Teilsieg für „Colonia Dignidad“

■ Chiles Oberstes Gericht sieht nur minderwertige Delikte in der deutschen Terrorsiedlung / Das Auswärtige Amt der Bundesregierung - jahrelang untätig - protestiert nun scharf

Berlin (taz) - Das Oberste Gericht Chiles hat am Freitag entschieden, sich nicht weiter mit der „Colonia Dignidad“ zu befassen. In der hermetisch abgeschlossenen Siedlung in Südchile sind unter der Regie des Sektenführers Paul Schäfer an die 300 Menschen, fast ausschließlich Deutsche, einem Regime des Terrors ausgeliefert. Die wenigen Personen, denen in den letzten drei Jahrzehnten die Flucht gelang, berichteten von Arbeitszwang, sexuellen Mißhandlungen, Folter und Gehirnwäsche. Das Oberste Gericht hat im letzten Jahr vor allem auf deutschen Druck hin einen Sonderuntersuchungsrichter mit Ermittlungen beauftragt, der im August zum dem Schluß kam, daß in der Siedlung keine Menschenrechte verletzt würden und daß die Führung der Siedlung bloß wegen Betrugs und wegen rechtswidrigen Praktizierens der Heilkunst vors Tribunal gehöre.

Die Siedlung hatte jahrelang über die Deutsche Botschaft Rentenbeträge für verstorbene Sektenmitglieder abgezockt; die Ärztin Gisela Seewald - nach glaubwürdigen Aussagen geflüchteter Siedler folterte sie Kinder - hat aber in Chile keine ärztliche Approbation. Diese beiden Vorwürfe, befand das Oberste Gericht nun, könnten die internationalen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Chile nicht belasten. Also gebe es keinen Grund, daß sich das höchste Gericht des Landes weiter mit der „Colonia Dignidad“ befasse. Der Fall wird an niedrigere Instanzen verwiesen.

Die Bundesregierung protestierte mit scharfen Worten gegen die Entscheidung und sprach von einer „ernsten Belastung der Beziehungen“. Außenminister Genscher zitierte den chilenischen Botschafter in Bonn in sein Amt, und der Lateinamerika-Beauftragte des Auswärtigen Amts (AA) Henze, der sich zu einem Informationsbesuch in Chile aufhält, wurde angewiesen, die Reise abzubrechen.

Daß das Oberste Gericht, das ausschließlich aus Mitgliedern besteht, die der Diktatur jahrelang treu gedient haben und das noch keinen einzigen Folterer je abgeurteilt hat, ernsthaft gegen die „Colonia Dignidad“ vorgehen würde, war nicht zu erwarten. Umso weniger, als die deutsche Siedlung nach Pinochets Machtübernahme dem damaligen Geheimdienst der Diktatur, Dina, als Folterzentrum diente. Dies hatte amnesty international bereits 1977 in einer umfassenden Broschüre belegt. Ai wies schon damals auf die Zustände in der deutschen Siedlung hin, ohne daß die Bundesregierung Schritte zur Aufklärung unternommen hätte. Im Gegenteil: Die Botschaft in Santiago nahm die Terrorsiedlung jahrelang in Schutz. Erst vor knapp zwei Jahren entschied sich das AA unter dem massiven Druck der Öffentlichkeit für eine härtere diplomatische Gangart gegen Chile. Ein bundesdeutscher Haftbefehl gegen die ausschließlich deutsche Führungsriege der „Colonia Dignidad“ wurde bis heute nicht erlassen.

thos