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Die Grenzen der Verteidigung

■ Zwei Uraufführungen in Israel

Wegen des vergleichsweise jugendlichen Alters der hebräischen Dramatik sind Uraufführungen in Israel keine Seltenheit. Häufig sind die Stücke aus Drehbüchern oder Prosawerken entstanden, da junge israelische Autoren andere Medien im allgemeinen dem Theater vorziehen.

Das Khan-Theater in Jerusalem, das neben den Theatern in Haifa und Beer-Sheva und dem Habimah und Cameri-Theater in Tel Aviv zu den fünf größten Theatern in Israel gehört, stellt bei durchschnittlich sechs Inszenierungen pro Jahr jeweils auch drei originäre hebräische Stücke vor, von denen viele eigens für das Theater umgeschrieben sind. So auch Hanan Peleds Hevre, das unter der Regie von Amit Gazit, dem künstlerischen Leiter des Khan, am 10.August 1989 uraufgeführt wurde. Das heißt, eigentlich wurde es bereits seit Ende Juli gezeigt, denn die offizielle Premiere, zu der die Presse gebeten wird, ist in Israel meist erst nach der zehnten Vorstellung.

Hevre bedeutet Clique oder Gang und erzählt die Geschichte von sieben Menschen, die in den galiläischen Bergen nach sechs Jahren wieder zusammentreffen. Im Lauf des ersten Abends fällt der Strom aus: Araber haben Zucker in den Generator gestreut. Was zunächst noch ein bißchen Lagerfeuerromantik zur Folge hat, ist am nächsten Morgen nicht mehr so lustig: Das Fleisch im Kühlschrank ist vergammelt, und die Männer müssen auf die Jagd gehen, um das Abendessen zu sichern. Mit viel Glück gelingt es ihnen, ein Schaf zu erlegen, das Schaf eines arabischen Bauern. Während die Hevre sich wieder einmal in persönlichen Streitigkeiten ergeht, ertönt aus der Küche ein Knall: Der arabische Besitzer des Schafes war in der Küche erschienen, mit einem Messer in der Hand, und wurde vom Gastgeber erschossen.

Angesichts dieses Mordes, dessen Notwendigkeit keinen Augenblick in Zweifel gezogen wird, finden die zerstrittenen Mitglieder der Hevre wieder zusammen. In einer A-capella -Ballade besiegeln sie ihren Entschluß, den Mord zu vertuschen. Hier endet das Stück und delegiert die Frage nach der Moral an die Zuschauer, die Frage vor allem nach der Berechtigung einer Gemeinschaft, die nur angesichts des „Feindes“ besteht. Hevre handelt vom modernen Zionismus, vom Krieg in Israel.

Amit Gazit hat den schnellen, kurzen, witzigen Text auf einer fast leeren Bühne inszeniert: Allein der schräge Bühnenboden macht deutlich, daß die Szene im Gebirge spielt.

Zu Beginn der Vorstellung versammeln sich die Schauspieler mit ihren Rollenbüchern an einem Tisch und beginnen, sich lesend in ihre Figuren einzufinden. Für Autor Peled hatte die Möglichkeit bestanden, die Geschichte auf dieser verfremdenden Ebene auch enden zu lassen und sich so noch deutlicher von den Figuren zu distanzieren. Doch Regisseur Gazit verwarf ein solches Ende: „Die Geschichte muß anders enden, als sie begonnen hat, es muß eine Entwicklung sein, kein Zyklus.“ Ob Gazit damit der Gefahr erlag, daß die Infragestellung der Hevre als Glorifizierung mißverstanden werden kann, war aus den Publikumsreaktionen nicht ersichtlich. Auch nach dem Mord wurde in allen Reihen des Theaters, das früher einmal eine Karawanserei gewesen war, gelacht, und am Ende, wie immer, nur eine Anstandsminute lang geklatscht. Nach dem kurzen, aber rhythmischen Beifall ließen die Zuschauer die Schauspieler mit ihren Blumen im Arm hilflos auf der Bühne stehen.

