Fluchtpunkt Geborgenheit verbauen

■ Die Zukunft der regionalen Fernsehprogramme stand in Saarbrücken zur Diskussion

Medien-Tatort Saarbrücken. Das Elisabeth-Selbert-Kolleg der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte zu einer medienpolitischen Tagung über die Zukunft der regionalen Fernsehprogramme geladen, und so hatten sich denn auch die hochkarätigen Programmacher vom Norden bis zum Süden der Republik auf den Weg gemacht.

Gewichtig ging's denn auch gleich los zum Thema Recherche -Journalismus oder Werberahmenprogramm: Der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Martin Buchwald, wollte „Neues vom Halberg“ erzählen, um so öffentlich über Perspektiven der SR -Regionalberichterstattung nachzudenken. Vom Videotext war die Rede, einem vierten Hörfunkprogramm, das frei vom Massengeschmack sein sollte und vom Offenen Kanal, der auf der neuen Frequenz acht Stunden Programm einmal die Woche fahren wird. Wie jedoch sich alles gestalten wird, vermochte er noch nicht zu sagen. Was das Fernsehen angeht, so gab er zu bedenken, daß wir erst seit 50 Jahren mit bewegten Bildern arbeiten, diese aber noch nicht im Griff haben. Es könne nur besser werden. Weiter gings mit W.D. Stahnke (SR) und seinem miesen, weil langweilig gemachten Regional -Magazin. Offensichtlich färbt sein autoritärer Führungsstil auf die Sendung ab, die zwar nach Bremen und Berlin die drittgrößte ist, aber vor unkritischen Beiträgen nur so strotzt, daß man sich fragen muß, ob die Zuschauer überhaupt damit was anfangen können. Ausgewogenheitsfetischismus gepaart mit gestalterischer Einfallslosigkeit der Autoren feiern hier fröhliche Urstände. „Man muß an den Oberen vorbeiarbeiten“, ist dann auch der Rat eines Kollegen vom Hörfunk, der von seiner Arbeit total frustriert zu sein scheint.

Bert Siegelmann vom Rhein-Neckar-Fernsehen ist statt Journalist eher Marketing-Experte seines Senders. In seinen Ausführungen hagelt es nur so von beeindruckenden Fakten wie 36 Prozent Einschaltquote und eines professionellen Teams mit starker regionaler Eingebundenheit - eine dreiviertel Demo-Kassette straft ihn dann allerdings Lügen. Der Zusammenschnitt erinnerte sowohl an Videoclip-Fernsehen als auch an das der fünfziger Jahre mit anbiedernder Machart und dem Moderator als Schauspieler. Zwar seien die Zuschauer ja die Zielgruppe, aber im Studio merkt man davon nichts: bloße Staffage. Uwe Güntzler (HR) zeigt dann, wie öffentlich -rechtliche Regionalberichterstattung im dritten Programm aussehen sollte: Die Zuschauer bewußt ärgern, einseitig an die Themen herangehen, um zu provozieren, damit die Zuschauer sich reiben können: Schluß mit der Harmonie mit dem Zuschauer. Streitkultur ist gefordert.

Zwar unterstützt Erdmann Linde vom WDR (Landesstudio Dortmund) Güntzlers Forderung nach kritischem Journalismus, er betont aber auch den unterhaltenden Aspekt: „Dortmund ist unser Globus“, meint er und verweist damit auf die herzustellende Identifikation mit der Region und seiner provozierenden Aneignung.

Fernsehgemäß angelegt zwischen taz und 'Tempo‘ ist das 45minütige Wochenmagazin ZAK, das Michael Radix vom WDR Köln präsentierte. Diese neue Art der Tele-Illustrierten breitet in bunter, greller, schrägfrecher Aufmachung die Themen der vergangenen Woche auf. Das ist so gelungen, daß sich die steifen Polit-Magazine hier einen ZA(C)K(EN) abbrechen können.

Hans Jessen von Radio Bremen präsentierte leider nur verbal die zwischen Hessenschau und ZAK angelegte Sendung Buten und Binnen (Draußen und Drinnen). „Das tägliche Durcheinander gut sortiert den Zuschauern präsentieren“, ist seine Medienbotschaft. Allerdings bestimmt das Interesse der Zuschauer das Konzept: Nicht was passiert, sondern was passiert in der Region, ist entscheidend. Als Klaus Helf, Leiter des Offenen Kanals Saarbrücken, von der Anlaufphase berichtet, scheiden sich vollends die Geister. Die Gegner des „pädagogischen“ Fernsehens, vertreten durch Heidi Schumacher (SWF), holen auf einmal den Zeigefinger hervor, weil sie Angst haben, dort könne etwas passieren, was den „alten Hasen“ nicht paßt; dabei hat doch jeder mal klein angefangen. Außerdem ist es unfair, journalistische Kriterien einem Offenen Kanal anzudienen, die er gar nicht haben kann, soll und will.

Bei der Podiumsdiskussion gab Kahlenberg (Präsident des Bundesarchivs Koblenz) zu bedenken, den Moderator nicht zum Ausrufer zu machen, zum Zeremonienmeister der lokalen Ereignisse. Die Beiträge dürften keine Kalenderblätter zwischen Diele und Hobbyraum sein. Die eigene Lebenswelt muß widergespiegelt werden, der Fluchtpunkt „Geborgenheit“ muß versperrt, dafür die soziale Phantasie der Rezipienten besetzt werden. Mut zum Unpopulären wäre die einzige Möglichkeit regionaler Berichterstattung.

Heidi Schumacher (SWF) verwies auf die Streitkultur der Report-Redaktion und sprach sich gegen den Mustopf aus, der entsteht, wenn Mehrheiten bedient werden. Kronenberger (Abt. Kultur Saarbrücken) fand die hier stattfindende Kritik einen alten Hut, weil Provinz eben Provinz bleibt.

Am Ende hatte man den Eindruck, daß unsere Medienarbeiter gar nicht so langweilig seien. Wäre nur nicht diese Beamtenmentalität in den Sendeanstalten, dann könnte noch mehr und Besseres für die Gebührenzahler geleistet werden. Der kritische Journalismus ist jedenfalls, das zeigten die Tage in Saarbrücken, noch nicht tot; der gute Wille ist vorhanden.

Frank Jörg Reimann