AUF LEISEN SOHLEN

■ Improvisierte Musik mit Sibylle Pomorin und Klaus Koch in der „Küche“

Die Ankündigung eines Konzertes mit improvisierter Musik, entfacht heutzutage annährend die gleiche Werbewirkung, als böte ein Gemüsehändler verschimmelte Tomaten an. Nicht nur deshalb ist „Die Küche“, eine Fabrikwohnung in SO36, der ideale Ort für Konzerte dieser Provenienz. Sie ist nicht zu groß für ein kleines Publikum, und in ihrer Zweckentfremdung verwirklicht sich gleichzeitig eine Erweiterung ihrer Funktionalität als Zentrum des sinnlichen Genusses.

Sibylle Pomorin hat vor sich zwei Saxophone und eine Querflöte stehen, auf dem Boden einige Kabel und ein paar Fußpedale, Klaus Koch reicht ein Kontrabaß. Es herrscht eine eigenwillige Ruhe, die auch noch fortbesteht, als die beiden schon längst zu spielen begonnen haben. Sibylle Pomorin verziert die Lautlosigkeit mit zaghaften, fast schüchternen Tönen ihrer Flöte, manchmal spricht oder singt sie kurz dazwischen, kiekst oder grummelt. Ein Samplinggerät multipliziert die eigene Vokalartistik bei Bedarf ins Unendliche, kommt aber nur begrenzt zum Einsatz. Pomorin erliegt nicht, wie einige ihrer Kollegen, dem Technofieber.

Währenddessen zupft ihr Duopartner aus der DDR unbeirrt an den Baßsaiten, schlägt notfalls aus geringer Distanz, vornehmlich mit dem Bogen, auf sie ein, das alles aber ohne jegliche Aggressivität. Der Baß erhält nur hin und wieder einen zärtlichen Schlag. Die Musik der beiden tastet sich auf leisen Sohlen voran, geht nicht zielstrebig auf einen Punkt zu, läßt der spontanen Improvisation ihren freien Lauf. Über Umwege findet man zusammen, der Klang des Basses wird zum brummenden Hummelschwarm, ein kühles Saxophon versucht dagegen anzukämpfen.

Das Zusammenspiel ist nicht, wie so oft beim männerdominierten Free-Jazz, eine Konkurrenz-Veranstaltung; bei der jeder den anderen an Tempo und Lautstärke überbieten will. Auch wenn das Geschlecht von Musikern normalerweise nur wenig über ihre Musik aussagt, scheint in diesem Duo der Idealproporz musikalisch verwirklicht.

Dabei treten beide nur sporadisch zusammen auf. Klaus Koch muß am nächsten Tag wieder in die DDR zurück, Sibylle Pomorin lebt in West-Berlin. Auf männliche Begleitung ist sie eh nicht unbedingt angewiesen, als Mitglied im Jazzorchester „Reichlich Weiblich“, außerdem leitet sie ein eigenes Quartett. Zur Zeit ist sie auch noch mit der Komposition und Produktion der Musik für das Tanztheater „Rubato“ und dessen Stück „RabenGoldGoldRaben“ beschäftigt, das im Rahmen der Reihe „Expressiver Tanz aus Ost und West“ in der ersten Oktoberwoche im Ballhaus Naunynstraße aufgeführt wird. Falls das Stück einlöst, was das Programmheft verspricht, wäre es die ideale Kulisse für die Musik Sibylle Pomorins: „Ein tänzerischer Spannungsbogen zwischen Stille, extremer Langsamkeit und explosiver Dynamik.“

Andreas Becker