Von der Presse hochgelobt wurde bereits vor der Premiere (unter dem Vorwand von Vorankündigungen schmuggeln sich die Journalisten oft vor dem offiziellen Termin ins Theater) Joshua Sobols neuestes Stück Adam (Uraufführung: 29. Juli 1989) im Habimah in Tel Aviv. In einem Interview mit der 'Jerusalem Post‘ sagte Sobol, daß er sich bereits seit Ghetto (1983) mit dem Gedanken an dieses Stück trug, Adam aber erst im Winter 1988 fertigstellte. „Ich beginne erst zu schreiben, wenn ich das Stück vollständig im Kopf habe und es mich selbst zur Niederschrift zwingt. Der Beginn der Intifada machte mir das Stück insofern klarer, als daß ich nun wirklich fühlte, wie es war, machtlos zu sein.“

Die Geschichte von Adam greift das Schicksal von Itzik Wittenberg auf, einem Anführer der jüdischen Untergrundbewegung im Wilnaer Ghetto. Von den Nazis erpreßt und mit der Vernichtung des gesamten Ghettos bedroht, lieferten die Mitglieder der Bewegung Wittenberg aus. Doch Wittenberg vergiftete sich nach seiner Festnahme.

Sobols Adaption erzählt die Geschichte aus dem Blickwinkel von Nadia, einer jungen Aktivistin, die Adam liebt und entgegen besseren politischen Wissens seine Auslieferung verhindern will. Als alte Frau sitzt sie nun in ihrem Schaukelstuhl und erinnert sich, von Alpträumen getrieben, an die Ereignisse.

In der Inszenierung von Gedalia Besser vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart auch räumlich. Durch die Risse in der Bühnenwand dringen die Bilder vom Ghetto in die Wohnung der alten Nadia, die, ruhig und unspektakulär, mit einem alten Hobbyzauberer in Tel Aviv lebt (leicht zu erkennen an den unvermeidlichen Lamellenfenstern), bis sie selbst als Figur doppelt erscheint: als junges Mädchen, als alte Frau.

Aus Ghetto kennt man bereits den kulturliebenden SS -Mann Kittel - in der Inszenierung von Peter Zadek (1984) an der Berliner Volksbühne von Ulrich Tukur gespielt. Auch in Adam tritt er wieder in Erscheinung, diesmal mit einer manischen Kunstlied-Version des „Erlkönigs“. Gens, das Oberhaupt der jüdischen Polizei, wurde ebenfalls in das neue Stück übernommen. Adam also als der zweite Teil von Sobols Geschichte des Wilnaer Ghettos.

„Wach auf, du bist hier, in Eretz Israel, im Land Israel“, ruft Sep, der Magierfreund, und rüttelt Nadia nach einem Alptraum wach, um ihr ungeschickt ein paar Albernheiten aus einem verstaubten Chapeau claque zu zaubern, wofür sie nur ein trauriges Lächeln übrig hat. Sie schlurft in die Küche, dort trifft sie abermals auf Adam. In wievielen israelischen Wohnzimmern mögen die Erinnerungen wie Alpträume sich eingenistet haben?

Um den Bezug zum aktuellen Israel aber zu unterstreichen, läßt Sobol Sep, aus den Lamellenfenstern schielend, noch einige Haßtiraden auf die Araber herunterbeten, die allerdings die Figur Sep (und Nadias Zusammenleben mit ihm) unnötig in Frage stellen. Auch ohne Sep wäre Adam ein Stück über den Zionismus und den Überlebenskampf, damals und heute. Und noch deutlicher als nach Hevre bleibt am Ende die Frage offen: Wie geht das Volk der Opfer mit der Intifada um? Wie weit darf Verteidigung gehen, auch wenn Verteidigung auf beiden Seiten zum lebenserhaltenden Prinzip geworden ist?

Nach der Vorstellung auf dem Vorplatz des Habimah: eine Protestkundgebung von Künstlern des Habimah und des Cameri -Theaters. Lieder gegen den Krieg und gegen den Araberhaß, Unterschriftenlisten für den Frieden und - vor allem - einen Dialog.

Aber ähnlich wie im Theater gehen die Menschen deutlich schneller auseinander, als sie sich zuvor eingefunden hatten.

Petra Kohse

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