„Goldene Regel“ gilt auch für China

■ Trommelnder Protest gegen die Todesstrafe vor der Kirchentür

„Was gehen uns die schlimmen Vorgänge in China an? Das ist doch soweit weg“ packte Pfarrer Fiedrich Duensing seine Schäfchen bei den Hörnern. Daß die Entfernung aber inzwischen kein Argument mehr ist, seitdem die Welt durch die Medien und modernen Verkehrsmittel geschrumpft sei, und daß für die Touristen bei ihren Urlaubsreisen und die Unternehmen bei ihren weltweiten Geschäften besonders Entfernungen gar keine Rolle mehr spielen, führte Pfarrer Duensing seinen Gemeindemitgliedern vor Augen. Schon beim Betreten der Kirche „Unser Lieben Frauen“ hatte die Bremer amnesty-Gruppe das Augenmerk der Kirchgänger auf China und die Vollstreckung der massenhaften Todesurteile dort gelenkt: Plakate mit Bildern von den Hinrichtungen säumten den Eingang. „Entfernung kann nicht als Vorwand dienen, die vielen Gefangenen und Opfer in China aus den Gedanken zu streichen“, bohrte Duensing mit Nachdruck. Und: „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, wenn irgendwo Menschen gefangen, gefoltert oder hingerichtet werden.“

Als den kürzesten Maßstab allen gemeinschaftlichen Lebens, als bündigstes Kriterium, auf das immer wieder neu zurückgegriffen werden dürfe, stellte Pfarrer Duensing seiner Predigt die „Goldene Regel“, Matthäus 7, Vers 12 voran: „Alles also, von dem Ihr wollt, daß es die Leute Euch tun, das tut Ihr genau so auch ihnen.“ Und wenn die Befürworter der Todesstrafe immer wieder anführen, daß die Bibel kein Argument gegen die Todesstrafe biete, dann müsse man ihnen entgegenhalten: Auch die Sklaverei sei jahrhundertelang aus der Vergangenheit ererbt worden, und zu Zeiten von Jesu und Martin Luther war es noch unvorstellbar, ohne Sklaverei auszukommen. „Wandlungen und Lernprozesse betreffen manchmal eben auch Grundvoraussetzungen und bekenntnisse des Menschen.“ Dem solle man sich aber „um Gottes Willen“ nicht reaktionär verweigern, forderte Duensing vehement. „Es erfüllt mich mit tiefer Befriedigung, daß die DDR als erste Diktatur die Todesstrafe offiziell abgeschafft hat“, bekannte er seiner Gemeinde von der Kanzel herunter.

„Christenmenschen müssen Herzen und Gewissen offen halten, für alles, was in diesen Ländern, in denen die Todesstrafe noch vollstreckt wird, geschieht“, forderte Duensing. Die Fürbitte des Gottesdienstes gegen die Todesstrafe galt deshalb den Studenten und Menschen, die bespitzelt werden oder einfach verschwinden, weil sie den Machthabern unbequem sind und weil sie Freiheit und Gerechtigkeit einklagen. Und sie galt bekehrend all jenen, die in Starrheit und Unbeweglichkeit alles beim Alten lassen wollen. Amnesty empfing die Kirchgänger mit Trommelwirbel.

Birgitt Rambalski