Gemäßigte Utopie eines älteren Herren

Klaus Wagenbach zum 25jährigen Jubiläum seines Verlages  ■ I N T E R V I E W

taz: Mit welchen Hoffnungen hast du 1964 den Verlag gegründet und welche Motive treiben Dich heute noch an, ihn zu leiten?

Klaus Wagenbach: Ich habe den Verlag in der Hoffnung gegründet, daß es in Deutschland möglich sein müsse, einen unabhängigen linken Verlag zu machen. Den gab es damals noch nicht. 1964, das war ja noch vor der Studentenbewegung. Und es war auch die Konsequenz meines Rauswurfs aus dem Fischer Verlag, wegen linker Umtriebe. Wir haben für den Verlag dann eine Struktur gefunden, die auch noch heute gilt: die Autoren haben gleiche Rechte, gleich hohe Honorare, Einsicht in die ökonomischen Unterlagen des Verlages, die Kalkulation der Bücher, Mitsprache bei der Wahl der Schrift ihrer Bücher und bei den Texten, mit denen die Bücher vorgestellt werden. Nach innen gilt ein Prinzip, das sich auch bis heute gehalten hat: ungefähr gleiche Gehälter und Offenheit der Strukturen. Der Lehrling kennt also auch die Bilanz oder die Kalkulation, und einmal pro Woche findet eine Verlagssitzung statt, bei der alles besprochen wird.

Ausgenommen ist das Lektorat. Ich bin ja immer für die Diktatur des Lektorats über die Inhalte, und dafür haben wir eine besondere Lektoratsverfassung.

Am Anfang hast du deutsche Literatur herausgebracht, Meckel Bobrowski, Schenk, Biermann, junge deutsche Literatur aus Ost und West. Warum war es mit dieser Ausrichtung so schnell zu Ende?

Absicht war es, überwiegend ein Verlag für ost- und westdeutsche Literatur zu sein. Das ist bereits im ersten Jahr mit der Veröffentlichung von Biermann gescheitert. Mit der Veröffentlichung der „Drahtharfe“ erhielt der Verlag ein Lizenzverbot von der DDR, und das war viele Jahre gültig. Wir wollten ja noch Fühmann und viele andere DDR-Autoren veröffentlichen, konnten dieses Projekt dann nicht weiterführen, und ich kam aus der Stadt nur noch mit dem Flieger raus. Damit war der Ostteil des Projekts weggebrochen, und der Westteil schrumpfte mit der Studentenbewegung. Denn mit der Studentenbewegung gingen ja die glorreichen 60er Jahre der deutschen Literatur zu Ende, und es kamen die furchtbaren 70er Jahre der deutschen Literatur. Andererseits behinderte diese Krise den Verlag nicht, gerade wegen der Studentenbewegung.

Was treibt dich heute an, denn deutsche Gegenwartsliteratur gibt es doch so gut wie nicht mehr im Wagenbach Verlag?

Das ist kein Charakteristikum unseres Verlages, sondern in anderen Verlagen von Hanser bis Suhrkamp und Luchterhand nicht viel anders. Das Problem ist eine momentane Erschöpfung der gegenwärtigen deutschen Literatur. Das ist auch der Grund dafür, warum Michael Krüger und ich vor zwei Jahren den Tintenfisch eingestellt haben.

25 Jahre Wagenbach, das sind auch 25 Jahre Diadochenkämpfe der Linken, die sich auch im Verlag abspielten. Welche Auseinandersetzungen waren dabei am schmerzlichsten?

Es gab zwei sehr schmerzliche Erfahrungen. Die Spaltung des Verlages war eine davon. Ich war damals voller utopischer Vorstellungen von der schnellen Veränderbarkeit der Gesellschaft. Ich hatte den Mitarbeitern die Hälfte des Verlages geschenkt, und es hätte auch eine volle Schenkung werden sollen. Ich war aber immer auch der Meinung, daß das Lektorat nicht kollektiviert werden kann. Nach zwei Jahren dann sollte die Lektoratsverfassung, die die Diktatur des Lektorats festlegte, gestürzt werden. Das war für mich ein unglaublicher Schock. Ich bin über meine eigene Utopie gestolpert.

Aus heutiger Sicht kann man doch sagen: eigentlich gar nicht so schlecht. Es sind zwei Verlage daraus entstanden, Wagenbach und Rotbuch.

