„Das ist doch 'ne totale Sauerei“

■ taz-Umfrage: Wer kann sich Schwarzfahren überhaupt noch leisten? / Umwelt- und Sozialkarte als möglicher Ausweg / Betroffene und BVGler sind unterschiedlicher Meinung / Müssen ganz Arme zu Fuß gehen?

So ungerecht ist die Welt: Während die Mitglieder des Abgeordnetenhauses die BVG zum Nulltarif benutzen können, kommt Otto und Emma Normalverbraucher die kostenlose U -Bahnfahrt immer teurer zu stehen. Vorausgesetzt, sie lassen sich erwischen, müssen sie für die Schwarzfahrt mit U-Bahn oder Bus künftig sogar 60 Mark berappen, Stichtag ist der 1. Oktober (siehe Bericht auf Seite 1, Berlinteil). Die taz befragte Berlinerinnen und Berliner am Telefon und auf der Straße nach ihrer Meinung zur Erhöhung des Schwarzfahrertarifs.

Punkerin Beate (26) auf einer Bank am Treffpunkt Kottbusser Tor: Eh, das is doch voll für'n Arsch. Aber ick hab‘ Glück, ick bin behindert (hat eine Beinprothese d. Red.) und brauche nich Schwarzfahren, weil ick 60 Prozent Ermäßigung habe. 40 Mark war schon voll daneben. Die machen keinen Unterschied, ob jemand aus Bock schwarzfährt oder weil er kein Geld hat. Ick saß mal im Knast, und da saß 'ne alte Oma, nur, weil sie 24mal beim Schwarzfahren erwischt worden is. Is doch 'ne totale Sauerei.

BVG-Zugabfertigerin (57) (Bahnhof soll nicht genannt werden): Ganz gut, weil die meisten die Umweltkarte kaufen werden. Die ist nur fünf Mark teuer als die Strafe fürs Schwarzfahren. Wenn ich zum Bäcker gehe und der erhöht die Preise für die Brötchen, muß ich das doch auch bezahlen.

Netzwerk, Albin von der Finanzverwaltung: Das Netzwerk wird künftig seinen Angestellten eine Umweltkarte finanzieren, als Beitrag zur Erhaltung der Umwelt. Wenn unser Modell um sich greifen würde und von Behörden und Betrieben übernommen würde, würde sich das Problem Schwarzfahren verringern. Wir waren noch nie für die Erhöhung von Strafen, sondern fänden es besser, wenn die BVG versucht, die Leute mit dem Zuckerbrot zum Umstieg zu bewegen, statt mit der Peitsche. Gegen die Erhöhung der Bußgelder sind wir, weil sie in der Regel die sozial Schwachen treffen, die kein Geld haben.

Claudia (28), gleichfalls Punkerin am Kotti und Sozialhilfeempfängerin: Voll Scheiße. Für Sozieempfänger soll die Karte ja nur 10 Mark kosten, aber dafür haste tierisch viel Ämterstreß, da mußte tierisch rumrennen, mußte dir Fotos und Stempel besorgen, stundenlang warten und so. Neulich wollte ick mir für die Fahrt zur Funkausstellung beim Sozi 'ne Karte besorgen, natürlich war der Schuppen dicht.

Polizeipressesprecher Müller: Betrifft mich nicht, weil ich nicht mit der BVG fahre. Für mich gibt es keine Fahrverbindung zum Dienst, die ich nutzen kann. Ich wohne in einer Gegend, wo ich mit zweimal Umsteigen und zehn Minuten Fußmarsch zur U-Bahn soviel Zeit brauchen würde, daß ich meine Dienstgeschäfte nicht rechtzeitig aufnehmen könnte. Ich fange morgens um sechs Uhr an. Mit dem Fahrrad bin ich eine Woche lang gefahren, damit brauche ich genauso lange wie mit der BVG: eine Stunde, das ist morgens unzumutbar.

N.B. (31), Arbeitslosenhilfeempfänger am Kotti: 40 Mark, das war schon 'ne totale Schweinerei. Wenn ick lange Strecken fahre, bezahle ick normalerweise, ansonsten fahr ick schwarz und bin - toi, toi, toi - seit vier Jahren nicht erwischt worden. Ick finde, die, die Knete haben, soll'n ruhig fünf Mark fürs Ticket zahl'n, und so 'ne Leute wie ick sollten umsonst fahr'n können. Det nenne ick sozialen Ausgleich.

BVG-Zugabfertiger (30), der Bahnhof, auf dem er Dienst schiebt, wird auf ausdrücklichen Wunsch hin nicht genannt: Ganz schön hoch, dafür müssen die Leute einen ganzen Tag arbeiten, und die U-Bahn fährt ohnehin. Zehn Mark würden auch ausreichen, das würden die Leute viel lockerer betrachten und mit viel mehr Lust und Freude U-Bahn fahren, und es wäre zugleich auch noch eine umweltschützende Maßnahme. Vor meiner BVG-Zeit bin ich fast nur schwarzgefahren und zweimal in vier Jahren erwischt worden. Jetzt fahre ich offiziell schwarz, da gratis.

Pförtner (56) beim Springer-Verlag: Schwarzfahren finde ich nicht richtig, schließlich sind die Gesetze dazu da, daß man sie einhält. Aber wenn Sie mich fragen, ob die Busse und U -Bahnen billiger werden sollen, bin ich der Meinung, die sollten billiger sein und auf jedem Bahnhof sollte ein Schaffner sein, der kassiert. Das gibt Arbeitsplätze und weniger Schwarzfahrerei. Jetzt ist es doch so wie in einem Kaufhaus, wo jeder sich nehmen kann und erst am Ausgang bezahlen muß. Da kann man schon auf die Idee kommen, so durchzuflutschen.

Arzthelferin (30): Kann ich nichts zu sagen, ich bezahle immer.

Rentner (67) an der Currywurstbude am Kotti: Is 'ne Sauerei, 20 Mark fürs Schwarzfahren wäre gerecht. Aber ich brauche die BVG nicht, weil ich alles zu Fuß mache. Ich muß höchstens mal zum Friedhof nach Neukölln, aber ich laufe auch nach Britz.

Aussiedler aus Jugoslawien (18): Für die Bewohner von Kreuzberg is das ziemlich mies, weil hier die meisten Leute schwarzfahren.

Arbeitslose (21) am Kotti: Beschissen, aber ick fahr‘ weiter schwarz.

Zugabfertiger (28), Bahnhof soll nicht genannt werden: Noch viel zuwenig. Die Leute, die schwarzfahren, verschaffen sich doch Leistung auf Kosten anderer. Auf Nachfrage: Als Schüler bin ich auch schon mal schwarzgefahren, als Jugendlicher überlegt man sich das noch nicht so.

Justizpressesprecher Christoffel: Unter dem Gesichtspunkt, daß wir die außerordentlich günstige Umweltkarte bekommen und die einkommensschwachen Bevölkerungsteile noch einmal zusätzlich günstige Sozialtarife haben, kann von jedem erwartet werden, daß er seinen Teil zu einer aktiven Umweltpolitik leistet. Wer das nicht tut, der sollte entsprechend finanziell bestraft werden.

Stefan, Geschäftsführer beim Rotbuch-Verlag: Betrifft mich nicht, weil ich als Geschäftsführer von Rotbuch noch als Student mit der BVG fahre und so problemlos 38 Mark für die Monatskarte zahle.

Maler (28) am Kotti: Schwarzfahren kann ick mir nicht leisten, weil ick Bewährung offen habe und deshalb noch nicht mal 'nen nassen Pups lassen darf.

Umfrage: Plutonia Plarre