Überflieger in Ringelsocken

Karlsruher SC - Borussia Dortmund 2:1 / Kollektive Verdrängung läßt den KSC siegen  ■  Aus Karlsruhe Ulrich Fuchs

In der Berufsgruppe der Fußballer gelten Denker gemeinhin eher als die Ausnahme. Außerordentliche Situationen aber erfordern außerordentliche Maßnahmen. In einer Grußbotschaft an die „lieben Zuschauer“ ließen die Spieler des Karlsruher SC vor dem Match gegen Borussia Dortmund wissen, daß ihnen der bisher sieglose, mit 4:10 Punkten ordentlich vermasselte Start in die neue Saison „Anlaß zum Nachdenken“ gegeben habe.

Das in der Stadionzeitung verkündete Ergebnis der gemeinsamen Denkanstrengungen war schlicht, aber zwingend: „Wir wollen in die Zukunft blicken und mit dem heutigen Spiel neu anfangen.“ Die fußball-taktische Raffinesse dieses, psychoanalytisch gesehen, Aktes kollektiver Verdrängung der Vergangenheit liegt nämlich dort, wo der Kopf des Kickers wieder frei wird für seinen eigentliche Bestimmung: das Ballspiel. Und zwar das nächste, das, wie alle Freunde und Freundinnen dieses Sports aus berufenem Munde wissen, immer das schwerste ist.

Solchermaßen bei den philosophischen Gründen des Sports angelangt, konnten jetzt dem Denken wieder Taten folgen. Und da kamen dem Tabellenletzten aus Karlsruhe die mit 9:5 Punkten ähnlich erfolgreich wie die Badener im Vorjahr gestarteten Dortmunder gerade recht.

Weniger dank der eigenen Spielkunst als vielmehr durch die lustlose Vorstellung der Borussen übernahm der KSC von Anfang an die Initiative und tauchte mehrfach gefährlich vor dem Tor der Schwarzgelben auf, wobei sich insbesondere Jungtalent Michael Sternkopf mit zielstrebigen Läufen in den Strafraum des Gegners hervortat. Dort angekommen, war aber auch er mit seinem Latein am Ende, und es war unschwer zu erkennen, warum der KSC soweit unten steht.

Die Borussia dagegen blieb den Nachweis für ihre Spitzenposition voll und ganz schuldig. Herr Rummenigge trabte an der Außenlinie auf und ab und hatte sonst mit dem Spielablauf nichts zu tun, Millioneneinkauf Wegmann winkte ab und an seinen Mannschaftskameraden freundlich zu, während Stürmerkollege Frank Mill ein ums andere Mal zu Boden ging.

Direkt nach der Pause wollten dann auch die Dortmunder Abwehrspieler einen angemessenen Beitrag zum Auftritt ihres Teams leisten. Innerhalb von zwei Minuten bedienten sie die KSC-Stürmer Hermann und Simmes mit kapitalen Schnitzern so mustergültig, daß denen ihr langersehntes Erfolgserlebnis nicht mehr zu nehmen war.

Damit war schon alles gelaufen, die 17.000 erfolgsentwöhnten Fans zeigten schier südländische Begeisterung und ließen es sich nicht nehmen, dies auch noch mit „la ola“, der Welle, kundzutun. Daß die Heimmannschaft nach der Führung der Mut zur Offensive wieder verlassen hatte, wurde im Freudentaumel genauso gnädig verziehen wie der Anschlußtreffer durch Andy Möller, dem einzigen Gästespieler mit Format.

Nach dem Schlußpfiff klagte BVB-Trainer Köppel mit schrecklich traurigen Augen über das Ringelsockensyndrom, das Kenner der Dortmunder Szene seit dem gewonnenen Pokalfinale beobachten. „Einige meiner Spieler meinen immer noch, sie gehen bei jedem Spiel als Sieger vom Platz.“ Darüber sollte er sich nicht zu viele Gedanken machen. Die ehernen Gesetze des Fußballsports werden auch die Überflieger unter den Dortmunder Spielern wieder auf den Boden holen. Und dann können wieder Taten folgen.

KARLSRUHE: Famulla - Bogdan - Kreuzer, Bany - Schmidt, Metz, Harforth, Trapp - Hermann, Sternkopf, Simmes (89. Kastner)

DORTMUND: de Beer - MacLeod - Helmer, Schulz - Lusch, Rummenigge, Zorc, Möller, Kroth - Wegmann, Mill

TORE: 1:0 Hermann (48.), 2:0 Simmes (49.) 2:1 Möller (84.)