Liebesspiele

■ Eine Pressekonferenz in Venedig und eine Rede über die Liebe

Venedig (taz) - Der Belgier Jean-Jacques Andrien hat einen Film über Schafwolle und Liebe gedreht: Australien. Jeremy Irons und Fanny Ardant sind das Liebespaar. Bei der Pressekonferenz endlich nach einigem Hin und Her die alle bewegende Frage: Eine kleine, sehr dicke Frau um die 50 steht auf. Sie ordnet mit der rechten Hand ihre roten, hochtoupierten Locken, streicht dann mit beiden Händen ihr bunt geblümtes, kunstseidenes Kleid glatt, blickt über ihre Brille, die sie ganz vorn auf der Nasenspitze balanciert, hinweg zu Fanny Ardant und sagt zu ihr: „Ich gehöre zu denen, die gelacht haben. Jeanne, die Frau, sie Sie darstellen, fährt von Belgien nach London dem Mann hinterher, den sie liebt, überrascht ihn in seinem Hotelzimmer und als der sie umarmt und auszukleiden beginnt, sagt sie: 'Nicht jetzt‘. Natürlich habe ich lachen müssen. Das ist doch verrückt. Sie fährt ihm nach“, die dicke Dame zuckt mit den Schultern, „von Leidenschaft hingerissen und tut es dann nicht, sondern erzählt, daß sie eigentlich habe Bäuerin werden wollen. Was hat das mit ihrer Reise zu tun. Was mit ihrer Leidenschaft? Das ist komisch, zum Lachen komisch.“

Fanny Ardant. Sie hatte die ganze Pressekonferenz über keine Sekunde ihre Lippen in Ruhe gelassen. Minutenlang streicht sie scheinbar völlig versunken mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand über die Unterlippe, läßt den Mund freilich dabei so weit geschlossen, daß auch die Oberlippe ihren Teil bekommt. Sie setzt ihre Finger nur selten ab. Ihr Tempo wechselt, aber der Rhythmus bleibt derselbe: Sie beginnt mit einer fahrigen Bewegung, wird dann langsamer, intensiver, der Mund öffnet sich, dann ein, zwei schnelle Durchgänge. Jetzt reißt sie heftig an ihrer kleinen Halskette, an der ein Anhänger, wohl eine Münze, befestigt ist. Sie zerrt so wild daran, daß ich froh darüber bin, daß sie einen so muskulösen Hals hat. Eine zartere Haut würde aufreißen und bluten. Sie nimmt die Münze, führt sie die Unterlippe entlang. Ihre Bewegungen werden langsamer. Die Münze ist immer seltener zu sehen. Sie scheint jetzt über die Innenseite der Unterlippe, die Schleimhäute, zu streichen. Fanny Ardant scheint absorbiert. Aber sie hat zugehört, sehr genau zugehört.

Sie wirft die Münze weg - die Kette reißt sie aufs Schlüsselbein zurück -, blickt die kleine, dicke Dame an, zeigt ihre Zähne und sagt: „Ich weiß nicht, was Sie an dieser Szene komisch finden. Jeanne war dem Mann nachgereist, nicht weil sie ins Bett mit ihm wollte, sondern weil sie ihn liebte. Die beiden hatten sich davor zwei-, dreimal gesehen, vielleicht gerade zehn Sätze miteinander gesprochen. Jetzt soll sie einfach ins Bett fallen. Das ist nicht ihre Vorstellung von der Liebe. Sie will reden mit dem Mann, den sie liebt, vorher, nachher, auch dabei. Sie muß reden mit ihm, sie muß wisen, wer er ist und er - so meint sie - muß wissen, wer sie ist. So sieht sie die Liebe. Da ist nichts Komisches dran.“

Fanny Ardant wirft nach dem letzten Wort den Kopf zurück, zeigt der Gegnerin den kräftigen Hals, als wollte sie sagen: Beiß zu, wenn du dich traust. Die traut sich nicht.

Gideon Bachmann, der die Pressekonferenzen moderiert einer der klügsten, wachsten, intelligentesten Köpfe im Filmmetier - sah nicht hinunter zu der Dame im geblümten kunstseidenen Kleid, als er die Sitzung mit den Worten schloß: „Wie gut, daß wir hier hören, wie man sich richtig liebt. Wir wissen so wenig darüber. Vielleicht ist es aber so: Je weniger Praxis man hat, desto mehr redet man darüber.“

Für den Berichterstatter gilt das allemal.

A.W.