Warnung vor dem „Genokratischen Polizeistaat“

Bernd Klees, Professor für Arbeits- und Sozialrecht und hartnäckiger Kritiker der Genomanalyse, beschreibt, was mit dem genetischen Fingerabdruck zukünftig gemacht werden kann / Zukünftig Gendateien von Gewaltverbrechern?  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Klees, in den USA haben namhafte Wissenschaftler den genetischen Fingerabdruck sehr in Frage gestellt.

Klees: Ich finde es natürlich positiv, daß sich jetzt auch Molekularbiologen und Humangentiker kritisch zu diesen Methoden äußern. Freilich kreisen deren Bedenken immer nur um die technische Frage, nämlich darum, daß es keine Richtlinien für die sachgerechte Anwendung gibt, die Fehlaussagen ausschließt. Das eigentliche Problem liegt aber darin, daß man sich nicht auf den sogenannten nicht -codierenden Bereich des Erbgutmaterials beschränken wird, also nur auf eine Identitätsfeststellung, ohne weitere Aussagekraft. Bei fortlaufender Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist es logisch, daß man vielleicht auch bestimmte Erbmerkmale, soweit sie für oder im Verfahren von Bedeutung sein können, ermitteln will. Dies beinhaltet zumindest auch, einen Blick in den codierenden Bereich der Erbanlagen werfen zu wollen.

Bisher wird dies von Kriminaltechnikern, zumindest in der BRD, energisch bestritten.

Das ehrt sie, aber ich bezweifle, ob sie darüber zu entscheiden haben werden. Nehmen wir einmal einen Mord- oder Vergewaltigungsfall, bei dem es einen Verdächtigen noch gar nicht gibt, sondern nur Blut- oder Spermaspuren. Da wird man doch versuchen, auf das Erscheinungsbild des Täters zu schließen. Heute schon können manche Anlagen bestimmt werden, die vom Genotyp auf den Phänotyp schließen lassen. Und je mehr man bestimmen kann, desto besser könnte man per Rasterfahndung den möglichen Täterkreis eingrenzen.

Den Beteuerungen der Kriminologen ist also nicht zu trauen?

Ich möchte den Betreffenden überhaupt keine subjektive Unredlichkeit vorwerfen, aber ich bezweifle ihre Fähigkeit und Bereitschaft, die objektiven Folgen ihres Tuns zureichend abzuschätzen. Es dürfte unmöglich sein, solche Beschränkungen durchzuhalten. Diese Rasterfahndungen werden

-entsprechend der derzeitigen Technik noch auf dem nicht -codierenden Bereich - ja bereits durchgeführt. Beispiel: Der Vergewaltigungs- und Mordfall Dawn Ashworth in Großbritannien 1987. Dort mußten über 5.500 Männer Blut abgeben, das dann genetisch verglichen wurde mit den gefundenen Sperma- und Blutspuren. Hier wurde die Unschuldsvermutung umgekehrt. Es wurde gleichsam zur „freiwilligen“ Pflicht, nachzuweisen, daß man nicht der Täter war. Das kann zu einem genokratischen Polizeistaat führen, in dem jeder beschuldigt werden kann und aufgrund seines genetischen Materials einen Entlastungsbeweis führen muß. In Kalifornien etwa wird das Erbmaterial von Sexualstraftätern bereits gespeichert. Geplant ist auch eine Gendatei von Gewaltverbrechern.

Solche Gendatenbänke sehen hiesige Kriminalisten für die BRD nicht kommen.

Ach, wissen Sie, wenn das in den USA gemacht und in Großbritannien und vielleicht auch in anderen europäischen Ländern geplant wird, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß das BKA sich auf Dauer weigern wird. Was dem FBI bereits recht ist, dürfte unseren Ermittlungsbehörden billig sein. Hier wird scheibchenweise eine Politik der normativen Kraft des Faktischen betrieben .

Und wenn erst das Erbmaterial von Gewalttätern computermäßig gespeichert ist, wird doch irgendwann wieder die Frage aufkommen, ob es nicht genetische Grundlagen für eine derartige Gewaltkriminalität gibt. Während der Weimarer Republik und im Dritten Reich haben wir solche kriminalbiologischen Ansätze ja bereits gehabt. Und es gibt heute wieder Leute, die ähnliche Thesen vertreten. Gegen dieses Hineinrutschen in neo-eugenisches Gedankengut, ohne daß man es wahrhaben will, richtet sich mein Hauptvorwurf. Aufgrund unserer Geschichte müßten wir eigentlich wissen, daß unsere Gesellschaft bei wachsenden Spannungen abrutschen kann. Um soziale Konflikte zu minimieren, kann die Gentechnik auch als Waffe eingesetzt werden.

Interview: Ulrike Helwerth