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Hessen-Grüne: „Machos und unreife Hühner“

In der Landtagsgruppe der hessischen Grünen toben heftige Auseinandersetzungen / Abgeordnete legen sich mit „Fischer-Gang“ an / Ex-Staatssekretärin Haibach warnt vor „fortschreitendem Ausgrenzungsprozeß“ / Die Stimmung ist mittlerweile auf dem Nullpunkt  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Bei den hessischen Grünen ist der Löwe los: „Karrieregeile Schleimer“ seien dabei, die Partei zu einer „stinknormalen“ zu machen, wetterte Basisfrau Heike Marie Knodt-Hassanien in der Parteizeitung 'Stichwort: Grün‘. Und Marita Haibach, frühere Staatssekretärin der Börner/Fischer-Regierung und ausgewiesene „Reala“, warnte vor dem „fortschreitenden innerparteilichen Ausgrenzungsprozeß“. Beschwörend zitierte sie Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“

Die Basis schäumt, seit die Landtagsabgeordneten Alla Korwisi und Daniela Wagner-Pätzhold in der Juli-Nummer von 'Stichwort: Grün‘ sowohl den neuen Landesvorstand als auch den „Frankfurter Machtzirkel“ innerhalb der Landtagsgruppe scharf angriffen. Tenor ihrer Kritik: die „grünen Metzgers“

-eine Anspielung auf den SPD-rechten Darmstädter Oberbürgermeister - seien dabei, den grünen Stall gründlich auszumisten: „Menschen, denen die Idee kam, Wiesbadener oder Frankfurter Wünschen zu widersprechen, verschwanden nach und nach von der Bildfläche.“ So sei der neue Landesvorstand nach den Vorstellungen der Frankfurter geformt worden. Wer Zweifel an der Richtigkeit der im „Frankfurter Machtzirkel“ erarbeiteten Dekrete geäußert habe, galt als „nicht mehr wählbar“: „Und nach dem Vorstand wurden die Angestellten in der Landesgeschäftsstelle und in der Landtagsgruppe unter die Lupe genommen“.

Was von den Frankfurtern um Joschka Fischer (MdL), Iris Blaul (MdL) und Bernd Messinger (Ex-MdL) als „Sieg der Vernunft gegen notorische Nörgler“ in der Landtagsgruppe und im Umfeld des Landesvorstandes bezeichnet wurde, ist für die Kritikerinnen schlichte Ausgrenzungspolitik. Nach der berechtigten Abkehr von fundamentalistischen Positionen werde nun die Realpolitik ausdifferenziert, denn nicht nur personell sondern auch inhaltlich sei bei den Grünen „Sand im Getriebe“.

Grundlage für die parlamentarische Arbeit der Landtagsgruppe ist immer noch das Landesprogramm von 1982. Eine programmatische Debatte auf Landesebene steht nach wie vor immer aus - und die Landtagsfraktion entwirft ihre politischen Strategien aktuell und nach Gusto. Basismann Rolf Meister fordert denn auch in 'Stichwort: Grün‘ eine „offene Programmdiskussion ohne Scheuklappen“, an deren Ende ein realistisches und pragmatisches Landesprogramm zu stehen habe, das sowohl für eine Mit-Regierung als auch für eine Oppositionsarbeit tauge.

Die Kritik von Korwisi und Wagner-Pätzhold an der Machtpolitik der Frankfurter wird - hinter vorgehaltener Hand - auch von anderen Landtagsabgeordneten, denen der „APO -Stallgeruch“ gleichfalls abgeht, geteilt. Der Parteiapparat sei in den letzen beiden Jahren auf die „Gang“ des Joschka Fischer zugeschnitten worden.

Die „karrieregeilen Schleimer“ (Heike Marie Knodt -Hassanien) hätten sich in der grünen Landtagsgruppe breit gemacht, die ihren Herren und Damen - in Erwartung eines Mandates - die Aktentaschen hinterhertragen würden, meinte eine Abgeordnete, die namentlich nicht genannt werden will. Der „Macho“ Joschka Fischer dulde keinen Widerspruch - „und keine profilierten Kolleginnen und Kollegen neben sich“. Fleißige Abgeordnete, die nicht dem „Frankfurter Zirkel“ angehörten, würden geschnitten und der Lächerlichkeit preisgegeben. So würden etwa Korwisi und Wagner-Pätzhold bei den „anderen“ als „unreife Hühner“ gelten.

„Schlimmer als bei den anderen Parteien“ gehe es bei den Grünen mittlerweile zu, meinte auch Susanne Nöcker von der Landtagsgruppe in Wiesbaden. Denn während die Etablierten über „Auffangbecken“ für gestrauchelte PolitikerInnen verfügten, falle man bei den Grünen in ein tiefes Loch. Ohne berufliche Alternativen und eingebunden in die Parteistrukturen, seien die grünen BerufspolitikerInnen zum Überlebenskampf innerhalb der Partei verdammt - „und dieser Kampf wird immer gnadenloser“. So bewerben sich etwa um die zwei freien hessischen Männerplätze auf der Bundestagswahlliste der Partei gleich vier Kandidaten aus dem Realo-Lager. Hubert Kleinert und Udo Knapp - zwei der vier Bewerber - hätten sich wechselseitig den Krieg erklärt: „Da nimmt keiner mehr einen Zettel an, der aus dem Büro des anderen kommt“, meint dazu Susanne Nöcker.

Daß es auch den Kritikerinnen Korwisi und Wagner-Pätzhold bei ihrem Rundumschlag gegen den „Frankfurter Zirkel“ um die Schaffung guter Startpositionen für die Listenaufstellung zur Hessenwahl '91 gegangen sei, vermuteten die Macher von 'Stichwort: Grün‘, die diesem „Frankfurter Zirkel“ angehören, schon im Juli - für Basisfrau Knodt-Hassanien eine „macho-dämliche Interpretation“.

Der Rüsselsheimer Realpolitiker Wilhelm Junker, Mitglied in der Finanzkommission der hessichen Grünen, die sich mit den leidigen Personalangelegenheiten im Umfeld des Landesvorstandes zu befassen hatte, spricht gar von einem „Rachefeldzug“ der Kritikerinnen. Beide Parlamentarierinnen hätten „persönliche Beziehungen“ zu geschaßten Mitarbeitern des Landesvorstandes unterhalten. Ihre Kritik sei deshalb „überzogen“ ausgefallen.

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