Genetischer Fingerabdruck vor Gericht

■ Neue Ermittlungsmethode im Zwielicht / In der BRD sitzen Kriminaltechniker bereits in den Startlöchern

Der genetische Fingerabdruck, bisher als todsichere Wunderwaffe für die Überführung von Gewaltverbrechern gepriesen, ist in Verruf geraten. Namhafte Molekularbiologen und Humangenetiker aus den USA haben nicht nur festgestellt, daß in den Gen-Labors Fehldiagnosen fabriziert und damit Unschuldige belastet werden. Ihre Kritik gilt auch der Methode allgemein. BRD-Kriminologen nahmen diese Vorwürfe bisher gelassen hin. Auch in hiesigen Polizeilabors warten die Genomknacker nur noch auf das Okay von oben. Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums soll jetzt eine 20köpfige Expertenkommission aus Theologen, Naturwissenschaftlern, Gewerkschaftlern und Geisteswissenschaftlern die ethischen und sozialen Folgen dieser Rasterfahndung im Erbgut prüfen.

Die Anklage wog schwer: Sexuelle Belästigung von Kindern wurde dem jungen Mann vorgeworfen, gegen den im vergangenen Mai vor dem Landgericht Darmstadt verhandelt wurde. Alle fünf Opfer, Mädchen zwischen zehn und zwölf, hatten ihn als Täter identifiziert. Doch dann ließ die Verteidigung bei einer englischen Firma eine „Genomanalyse“, so der wissenschaftliche Name, anfertigen, die anhand von Spermauntersuchungen den Angeklagten als Täter ausschloß. Die Richter folgten dem Untersuchungsergebnis und sprachen den Mann frei. Zum ersten Mal hatte ein bundesdeutsches Gericht den genetischenn Fingerabdruck in sein Urteil einbezogen. Das Oberlandesgericht in Karlsruhe zog Mitte August nach. Letzte Zweifel in einer strittigen Vaterschaftsfeststellung ließ es mit dem Fingerabdruck klären.

Bei der Genomanalyse, die auch in der bundesdeutschen Justiz immer hoffähiger wird, wird in einem komplizierten Verfahren das menschliche Erbmaterial DNA zunächst aus den Körperzellen des Verdächtigen und aus den am Tatort zurückgelassenen organischen Spuren isoliert. Dann wird es chemisch in eine Reihe von Bruchstücken zerlegt. Nach radioaktiver Markierung ergibt das Ganze auf einem Röntgenfilm zwei charakeristische Streifenmuster, die entweder miteinander identisch sind oder nicht.

„Allzweckwaffe“

Bisher wurde der Test vor allem in Großbritannien und den USA angewandt. Mehrere hundert Mal diente er bereits als Beweisstück in Kriminalfällen. In den USA wurden bisher mindestens zwei Männer aufgrund des genetischen Fingerabdrucks zum Tode verurteilt. Auch zum Verwandtschaftsnachweis soll die Methode taugen, wenn man das Erbmaterial zweier Menschen miteinander vergleicht. Mehrere tausend Mal wurde er als Vaterschaftsnachweis verwendet; EinwanderInnen nach Großbritannien müssen sich bereits reihenweise der Genanalyse unterziehen. Damit soll geklärt werden, ob tatsächlich ein enges Verwandtschaftsverhältnis zu bereits auf den britischen Inseln lebenden Angehörigen besteht. In Kalifornien wurde bereits eine Gendatei von Sexualstraftätern angelegt, auf die alle Polizeidienststellen des Landes Zugriff haben. Erweitert werden soll die Datenbank jährlich um rund 8.000 verurteilte Gewaltverbrecher. Das britische Innenministerium plant ein ähnliches Projekt.

