und Professor Geremek ein „Ende des Parteimonopols in der Außenpolitik“ verlangt hatte, bedeutet diese Entscheidung einen eindeutigen Rückzieher der Partei, zumal Mazowiecki den Juristen Skubiszewski als „Solidarnosc-Mitglied“ vorstellte.

Für Überraschung sorgte auch die Besetzung des Erziehungs und des Justizministeriums: Erziehungsminister wird der ebenfalls außerhalb der bekannten politischen Lager stehende Warschauer Historiker Professor Henryk Samsonowicz; das Justizwesen hingegen übernimmt - anders als von Bürgerklub -Vertretern gefordert - der Fraktionschef der Bauernpartei (ZSL), der Anwalt Aleksander Bentkowski.

Mit der ZSL gab es die meisten Reibereien um das neue Kabinett. Nach Ansicht mancher Solidarnosc-Leute könnten die Ergebnisse den Bürgerklub an den Rand der Spaltung bringen. Denn der Bauernpartei gelang es, die Bauernsolidarität völlig an den Kabinettsrand zu drängen: Außer dem Gesundheits- und Umweltministerium übernahm sie auch noch das Landwirtschaftsministerium, dem angesichts der polnischen Versorgungskrise eine Schlüsselfunktion zufallen wird. Zudem gab es für die Bauernpartei einen Vizepremier.

Während sich der ZSL-Klub am Donnerstag geschlossen hinter den bisherigen Landwirtschaftsminister Olesiak stellte, liefen bei Premier Mazowiecki die Telefone heiß. Auf keinen Fall Olesiak, forderte die Landsolidarität mit ihrem Vorsitzenden Jozef Slisz. Denn Olesiak sei für das Fiasko der Agrarpolitik der letzten Jahre voll verantwortlich. „Wie sollen wir das den Leuten auf dem Land erklären“, fragten wütende Landsolidaritätsmitglieder in der Sitzung, „daß wir Solidarnosc unterstüzt haben, daß wir diese Regierung unterstützen und daß eine Figur wie Olesiak weitermachen kann, während man uns auf die Seite schiebt?“ Zwar hatte Jozef Slisz am Morgen in der 'Gazeta Wyborcza‘ erklärt, die Landsolidarität werde Mazowiecki notfalls auch unterstüzten, wenn „nichts“ für sie abfalle. Doch einzelne Abgeordnete bezweifeln, ob er da für alle gesprochen habe.

Die Frage der Landwirtschaft war denn auch der Hauptstreitpunkt im Vorfeld der Nominierung. Nicht einmal einen anderen Kandidaten aus den Reihen der ZSL für das Landwirtschaftsministerium konnten die Solidaritätsbauern durchsetzen. ZSL-Fraktonschef Bentkowski stellte sich im Fernsehen auf den Standpunkt: „Wenn man unserer Partei das Amt zuschlägt, dann hat unsere Partei auch das Recht, einen Kandidaten ihres Vertrauens vorzuschlagen.“

Noch am Nachmittag überbrachte eine ZSL-Delegation Mazowiecki eine Resolution zur Unterstützung Olesiaks, den man, so Bentkowski, nicht für alle Fehler der Regierung Rakowski verantwortlich machen dürfe. Für Mazowiecki war die Sache dann gelaufen: „Wir wollen diese Koalition, dann müssen wir auch bereit sein, den Preis dafür zu zahlen.“ Die Landsolidarität ließ inzwischen anklingen, sie werde sich an der Regierung überhaupt nicht beteiligen, obwohl Mazowiecki ihr einen Minister ohne Portefeuille angeboten hatte.

„Der Premier hat sich entschieden und von seinem Auswahlrecht Gebrauch gemacht“, kommentierte Geremek die Kabinettsbildung. Angesichts der Tatsache, daß der Bürgerklub von den Koalitionsverhandlungen ausgeschlossen blieb und mancher Abgeordnete erst von Journalisten Einzelheiten erfuhr, schlugen die Wellen hoch. Kopfschütteln gab es auch bei der Mitteilung, das Außenhandelsministerium werde nicht mit Professor Trzeciakowski, sondern mit einem PVAP-Kandidaten besetzt.

Klaus Bachmann