Kein Deserteur-Denkmal

■ Chaos im Göttinger Stadtrat verhinderte Beschluß / Rechte Genossen setzten sich in der SPD-Fraktion durch

Göttingen (taz) - Rechtsparteien und sozialdemokratische Hinterbänkler können zufrieden sein: Zumindest vorerst wird die Stadt Göttingen keine Denktafel für Deserteure aufstellen lassen. Nach einer chaotischen Geschäftsordnungsdebatte zog die SPD-Fraktion am Freitag abend im Stadtrat einen von ihr selbst eingebrachten Antrag vor der Schlußabstimmung wieder zurück.

Dabei schien alles sorgfältig eingefädelt. SPD und Grün -Alternative Liste (GAL), die zusammen über eine komfortable Mehrheit im Kommunalparlament verfügen, hatten sich vorab für ein öffentliches Deserteur-Denkmal ausgesprochen. Meinungsverschiedenheiten gab es „nur noch“ um den Text der Widmung. Während die SPD lediglich diejenigen Deserteure ehren wollte, „die sich aus Gewissensgründen dem Kriegsdienst für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verweigert haben“ (Antragstext), lehnten die GAL und Göttinger Friedensgruppen eine Beschränkung auf die Zeit des Faschismus ab. Die taktische Marschroute der Grün -Alternativen für die mit Spannung erwartete Ratssitzung sah denn auch vor, dem SPD-Antrag „im Grundsatz“ zuzustimmen, die Diskussion über die Inschrift aber zu verschieben.

Dagegen - auch das hatte dem Kalkül der GAL entsprochen verwahrte sich indes der Koalitionspartner. Die Sozialdemokraten, so ihr Oberbürgermeister Artur Levi, seien weder jetzt noch später bereit, über „den Deserteur im allgemeinen“ zu diskutieren. Dieses nämlich würde die Bevölkerung „nicht verstehen“.

Die SPD-Kanalarbeiterriege, das Ohr wie überall am Puls der Massen, horchte auf. Ihr war das ganze Deserteur-Thema ohnehin mehr als unangenehm, und die Gunst der Stunde bzw. die Widersprüche über die Denkmalswidmung nutzend, verweigerte sie einer weiteren, eigentlich unwesentlichen Antragspassage über den Zeitpunkt der Denkmalserrichtung die Zustimmung.

CDU und FDP, die einmütig gegen alle Punkte der Vorlage gestimmt hatten, konnten das weitere Geschehen mit Gelassenheit verfolgen. Nachdem ein sichtlich bewegter Oberbürgermeister - Levi war selbst von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben worden und hatte „freiwillig und ganz bewußt“ fünf Jahre lang in der englischen Kriegsindustrie gearbeitet - mit seinem Vorschlag auf erneutes Händeheben nicht durchkam und niemand so richtig wußte, was Stand der Beschlußlage war, zog SPD -Fraktionschef und Amtsrichter Meyer die Notbremse. Ohne inhaltliche Begründung und geschäftsordnungsrechtlich höchst fragwürdig nahm er den in seinen Einzelpunkten bereits abgestimmten Antrag „im Namen meiner Fraktion“ zurück.

Ob und wann das Deserteur-Denkmal eine weitere parlamentarische Befassung erfährt, ist noch nicht abzusehen. Zu klären bleibt zunächst einmal die Frage, wer jetzt eigentlich wen ausgetrickst hat.

Reimar Paul