Sicher, aus heutiger Sicht ist es etwas anderes. Du triffst mich übrigens in allerbester Laune. Heute bekam ich einen Brief des Rotbuch Verlages, der erste seit 16 Jahren. Ein höflicher, liebenswürdiger Brief zum Jubiläum, über den ich mich sehr gefreut habe. Bis dahin hatte ich nur die Erinnerung: Vor 16 Jahren durfte ich noch einmal eine Stunde in den Verlag und meine privaten Sachen packen. Das Schloß war schon ausgetauscht. Heute zeigt sich - und das muß man zum Lob beider Seiten sagen -, daß diese Gruppen, die wirklich in einem unlösbaren Konflikt standen, der nur sinnvollerweise mit einer Trennung gelöst werden konnte, die Trennung so hingekriegt haben, daß sie bis heute existieren. Das ist eine sehr seltene Trennungsleistung innerhalb der Linken.

War es ein wirklich politischer Konflikt?

Es war auch ein Konflikt über Inhalte, der an verschiedenen Manuskripten sichtbar wurde. Zum Beispiel ging es um die damals von FC Delius ausgehende Überzeugung, daß der dokumentarischen Literatur die Zukunft gehöre. Dieser Meinung war ich überhaupt nicht, und dieser Meinung ist der FC heute wahrscheinlich auch nicht mehr. Der andere Teil des Konflikts war die hemmungslose Utopie junger Leute und die gemäßigte Utopie eines schon etwas älteren Herren.

Und die zweite schmerzliche Erfahrung?

Das war der organisierte Versuch der Staatsgewalt, den Verlag umzubringen, ihn an seiner Arbeit zu hindern. Ich habe zwischen 1974 und 1977 mehr Zeit in Westberliner Gerichtssälen herumgesessen als an meinem Schreibtisch. Die Strafen samt Gerichtskosten waren phantastisch, 100.000 oder 150.000 DM. Man muß sich das vorstellen: Allein wegen der Zeile im Roten Kalender, die die moralische Verurteilung mittransportierte: „Georg von Rauch ermordet“, hat die Staatsgewalt auf unsere Kosten die ganze Erschießung von Georg von Rauch rekonstruiert. Die Staatsgewalt führte den Prozeß, den sie vorher gegen den Polizisten eingestellt hatte, deswegen, weil sie jetzt jemanden hatte, der ihn bezahlte. Das war furchtbar.

Du hast dich den Vereinnahmungsversuchen der Linken immer widersetzt. Andererseits bist du ihnen auch ab und zu erlegen gewesen. Für mich warst du immer ein romantischer Anarchist, der zeitweilig, vielleicht aus ästhetischen Gründen, mit einigen Büchern zumindest, den Holzweg des bewaffneten Kampfes mitgegangen ist. Wie siehst du selber diese Beziehung des Verlags zur RAF?

Ich habe entschiedene Einwände gegen die Charakterisierung als romantischer Anarchist. Ich bin sehr früh in den 50er Jahren in den SDS eingetreten, war also ein sehr junger Linker. Schon bei der 'Spiegel'-Affäre bekam ich mein erstes Ermittlungsverfahren, weil ich zum Verrat von militärischen Geheimnissen aufgerufen hatte.

Mit dem anderen, was du sagst, hast du schon recht. Es gab damals nur zwei Wege. Beide waren, von heute aus gesehen, reichlich bekloppt. Es gab den militärischen Weg und es gab den Parteiaufbau, grob gesagt: KPD/AO oder RAF.

Aber die Aufarbeitung der RAF-Zeit hat im Verlag kaum einen Niederschlag gefunden.

Das stimmt nicht. Ich habe einen Aufsatz über die Linke und die RAF geschrieben, und das Brückner Buch Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse war eine Auftragsproduktion des Verlags, die mich noch einmal fast den Verlag gekostet hat.

Stimmt. Croissant erließ eine einstweilige Verfügung und wollte samt RAF die Veröffentlichung verhindern. Im Verlag wurde das Buch doch auch boykottiert? Hatte nicht jemand ein martialisches Zitat von Holger Meins, mit dem sich Brückner kritisch auseinandersetzte, ausgetauscht gegen eine „Verlagsbemerkung“.

Eine Stelle wurde im Verlag korrumpiert, und wir haben noch vor der Auslieferung einen Korrekturzettel eingelegt. Jedenfalls wollte gerade die RAF die Diskussion nicht. Insgesamt läßt sich sagen, daß der Verlag in den 70er Jahren ein Verlag der Bewegung war. Gegen Ende der 70er Jahre war der Verlag ziemlich allein. So wie die Linke in Deutschland insgesamt ihre politische Theorie verlor, ihrer Basis beraubt war, unsicher wurde. An einem bestimmten Punkt mußte der Verlag dann ungeheuer initiativ werden. Die Taschenbücherei ist dafür ein klassisches Beispiel. Mit den Grünen gab es wieder ein gewisses Auftauchen der Theorie. Heute ist es so, daß das, was sich früher oft in der Theorie entschied, in der Praxis entscheiden wird. Das ist für uns ja sehr überraschend.

Interview Max Thomas Mehr