Irrtümer und Schlampereien

Während in der Bundesrepublik Kriminologen und Juristen zunehmend auf die Genomanalyse setzen, gerät derzeit in den USA der Glaube an die Unfehlbarkeit der Gentechnik vor Gericht ins Wanken. Die kriminalistische Wunderwaffe mit der unglaublichen Treffsicherheit - Molekularbiologen schlossen bisher einen Irrtum beim Probenvergleich mit eins zu dreihundert Milliarden aus - ist ganz und gar nicht so sicher, wie ihre Befürworter behaupten. Vor zwei Jahren schon regten Leiter der kriminalistischen Dienste in den USA an, die Leistungsfähigkeit der Diagnoselabore, die Fingerabdrucktests kommerziell anbieten, doch einmal zu überprüfen. Zweimal tippten LabormitarbeiterInnen daneben, obgleich sie wußten, daß sie an einem Ringversuch teilnahmen. Im ersten Fall waren technische Mängel Schuld daran, daß zwei DNA-Muster irrtümlich für übereinstimmend erklärt worden waren. Im zweiten Fall waren zwei Proben verwechselt worden. Die Erkenntnisse weckten auch bei namhaften US-Wissenschaftlern, Molekularbiologen und Humangentikern in den letzten Monaten Zweifel an der Methode. Wie genetische Kaffeesatzleserei mute die umstrittene Methode teilweise an.

So erklärte der renommierte Humangenetiker Eric Lander vom Whitehead Institute for Biomedical Research in Cambridge, Massachusetts, im Juni: Bei der Methode gehe man von unüberprüften populationsgenetischen Vermutungen aus. So nehme man einfach an, daß in allen Bevölkerungsgruppen die genetischen Unterschiede von Mensch zu Mensch gleich stark ausgeprägt seien. Es könne aber sehr wohl auch Untergruppen, wie Schwarze oder Hispanics geben, in denen das Verwandtschaftsverhältnis und damit die genetische Einheitlichkeit sehr viel größer sei. Die Wahrscheinlichkeit, daß die DNA-Muster zweier Menschen dann gleich aussähen, wäre in einer solchen Untergruppe sehr viel höher.

Genetische Kaffeesatzleserei

Solchen Bedenken schloß sich Ende August ein US-Gericht in New York an - es ließ den Abdruck als Beweismittel nicht gelten. Joseph Castro, ein 38jähriger Hispanic, war des Mordes an seiner Nachbarin und ihrer zweijährigen Tochter angeklagt worden. Doch ins Kreuzverhör geriet die Technik des genetischen Fingerabdrucks, mit dessen Hilfe Castro überführt werden sollte. Während des Prozesses wurde die Methode verrissen. Die Verteidigung hatte keine Mühe, dem Gericht eine Reihe namhafter MolekularbiologInnen zu präsentieren, die bereit waren, sich gegen die Methode auszusprechen. Selbst die ExpertInnen der Gegenseite stimmten schließlich zu, daß - zumindest im Fall Castros die Methode wissenschaftlich nicht verläßlich genug sei. Von astronomischer Zuverlässigkeit war keine Rede mehr: Die Chance, daß das Blut auf Castros Armbanduhr nicht vom Mordopfer stammte, belief sich nur noch auf 1:78.

BRD-Kriminalisten

in den Startlöchern

Doch der Glaube der bundesdeutschen Polizei an die Segnungen des Erbguttests ist nicht so leicht zu erschüttern. Denn die Aussagekraft der neuen Methode liege um Zehnerpotenzen über den bisherigen, um Tatortspuren wie Haare, Sperma, Hautfetzen einem potentiellen Täter zuzuordnen, lobt Werner Pflug vom Stuttgarter Landeskriminalamt. Bei den BRD -Kriminologen will man den Anschluß an die neue Entwicklung nicht verpassen (siehe nebenstehenden Artikel). Dabei ist der rechtliche Rahmen für das Genomanalyse-Verfahren noch überhaupt nicht geklärt. Der Rechtsausschuß des Bundestages veranstaltete im vergangenen Jahr eine Anhörung zu diesem Thema, die ihren Namen kaum verdiente. Man hatte eingeladen, verschoben, ausgeladen, wieder eingeladen, bis sich die Sachverständigen glücklich aus zehn Befürwortern und einem Gegner zusammensetzten. Dennoch erklärte der Rechtsausschuß in einer Stellungnahme die Anwendung genetischer Untersuchungsmethoden ohne gesetzliche Grundlage für unzulässig. Ein solches Gesetz ist bisher aber nicht in Sicht. Bis Mitte 1990 soll nun eine 20köpfige interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Moraltheologen, Geistes und Naturwissenschaftlern im Auftrag des Bundesforschungsministeriums die ethischen und sozialen Fragen der Genomanalyse prüfen.

Susanne Billig